Gastbeitrag von Johannes Lenz:
Chatbots sind besser als ihr Ruf
Sind Chatbots einfach nur doof? Nein, sagt Akom360-Blogger Johannes Lenz.
Johannes Lenz*, Corporate Blogger bei der Agentur Akom360, hat mit drei Chatbot-Startups gesprochen. Ein Plädoyer für die virtuellen Assistenten.
Vor genau einem Jahr, im April 2016, gab Facebook auf seiner Entwicklerkonferenz F8 bekannt, dass es auf der Messenger Plattform künftig auch Bots geben werde. Bereits ein halbes Jahr später meldete Messenger-Chef David Marcus, dass mehr als 34.000 Bots auf der Plattform entwickelt wurden. Jetzt im April 2017 wurde auf der F8 publik, das bereits über 100.000 Bots für den Facebook Messenger gebaut wurden.
Dieser massive Anstieg hat bei Marketingentscheidern großes Interesse hervorgerufen. Zugleich weckte der entstandene Hype Erwartungen, denen die Chatbots und ihre Entwickler gar nicht gerecht werden konnten. So kann man die öffentliche Stimmung gegenüber Chatbots derzeit getrost als durchwachsen bis negativ beschreiben.
Aber: Dieses Urteil wird dem Potenzial, das Chatbots für ihre Nutzer und für Marken besitzen, nicht gerecht.
Wichtig ist es an dieser Stelle, begrifflich ganz klar zu sein, damit wir alle wissen, worum es bei den Begriffen Bots und Chatbots eigentlich geht. Bei Wikipedia heißt es: "Unter einem Bot (von englisch robot 'Roboter') versteht man ein Computerprogramm, das weitgehend automatisch sich wiederholende Aufgaben abarbeitet, ohne dabei auf eine Interaktion mit einem menschlichen Benutzer angewiesen zu sein."
Die weitere Definition auf Wikipedia: "Chatterbots, Chatbots oder kurz Bots sind textbasierte Dialogsysteme. Sie bestehen aus einer Textein- und -ausgabemaske, über die sich in natürlicher Sprache mit dem dahinterstehenden System kommunizieren lässt. ... Mit der steigenden Computerleistung können Chatbot-Systeme allerdings immer schneller auf immer umfangreichere Datenbestände zugreifen und daher auch intelligente Dialoge für den Nutzer bieten. Solche Systeme werden auch als virtuelle persönliche Assistenten bezeichnet."
In diesem Text geht es um Chatbots, also "textbasierte Dialogsysteme", die zum Teil weit mehr können, als nur regelbasierte Dialoge zu führen.
Der zuvor skizzierte rasante Anstieg von Chatbots auf dem Facebook Messenger lässt sich unter anderem dadurch erklären, das es Tools wie zum Beispiel Chatfuel gibt.
Sie ermöglichen es Menschen wie mir, die über keinerlei Programmierkenntnisse verfügen oder gar Nerds sind, innerhalb kürzester Zeit, kostenlos virtuelle Assistenten zu entwickeln.
Die meisten dieser Chatbots besitzen allerdings einen limitierten Funktionsumfang. Und wieder manche sind einfach nur doof, wie "Die Zeit" vor genau einem Jahr süffisant feststellte.
Gerade deswegen lohnt sich ein Blick auf den aktuellen Entwicklungsstand von Chatbots in Deutschland. Dafür habe ich mich mit den Gründern von drei Startups unterhalten, die Chatbot-Plattformen entwickeln.
Drei Startups, drei Chatbots, drei Entwicklungsstände
"Der Chatbot steht kurz vor der Skalierung – hierfür bauen wir mit Zalando einen In-Bot-Checkout. Ziel ist es, das Konzept von Conversational Commerce auch mit einem Chatbot zu beweisen," sagt Antonia Ermacora, Gründerin des Berliner Startups ChatShopper.
Das wäre überragend. Bisher ist mir kein E-Commerce-Chatbot in Deutschland und darüber hinaus bekannt, der das auf dem Facebook Messenger anbietet.
Warum wäre das ein Novum für die Nutzer? Ganz einfach, weil der Kauf über Emma, so heißt der Fashion-Bot von ChatShopper, komplett auf dem Messenger vollzogen würde.
Der Checkout, also der Bezahlvorgang, fände nicht mehr wie bisher im Shop von Zalando statt, sondern im Chatbot selbst. Damit wäre die Customer Experience, die ja durch Chatbots wie Emma verbessert werden soll, auf ein neues Level gehoben.
Mit relevanten Begriffen wie zum Beispiel Hose, Hemd usw. können Nutzer Chatbot Emma aktivieren. Auch ganze Sätze (zum Beispiel "Ich möchte eine kurze grüne Hose kaufen") können entsprechend beantwortet werden. Die gestartete Suche zeitigt rasch ein Ergebnis mit mehreren Produkten, die den Merkmalen entsprechen (kurz, grün, Hose).
