ARD: "Panorama" enttarnt Privat-TV als "Lügenfernsehen"
Retourkutsche der ARD? Das Erste will am Donnerstagabend zu besten Sendezeit in einem "Panorama"-Spezial entlarven, wie RTL, ProSieben und Co. mit "Scripted Reality" Zuschauern eine falsche Realität vorgaukeln.
Das Gezerre zwischen privatem Fernsehen und gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sendern geht in eine neue Runde. Jetzt zieht die ARD mit einer "Panorama"-Spezialsendung ins Feld und zeigt an diesem Donnerstag, 7. Juli ab 21.45 Uhr rund um das für Privat-TV inzwischen typische Genre "Scripted Reality" die Reportage "Lügenfernsehen". Im Kern will die ARD entlarven, wie das vermeintlich echte Leben von Darstellern in Wirklichkeit inszeniert ist – was der Begriff "Scripted Reality" im Prinzip schon beinhaltet. Als Beispiel wird die RTL-Reihe "Mitten im Leben" angeführt – und im Vorfeld von dem für die Sendung zuständigen NDR das RTL-Zitat verbreitet, wonach "kein detailliertes Dialog-Drehbuch, das vor Drehbeginn abgestimmt" werde, existiere.
"Panorama"-Reporterin Anja Reschke und ihr Team gehen von der These aus, dass scheinbare Realität im kommerziellen Fernsehen oft Inszenierung sei. Manchmal würden die Sender solche "Flunkereien" im Abspann kennzeichnen, manchmal auch nicht. Dass die Formate Erfolg haben – das gesteht das "Pamorama"-Team RTL und Co. immerhin zu. Als die Dokureihe "Mitten im Leben" 2009 an den Start gegangen ist, hat RTL seinen Zuschauern erstmals gescriptete Geschichten mit Laienschauspielern vorgesetzt - und das ganz offen zugegeben. Das Format erzielt seither starke Werte am späten Nachmittag.
Des Weiteren blickt die ARD-Reportage auf den Bereich "Information" im Privatfernsehen, der immer mehr Infotainment beinhalte – und bemüht die Medienanstalten, die die Privatsender beaufsichtigen und sich am Info-Anteil der Kommerziellen bereits massiv gerieben haben. Die ARD zitiert hier auch Professor Hans-Jürgen Weiß und sein Institut Göfak, der "Scripted Reality" seit Kurzem nicht mehr als Publizistik, sondern konsequent als Unterhaltung einstufe. Als Beispiel wird hier der gemessene Informationsgehalt der RTL-Tochter Vox genannt, der nach der Weiß’schen Neuordnung von 27 Prozent auf 15 Prozent gefallen sei, so der NDR in der Vorabmitteilung zur Sendung.
Um noch eins draufzusetzen, holt das "Panorama"-Team den medienpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wolfgang Börnsen zum Thema vor die Kamera. Er sagt dort: "Was die Privaten eben nicht einhalten, ist ihre Funktion in einer Demokratie (...). Wir können es uns nicht leisten, nur durch ein Schlichtprogramm zu informieren." Börnsen hält allerdings das bisherige Kontrollsystem durch die Medienanstalten in diesem Punkt für nicht ausreichend. Auch das Pech einer Familie aus der RTL-Sendung "Unterm Hammer" wird thematisiert, deren Hausauktion angeblich nur gespielt worden sei. Hier verweist der Kölner Privatsender auf den Produzenten.
Schließlich darf auch noch RTL selbst etwas in der ARD-Reportage sagen: RTL-Sprecher Christian Körner hat demnach auf Anfrage von "Panorama" im Mai betont, dass der Sender sich grundsätzlich an Regeln halte und Verantwortung wahrnehme. Viele der fraglichen Sendungen seien nicht direkt von RTL, sondern von beauftragten Produktionsfirmen und zudem noch in der Vergangenheit erstellt worden.
RTL reagiert mittlerweile auf die Vorabmeldung der ARD und weist darauf hin, dass der in der "Panorama"-Sendung so arg kritisierte Beitrag von "Mitten im Leben" aus dem Jahr 2009 stammt. RTL-Sprecher Körner kommentiert die Sendung mit den Worten: "Im Eifer ihres manchmal eher verzweifelten Gefechts gegen die Erfolge der Privaten sind die ARD-Kollegen in Sachen Kennzeichnung von Programmen wohl selbst durcheinandergekommen: Wir jedenfalls weisen unsere Nachrichten als Information aus, unser Nachmittagsprogramm als Unterhaltung. Ein Blick in die Programmlisten der AGF hätte genügt." Das wiederum lässt NDR-Sprecher Martin Gartzke nicht auf sich sitzen: "Offenbar hat die Ankündigung des 'Panorama'-Spezials einen Nerv getroffen. Allerdings hätte sich der RTL-Kollege die Mühe machen sollen, unsere Pressemeldung genau zu lesen. Der Absatz, auf den sich der Kollege Körner bezieht, hat die Programmanalysen von Prof. Hans-Jürgen Weiß und seines Institutes ('Göfak') für die Landesmedienanstalten zum Thema - ihnen und nicht der AGF obliegt die Aufsicht über die Privatsender."
Eigentlich ist in den vergangenen Monaten der Eindruck entstanden, dass der Grabenkampf zwischen ARD, ZDF und den Privatsendern in ihrem Verband VPRT etwas abgeflaut ist. Beide Seiten haben beispielsweise Anteil an der neuen Deutschen Content Allianz, die Sender- und Branchen-übergreifend den Wert der Inhalte im Internet groß schreibt. Doch in den vergangenen Wochen hat erst der Champions-League-Einkauf des ZDF und dann vor allem die kostenlose "Tagesschau"-App für Furore gesorgt, die die private Konkurrenz aus dem TV auf die Barrikaden und die Verleger gar zur Klage treibt. Die Verantwortung für die App liegt – beim NDR.