Cannes-Eindrücke: Der Regen wäscht den Glamour weg

Zur Award Show im Palais des Festivals war die Welt noch in Ordnung. Tausende, ja Abertausende Delegates standen vor dem Palast Schlange, um ab 19 Uhr mitzuverfolgen, wie Festivalchef Philip Thomas die Radio-, Media- und Outdoor-Löwen vergeben sollte. Noch schien die Sonne, aber in der Ferne kündeten dunkle Wolken bereits nahendes Unheil.
Im Festivalpalast lief derweil alles wie gewohnt: Überraschungen gab es auf der Bühne keine. Wie auf dem Fließband passierten die ausgezeichneten Werber ihre Gönner, begleitet vom frenetischen Applaus einer eingeschworenen Fangemeinde.
Großer Jubel auch für Grabarz & Partners goldenen Radio-Löwen: Für stern.de hatten die Hamburger in einem Hamburger Kino eine Geburt inszeniert. Während des Werbeblocks vor Filmbeginn setzen bei einer Zuschauerin vermeintlich die Wehen ein; ihr Mann begleitet sie lautstark nach Hilfe telefonierend nach draußen. Wenige Minuten später strahlt der Filmvorführer einen Spot von stern.de aus, der vermeldet: "Zwillinge in Hamburger Kino geboren. Nirgendwo sind Nachrichten schneller. Stern.de." Der Saal tobte.
Bis zur Halbzeit: Dann trieb es wie schon am Vortag die Fußballfans zum Schicksalsspiel in die Bars an der Croisette, das für Frankreich später am Abend dramatisch enden sollte.
Für die Werber, die geblieben waren, kam der Schock nach Ende der Award Show: Panik. Es regnet in Cannes! Zog es früher die Delegierten gleich nach der Gala in Massen zur Eröffnungsfeier an den Carlton Beach - Bier und Champagner sind stets streng limitiert – verliefen sich die Delegierten in der ganzen Stadt auf dem Weg zurück in ihre Hotels.
Chiffonabendkleidchen, edles Anzugtuch, hochgesteckte Frisuren – Regen kann da tödlich sein. Die jeunesse dorée der Weltwerbung in Auflösung! Changez, mesdames! Changez your suits!
Am Carlton Beach hatten die Veranstalter derweil umgebaut, Regenschirme aufgestellt, die Deko abgeräumt, Servietten und Plastikteller mit Steinen gegen Windstöße gesichert. Trotzdem hinterließ das Unwetter seine Spuren: die Bohlen glitschig, die Tischdecken patschnass, das Partyparkett leer. Doch Cannes ist kreativ: Mit Heulsirenen vertrieben die Veranstalter die Regenwolken gen Osten. Nie zuvor dürften die Organisatoren einer Combo Band so dankbar gewesen sein wie diesen drei Sängerinnen, die das schlechte Wetter mit Hymnen, Arien und großem Halleluja einfach wegjaulten.
Als die erträgliche Musik vom Band wieder einsetzte, kamen auch die Gäste. Aus Deutschland: Jean-Remy von Matt samt Frau, die WerbeWeischers, ADC-Chefin Susann Schronen, viele deutsche Juroren. Zum Teil bemerkenswert gewandet: Matthias Kindler, The Companies, und Ute Poprawe, Publicis, hatte der Regenguss unerwartet erwischt. Dreimal hat sich Kindler umgezogen, nur um am Ende das zu tragen, was er schon Montag zum Fußballspiel zwischen Deutschland und Österreich anhatte: weiße Jeans, weiße Jeansjacke, nur der Schal war diesmal weiß. Poprawe trug zu ihrer wärmenden Fleecejacke wetterfeste Sneakers. Der Kreativität in Sachen Mode waren auf dem Empfang der Kreativbranche keine Grenzen gesetzt.
Um zwei Uhr morgens endete die Feier feucht, aber fröhlich in gewohnter Cannes-Manier mit einem Absacker vor der Gutter Bar. Heute Abend geht's weiter.