Mit dem angespannten Verhältnis zwischen Deutschen und Türken wagt sich Ay Yildiz an ein hochemotionales Thema, das in Gesellschaft und Politik heftig diskutiert wird. Viele Marken scheuen sich, zu gesellschaftlichen Themen klar Position zu beziehen. Sie fürchten, sich damit angreifbar zu machen. Warum zeigt Ay Yildiz trotzdem so deutlich seine Haltung?   

Ay Yildiz hat sich als Marke auf die Bedürfnisse der deutschtürkischen Community spezialisiert und möchte sich mit solchen Kampagnen entsprechend positionieren und differenzieren. Unsere vergangenen Kampagnen haben gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, weil wir als Marke emotionale Mehrwerte schaffen, die Menschen berühren. Diese emotionalen Botschaften vergessen sie nicht und motivieren sie, die Inhalte von alleine zu teilen und zu kommentieren. Es gehört für eine Marke natürlich Mut dazu, zu solchen Themen wie Vorurteilen klaren Bezug zu nehmen. Solange sie aber ihre Zielgruppe kennt und fähig ist, Empathie aufzubauen, lohnen sich diese mutigen Schritte.

Wann fiel die Entscheidung für diese Kampagne? Gab es einen konkreten Anlass als Initialzündung?

Die Entscheidung fiel im Dezember des letzten Jahres. Das Thema "Vorurteile" hat uns schon lange beschäftigt. Nach unserer erfolgreichen Jubiläumskampagne wurde es Zeit, dieses Thema anzusprechen. Es gab keinen konkreten Anlass. Uns ist allerdings aufgefallen, dass gerade in den Social Media Kanälen von beiden Seiten eher ein "Gegeneinander" als ein "Miteinander" stattfindet. Davon haben wir uns inspirieren lassen. Dazu kommt, dass die Mehrzahl der Mitarbeiter bei Ay Yildiz selber einen Migrationshintergrund haben. Parallel dazu- sind wir neben der Marktforschung auf die Straße gegangen und haben die Menschen draußen zu dem Thema befragt, bevor wir konzeptionell angefangen haben, die Kampagne aufzusetzen.

Die Kampagne wird vor allem in türkischen Medien gestreut. Ist eine Ausweitung auf deutsche Sender und Printmagazine denkbar?

Denkbar wäre es auf jeden Fall. Die Fokuskanäle sind zurzeit Out of Home, Ambient, Social- und Online Media und Türkisches TV.

Die Kampagne spielt mit Vorurteilen gegenüber Deutschtürken und entkräftet sie. Aber auch manchen Deutschtürken wird Intoleranz und Unverständnis für die Werte dieser Gesellschaft vorgeworfen. Wie kann es gelingen, dass beide Seiten besser miteinander umgehen? Was kann jeder einzelne tun? Und was wünschen Sie sich von der Politik?

Pauschale Vorurteile lassen sich am schnellsten abbauen, wenn man auf persönlicher Ebene mehr miteinander spricht. Dadurch entstehen neue Assoziationen mit einer Person oder mit der Personengruppe, der man angehört. Deshalb haben wir eine bundesweite Roadshow eingeplant, wo wir jeden herzlich dazu einladen, "Maraş Eis" (türkische Eis Spezialität) zu probieren und das "Eis" zwischen beiden Welten zu brechen. An diesen Touchpoints haben alle die Möglichkeit, sich kennenzulernen und auszutauschen.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist belastet. Die deutschtürkische Bevölkerung lebt mit und in diesen zwei Welten und wird auf beiden Seiten mit entsprechenden Reaktionen konfrontiert. Als Vermittler haben sie es derzeit sicher nicht leicht. Wie erleben Sie diese Situation persönlich? Und wie gehen Sie damit um?

Das ist ein hochsensibles Thema. Wir haben bereits im Vorfeld – vor Launch der Kampagne – unsere Social Media-Netiquette und Richtlinien zu diesem Thema diskutiert und aktualisiert. Damit sind wir sehr gut aufgestellt und lassen uns nicht in politische Diskussionen ziehen.. Schließlich setzen wir in unserer Kampagne rein auf eine persönliche und kommunikative Ebene. Manche negativen Kommentare gehen an mir nicht spurlos vorbei. Irgendwo ist man ja immer persönlich betroffen. Aber ich halte dann an all den positiven Feedbacks fest und freue mich auf die große Zustimmung, die wir aktuell von vielen Seiten erhalten.

Wurden Sie persönlich auch schon mit Vorurteilen konfrontiert? Worüber ärgern Sie sich am meisten?  

Ich persönlich bin bis dato eher verschont geblieben. Getroffen hat es mich einmal in meiner Studienzeit, als ich mich auf der Wohnungssuche befand. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden!

Am meisten ärgere ich mich, wenn pauschalisiert wird. Letztendlich sollte immer der „Mensch“ mit all seinen Facetten im Mittelpunkt stehen. Man ist ja nicht besser oder schlechter, wenn man einen türkischen Namen hat. Den haben wir uns nicht ausgesucht, sondern unsere Eltern haben uns diesen liebevoll gegeben. 

Ein Motiv der Printkampagne.

Ein Motiv der Printkampagne.

Kann auch die Werbebranche mehr tun, um zu einem besseren Verhältnis beizutragen? Wie offen und tolerant ist die deutsche Werbebranche? Wird sie den in Deutschland lebenden Türken gerecht?

Carsten Kinast, Ogilvy: In der Werbewirtschaft arbeiten überdurchschnittlich viele Personen unterschiedlichster Herkunft gleichberechtigt nebeneinander – so auch bei Ogilvy. Von dieser kulturellen Vielfalt profitieren besonders unsere Kunden mit ethnografischen Zielgruppen wie Deutsch-Türken bei Ay Yildiz.
Für den Mobilfunkanbieter wurde bei Ogilvy speziell eine Unit eingeführt, die auf deutsch-türkische Kommunikation spezialisiert ist. Ob Beratung oder Kreation, der gesamte Workflow ist durch fundiertes Wissen über beide Märkte und Kulturen bestimmt und sehr erfolgreich: Aus dem Knowhow und dem daraus resultierenden Verständnis unserer Mitarbeiter gegenüber der türkischen Kultur entstand am Ende eine feinfühlige Kampagne, die nicht nur die Zielgruppe erreicht, sondern ihre Bedürfnisse auch wirklich versteht und anspricht.
Dass die türkische Zielgruppe in Deutschland mit fast 4 Mio. Menschen und einer Kaufkraft von rund 20 Mrd. Euro großes Potenzial hat, macht sie auch für andere Marken attraktiv. Wir sind davon überzeugt, mit unserer neuen Unit der richtige Partner zu sein. Das dieses Konzept aufgehen kann, zeigt die bereits 2010 gegründete „Ogilvy Noor“ (arabisch für ‚Licht’), eine Unit mit Fokus auf Islamic Branding.


Autor: Frauke Schobelt

koordiniert und steuert als Newschefin der W&V den täglichen Newsdienst und schreibt selber über alles Mögliche in den Kanälen von W&V Online. Sie hat ein Faible für nationale und internationale Kampagnen, Markengeschichten, die "Kreation des Tages" und die Nordsee. Und für den Kaffeeautomaten. Seit 2000 im Verlag W&V.