Und das ist natürlich nicht das Einzige, was sich in mehr als einem halben Jahrhundert Werbegeschichte getan hat. "Früher wie heute soll Werbung Aufmerksamkeit erregen oder die Einstellung zu einem Produkt beziehungsweise einer Marke verbessern und so am Ende des Tages dafür sorgen, dass die Produkte gekauft werden - aber damit haben sich die Gemeinsamkeiten auch schon erschöpft", sagt Manfred Schwaiger vom Institut für Marktorientierte Unternehmensführung der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Die Werbungen von damals wirken heute lustig bis peinlich auf uns."

Der Grund: "Man hat damals Produkteigenschaften in den Mittelpunkt gestellt." Das reiche heute nicht mehr. "Es wird schon weiß waschen; es ist ja ein Waschmittel. Aber was genau habe ich davon? Das muss Werbung heute zeigen. Es geht um den persönlichen Nutzen, und die Aufmachung ist sehr viel emotionaler als früher." Die beste Werbung, so sagt er, sei allerdings die, von der man es nicht vermute. "Die in Cannes prämierten Werbespots - die meisten sind auf Humor ausgerichtet - nutzen viel zu starke Reize, die in der Regel von der Markenbotschaft ablenken. Je stärker der Anreiz - Humor, Schock oder Erotik - desto eher gerät die Botschaft in den Hintergrund."

Mehr als 3,8 Millionen TV-Spots liefen nach ZAW-Angaben im Jahr 2015 - das sind fast 1,5 Millionen mehr als noch 2001. Schwaiger sagt dennoch: "Fernsehwerbung insgesamt sehe ich auf dem absteigenden Ast." Denn: "Niemand setzt sich vor den Fernseher, um schöne Werbung zu schauen." Er spricht von einem "Paradigmenwechsel". Die Zielgruppen wollten heute keine senderzentrierte Werbung mehr, sondern interagieren und die Kommunikation mitgestalten, wie es auf Social-Media-Plattformen möglich ist.

"1956 war die Familie frontal ausgerichtet auf das Fernsehgerät", sagt der Medienwissenschaftler Guido Zurstiege von der Universität Tübingen. "Das ist heute anders. Heute findet diese intensive Auseinandersetzung mit Quality-TV auf Streaming-Plattformen statt. Da suhlt sich die Avantgarde in neuen Formaten. Wir schauen zwar immer noch fern - erstaunlicherweise - aber wir schauen anders fern. Wir schauen viel mehr nebenbei. Werbung, die uns da begegnet, muss also schneller, lauter und greller werden."

Dass die Tage der Fernsehwerbung gezählt sind, glaubt er allerdings nicht. "Auch das Fernsehen entwickelt sich zu einem personalisierten Medium", sagt er. "Viele Fernseher haben inzwischen einen Rückkanal. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass Zuschauer, die ein Fußballspiel gucken, auf ihrem Fernseher personalisierte Bandenwerbung sehen können." Sogar ganze Seifenopern mit personalisierter Werbung könnte er sich vorstellen. "Technisch ist das möglich."


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Autor: W&V Redaktion

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