
Marcus Diekmann im Interview:
"In der Krise müssen Händler in die Zukunft investieren"
Händler, die jetzt nicht in Marketing investieren, überlassen ihre Kunden kampflos den Onlineriesen, sagt Händler-helfen-Händlern-Initiator Marcus Diekmann. Deshalb sollten sie jetzt alles auf eine Karte setzen.

Foto: Simon Thon
Seit mehr als zwei Wochen sind große Teile des stationären Einzelhandels stillgelegt. Und mindestens eineinhalb Wochen Shutdown liegen noch vor uns – das Ende ist ungewiss. Jeder Tag, den die Augangsbeschränkungen länger dauern, nagt an der Existenz vieler Händler. Die Initiative "Händler helfen Händlern", in der sich inzwischen eine vierstellige Zahl an Handelsunternehmen organisiert haben, will für gegenseitige Unterstützung sorgen. Einer der Initiatoren ist der CEO von Rose Bikes Marcus Diekmann.
Er hat bereits in mehreren Unternehmen die E-Commerce-Sektion geleitet und mit Shopmacher eine Digitalagentur gegründet. Mit Marketingstrategien im digitalen Handel kennt er sich also bestens aus. Und er weiß, wie Händler ihre Marketingstrategie jetzt am besten aufstellen, um die Kundschaft in Zeiten von Corona nicht an die Onlineriesen zu verlieren – sondern gestärkt aus der Krise hervorzugehen:
Herr Diekmann, viele Händler haben ihre Werbebudgets runtergefahren, weil ihnen große Teile der Umsätze wegbrechen. Ist das bisher die richtige Strategie gewesen?
Ja, im ersten Schritt mussten die von der Schließung betroffenen Unternehmen schnell Budgets herunterfahren und die Liquidität weitgehend sichern. Das bezog sich vor allem auf die ersten acht Tage nach den Schließungen. Zeitgleich mussten und müssen die Unternehmen ihre Budgets für Social- und E-Commerce deutlich ausbauen. Das Ziel ist es hier, auch in der Krise die Onlineumsätze zu erhöhen, die Sichtbarkeit zu steigern sowie mehr potentielle Kunden zu gewinnen. Denn wir merken aktuell deutlich, dass die Leute deutlich mehr Zeit im Internet und auf den Social-Kanälen verbringen.
Trotzdem sehe ich, wenn ich durch die Straßen Münchens gehe, brandaktuelle Kampagnen an Litfaßsäulen von den großen lokalen Einzelhändlern wie Konen oder Hirmer. Obwohl sie längst geschlossen haben. Ist das verbranntes Geld?
Das war natürlich Pech, viele befreundete Händler konnten ihre Offline-Kampagenen nicht mehr stoppen. Das war natürlich sehr ärgerlich, da die Sichtbarkeit durch die Ausgangsbeschränkungen häufig nicht mehr ausreichend gegeben war und die Werbeaussagen in vielen Fällen nicht mehr passten.
Welche Strategie in Bezug auf ihre Werbung sollten Händler jetzt fahren?
Ich empfehle dringend, dass die Unternehmen in der Coronakrise nicht in Schockstarre verfallen oder sich die Geschäftsführung nur mit der Liquiditätssicherung beschäftigt. Alle Unternehmen sollten jetzt die Zeit nutzen, und konsequent an zwei Maßnahmen arbeiten: Zum einen an der Erstellung der Wiedereröffnungskampagnen für den voraussichtlich 20. April. Hierzu gehören Konzeption der Maßnahmen, inklusive Mediabudgets und Verhandlung über Werbeflächen. Zum anderen sollten sie bereits jetzt die Social-Kanäle nutzen, um die Bekanntheit deutlich zu erhöhen, mit der Zielgruppe in Kontakt zu bleiben und diese zu binden.
Warum ist das gerade jetzt so wichtig?
Gerade jetzt dürfen die traditionellen Händler das Feld nicht nur den Onlinern überlassen – in der Krise müssen Unternehmen in die Zukunft investieren, um daraus nach der Krise noch stärker zu werden. Ansonsten überlassen die traditionellen Händler die Kunden kampflos an die Onlineriesen. Außerdem können auch traditionelle Unternehmen Flächenverluste durch Onlinehandel ausgleichen, über Social-Kanäle die Kundenkommunikation aufrechterhalten und erweiterte Services anbieten: zum Beispiel Video-Beratung, Instagram-Live-Produktpräsentationen und mehr.
Wie gehen sie am besten jetzt vor? Wann ist der richtige Zeitpunkt, um wieder mit Werbung zu starten?
Die Online- und Social-Kampagnen müssen durchgehend durchgeführt werden - hier empfehle ich eindringlich, auf schnelles "Test, Learn, Build bigger" zu setzen. So haben wir zum Beispiel unsere Online-Mediaetats immer im Abstand von vier Tagen sukzessive um 25 Prozent erhöht, schnell daraus gelernt und weiter ausgebaut. Dieselbe Taktik haben wir auf unsere Social-Strategien angewendet. Die große Wiedereröffnungskampagne planen wir gerade, der Kreativprozess ist jetzt bereits fast abgeschlossen und aktuell befinden wir uns in der Mediaplanung und Verhandlungen mit den Mediapartnern.
Wir planen aktuell mit einer Wiedereröffnung zum 19. April – so wollen wir spätestens Anfang der übernächsten Woche damit starten, die Wiedereröffnungskampagnen auszurollen. Der 20. April und die Zeit danach werden ebenso so stark wie die Weihnachtszeit werden, denn die Leute durften jetzt nur beschränkt ihre Wohnungen verlassen und werden dann die Innenstädte stürmen.
Welcher Mediamix ist der richtige?
Aktuell sind Online und Social die richtigen Kanäle. Ab dem 12. April sollte man wieder auf den klassischen Marketingmix setzen, natürlich weiterhin mit einem großen Anteil an Social- und Google-Spendings
Viele Händler kämpfen ums finanzielle Überleben und haben keinen Cent für Werbung übrig. Was raten Sie ihnen?
Das ist eine krasse Herausforderung und nicht leicht zu beantworten. Wichtig ist, sich jetzt radikal zu vernetzen, um von anderen zu lernen und sich auszutauschen, egal ob über Kredit- und Förderprogramme oder über Sanierungsmaßnahmen. Ich empfehle eindringlich, alle mit in die Pflicht zu nehmen und mit den Vermietern zu verhandeln, denn auch die müssen ihren Beitrag leisten. Gleiches gilt für die Lieferanten – hier spreche ich über großzügige Zahlungsziele von mindestens 100 bis 180 Tagen – damit der Händler erst wieder in Ruhe abverkaufen kann.
Am Montag, den 6. April spricht Marcus Diekmann auf der virtuellen W&V-Konferenz #MachenWirDasBesteDraus: Der Coronavirus und die Folgen – was man jetzt wissen muss. Hier geht's zum Programm und zur Anmeldung.