Oder, wie es Rainer Angstl, Geschäftsführer vom Sporthaus Schuster in den ersten wilden Wochen des Shutdown kommentierte: "Jetzt haben wir Nine-Eleven und die Golfe-Kriege erlebt, Tschernobyl überstanden und die Lehman-Pleite – aber sowas hatten wir noch nicht."

Was heißt das nun? Krise verwalten, sparen und kürzen, Kopf in den Sand stecken und abwarten? Natürlich, manchmal gibt es aufgrund von fehlendem Liquiditätsspielraum oder einem "Quasi-Berufsverbot" zum Beispiel durch Reisewarnung und Lockdown gar keine andere Option.

Zusammenrücken – privat und geschäftlich

Aber für alle anderen gilt: Wer vorausschaut, nutzt diese unruhigen Zeiten, um mit seiner Marke Präsenz zu zeigen und selbst Themen zu setzten. Denn Stammkunden wollen informiert sein, der Kontakt gehalten werden für bessere Tage. Gerade in diesen Wochen beobachtet man neben mancher Verzweiflung auch ein sehr positives "Zusammenrücken", vor allem privat und in den Familien, aber eben auch auf geschäftlicher Ebene.

Nun zeigt sich, wie stabil und tragfähig die Beziehungen sind, die man in den letzten Jahren aufgebaut hat zwischen Marken und ihren Kunden, zwischen Agenturen und Unternehmen:

Braucht man sich? Oder ist man verzichtbar?

Hier wird sich einiges neu sortieren. Wir alle kommen ja gar nicht umhin, unsere Prioritäten zu überprüfen, Relevantes von Unwesentlichem zu trennen, Vertrautes und sogar Liebgewonnenes neu zu bewerten.

So sagt Susanne Schwenger, bei Marc O'Polo als Chief Product Officer für Design, Produktion und Marketing verantwortlich, in der Textilwirtschaft vom 3. April: "Ich glaube, dass die ganze Lage einen großen Einfluss auf das Einkaufsverhalten der Konsumenten haben wird. Diese werden künftig noch genauer überlegen, was sie kaufen und bewusster konsumieren. Und daraufhin werden alle Produkte auf ihre Relevanz überprüft."

Das ist so eine Sache mit der Relevanz: viele Unternehmen beschwören sie, aber welche Produkte sind denn wirklich unverzichtbar? Erstaunlich wenige – wenn wir etwas in den letzten Wochen gelernt haben, dann doch sicher, dass wir alle viel weniger brauchen als wir bislang meinten. Denkbar ist, dass neben der sorgfältigeren Auswahl der Produkte eine ganz neue "Kultur der Reparatur" entstehen wird. So dass man mit seinen Lieblingsteilen in Zukunft nicht mehr zu Oma oder Opa muss, weil die als Einzige noch wissen, wie der Wäschetrockner repariert, der Pulli gestopft und die Knöpfe angenäht werden.

Und das geht noch viel weiter: Ganze Geschäftsmodelle werden sich neu erfinden müssen.

Und auf diesem Weg ist – natürlich – kreatives Know-how gefragt.

Nehmen wir nur die Reisebranche: ist es denn vorstellbar, dass wir uns alle nach ein paar Monaten kurz schütteln und dann wieder entspannt Fernreise auf Fernreise, Wochenendtrip auf Wochenendtrip buchen werden? Oder ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass sich hier zwei große Erschütterungen, die Coronakrise und die Klimakrise kombinieren und langfristig zu neuen Verhaltensweisen führen werden?

Oder die Messe- und Eventbranche: werden wir in wenigen Monaten mit einem guten Gefühl zu einem Live-Konzert oder Sportereignis mit dichtgedrängter Fangemeinde gehen wollen, nur weil es wieder erlaubt ist?

Natürlich ist das echte Erleben mit allen Sinnen von Produkten und das Treffen von Geschäftspartner nicht zu ersetzten. Aber werden wir nicht dennoch die manchmal inflationäre Menge an Branchentreffen, Messen und Präsentationen überdenken? Uns genau überlegen, wo und für welchen konkreten Nutzen wir uns "der Menge" aussetzten?

Die aktuelle Krise verlangt nach neuen Formen der Kommunikation. Das gilt im privaten ebenso wie im wirtschaftlichen Leben. Schön ist, dass hier neben der "Zwangsdigitalisierung" der Arbeitswelt jetzt viele neue, auch künstlerische Formate entstehen, die sicher über den gegenwärtigen Krisenmodus hinaus Bestand haben werden.

Denn das bedeutet Krise doch laut Definition, "einen Höhepunkt oder eben auch Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung". Und "die mit dem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation bietet in der Regel sowohl die Chance zur Lösung der Konflikte als auch die Möglichkeit zu deren Verschärfung."

Ja, einen Wendepunkt in unserer Biografie durchleben wir im Moment in der Tat alle.

Es gibt sie, die Lichtblicke

Mein Respekt gilt all den unerschütterlichen Machern, die die Zeit jetzt nutzen, um ihre "Hausaufgaben" anzugehen.

Die sich trotz großer Sorgen genug Fantasie erhalten, um die künftigen Chancen zu erahnen.

Die sich den unbequemen, aber notwendigen Fragen gerade jetzt stellen. Die an ihrer Marke, ihren Produkten und ihren Botschaften arbeiten, um nicht nur mehr Relevanz zu versprechen, sondern abzuliefern.

Die sich vorbereiten auf eine neue, schöne, andere Welt nach der Krise.

Die den Vorsprung zu nutzten wissen, der sich abzeichnet und den sie sich jetzt erarbeiten können.

Schön ist auch der Satz: "Dass es sich hierbei um einen Wendepunkt handelt, kann jedoch oft erst konstatiert werden, nachdem die Krise abgewendet oder beendet wurde."

Das wünsche ich uns allen: dass wir bald zurückblicken und analysieren können, welche Weichen eigentlich in dieser Zeit gestellt wurden. Und sicher wird es neben vielen Narben auch die Unternehmen und Marken geben, die mit Stärke und frischen Ideen aus dieser Zeit hervorgegangen sind.

Irmgard Hesse ist Gründerin und Geschäftsführende Gesellschafterin der Branding- und Designagentur Zeichen & Wunder

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Autor: W&V Gastautor:in

W&V ist die Plattform der Kommunikationsbranche. Zusätzlich zu unseren eigenen journalistischen Inhalten erscheinen ausgewählte Texte kluger Branchenköpfe. Eine:n davon habt ihr gerade gelesen.