
Thinking on Design:
"Keine Marke" ist auch eine Marke oder: Wenn Designer frustkaufen
W&V-Kolumnist Norbert Möller liebt eine japanische Marke, die eigentlich gar keine sein will und mit den herkömmlichen Kommunikationsregeln des Marktes bricht. Ein Loblied auf "Keine Marke, gute Produkte".
Letzte Woche war es wieder soweit: Ich musste zu Muji, um neue Stifte zu kaufen und mich einfach ein wenig von schönen und nützlichen Dingen inspirieren zu lassen. Zu Muji gehe ich eigentlich immer, wenn ich nichts Konkretes brauche aber trotzdem etwas kaufen möchte, das ist sozusagen mein Frustkauf. Man findet hier immer etwas, um sein Leben schöner zu machen, besser zu organisieren oder einfach nur eine schöne Schreibtischablage.
Muji ist eine japanische Marke, der Name ist die Kurzform von Mujirushi Ryōhin, was übersetzt soviel bedeutet wie: "Keine Marke, gute Produkte". Ursprünglich war es in den 80ern eine Eigenmarke der japanischen Kaufhauskette Seibu. Als ich 2002 das erste Mal in Tokio einen Muji Shop betrat, war ich sofort begeistert: Alle Produkte sind funktional und total reduziert. Es sind Lifestyle-Produkte, die aber so gestaltet sind, dass man sich sie eher langlebig vorstellen kann. Getreu des alten Bauhaus-Mottos folgt die Form der Funktion.
Die Farben sind eher Nichtfarben, ein harmonisches Miteinander von Weiß, Schwarz, milchweißen Transparenzen, Metall und Naturhölzern. Sogar namhafte Designer, wie Konstantin Grcic, Jasper Morrison oder Yohji Yamamoto haben bereits für Muji Produkte entworfen. Es bleibt allerdings unbekannt, was genau sie entworfen haben. Lediglich das Design und die pure Nützlichkeit der Produkte sollen den Kunden überzeugen, nicht aber die Namen der bekannten Designer. Dieses Gegenstatement zum sonst oft vorherrschenden Personenkult ist sympathisch – und kurioserweise scheint es uns auch nicht zu stören, wenn die Labels mit Barcode, japanischer Produktbeschreibung und Yen-Verkaufspreis auf Blöcken und Büchern kleben bleiben: Auch das sieht irgendwie gut aus.
In allen Muji Shops auf der ganzen Welt sind die Wände weiß und die Regale aus Edelstahl. Die Läden sind stets gut ausgeleuchtet, die Einkaufstüten aus braunem Recycling-Papier. Die gesamte Kommunikation und die Auszeichnung der Ware sind ebenfalls extrem nüchtern. Die Fotos auf der Shopseite sind sachlich, die Produktbeschreibungen informieren nur über das Nötigste der Artikeleigenschaften. Es wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Produkte möglichst ressourcenschonend hergestellt werden.
Auch wenn alles so nüchtern präsentiert wird, hat der Muji Store für mich viel Atmosphäre. Ähnlich wie in einer japanischen Wohnung werden auf kleinem Raum viele Produkte präsentiert und es ist trotzdem übersichtlich. Und auch wenn Muji keine Marke sein will, sondern nur für gute Produkte stehen will, ist diese Art der Kommunikation natürlich ein Branding. Und zwar ein sehr überzeugendes, denn die Haltung des Unternehmens wird auf die Produkte und deren Vertrieb gespiegelt. Und für uns Europäer kommt zu der Schlichtheit der Darstellung, eine exotische Note hinzu. Denn überall sind japanische Schriftzeichen zu sehen, die wahrscheinlich "Keine Marke" heißen.
Der Autor: Norbert Möller ist seit 2003 Executive Creative Director der Peter Schmidt Group und leitet deren Corporate Design Team am Standort Hamburg. Zu den von ihm betreuten Marken und Unternehmen zählen unter anderem Linde, Henkel, Kühne+Nagel, die Postbank, REWE, die Stadt Hamburg und das Goethe Institut. Möller studierte Visuelle Kommunikation an der HfBK Braunschweig und arbeitet seit 1992 bei der Peter Schmidt Group, darunter von 1999 bis 2003 als Geschäftsführer.