Emma, die somit auch als Conversational Chatbot bezeichnet werden kann, benötigt für diese Resultate allerdings eine Menge Daten, um das dahinter liegende Natural Langugae Processing, kurz NLP, zur Zufriedenheit der Kunden zu realisieren.
Grundsätzlich kann gesagt werden, das je höher das Aufkommen der verfügbaren Daten ist, desto größer die Reaktions- und Dialogfähigkeit des jeweiligen Chatbots.
Antonia verweist in diesem Zusammenhang auf ein Problem, das vielen Nutzern wahrscheinlich gar nicht bewusst ist: Die Produktdaten, mit denen die Entwickler Emma regelmäßig "füttern", liefern längst nicht die Details, die der Chatbot eigentlich benötigt.
Chatbots haben Probleme mit Sarkasmus
Überdies hat der Fashion-Bot wie viele seiner "Artgenossen" Probleme mit dem Kontext und besonderen Sprachformen, wie zum Beispiel Sarkasmus.
Das wird offensichtlich, wenn man vom bisherigen Gesprächsverlauf abweicht und dem etwa "Nein Emma" schreibt.
Emma antwortet dann mit einer Standardantwort: "Tut mir leid, darauf habe ich leider keine Antwort ". Führt man den Dialog trotzdem fort, so wiederholt sie diese Antwort.
Wählt man aber einen Begriff aus dem Fashionumfeld, den sie zuordnen kann, sucht sie wieder nach einem passenden Stück und stellt weitere vor.
Das zeigt, dass Emma kein hybrider Chatbot ist, sondern voll automatisiert. Es gibt keine Person, die im Hintergrund als eine Art Supervisor zum Einsatz kommt, wenn ein Gesprächsverlauf nicht mehr regelkonform verläuft.
Vom E-Commerce über den automatisierten Kundenservice hin zur Dialogue-Engine
Zur Zeit ist in der Marketingwelt viel von Begriffen wie Customer Journey und Customer Experience die Rede. In der öffentlichen Diskussion werden Chatbots oft in Beziehung zur Digitalisierung und der damit einhergehenden Automatisierung gebracht. Die Customer Journey und vor allem die Customer Experience fallen dabei aber weniger ins Gewicht.
Zu Unrecht, denn 63 Prozent der internationalen Marketingentscheider wollen sich im laufenden Jahr mit Nachdruck auf die Optimierung der Customer Experience konzentrieren.
Eine Maßnahme zur Optimierung könnte darin bestehen, den Kundenservice mit Hilfe von Chatbots zu automatisieren. Das hätte Vorteile sowohl für die Kunden als auch für die Marken.
Kunden erwarten, dass ihre Anfragen, die sich übrigens häufig sehr ähnlich sind, effizient bearbeitet werden. Unternehmen optimieren immer wieder ihre Arbeitsabläufe, um zum einen die Customer Experience zu verbessern und zugleich Kosteneinsparungen zu erzielen.
E-bot7 setzt mit seiner Chatbot Plattform genau hier an. Das Startup ermöglicht es Unternehmen, ihren Kundenservice skalierbar zu automatisieren.
"Die Plattform ermöglicht es Unternehmen, einen personalisierten Chatbot auf allen Messaging Kanälen (Website Chat, Facebook Messenger, Whatsapp, Telegram uvm.) zu integrieren," erläutert Xaver Lehmann, Managing Director des Münchener Startups.
Mit O2 hat das Team einen namhaften Pilotkunden gewonnen, der jede Menge Daten besitzt und zur Verfügung stellt.
Die Chatbot-Plattform muss (künftig) zufriedenstellende Antworten auf folgende Fragen geben: Stimmt die Bearbeitungsgeschwindigkeit? Stimmt die Qualität der Bearbeitung? Funktioniert die Integration des Chatbots in das Customer Relationship Management (kurz CRM) Tool des jeweiligen Unternehmens?
Wie eingangs erwähnt, sind derzeit viele Chatbots auf dem Facebook Messenger in ihrem Funktionsumfang limitiert. Das bedeutet, das sie auch im direkten 1-zu-1 Dialog nicht die Tiefe erreichen, die sich viele im Laufe des "Chatbot-Hype-Jahres 2016" versprochen haben.
"Kern unseres Produktes ist eine eigene Dialogue Engine, mit einem eigenen Stack an NLP/ Natural Language Understanding (NLU) Technologien. Dadurch wird es möglich, dynamischen Dialog zu erzeugen, der nicht aus einem Entscheidungsbaum stammt, sondern emergent aus den zugrundeliegenden Daten und dem Kontext erwächst."
Für Stefan Trockel, Gründer des Bielefelder Startups Mercury.ai besteht die Herausforderung bei der Entwicklung von Chatbots nicht mehr darin, zu definieren, wie der Bot reagiert, wenn der User "A" sagt, sondern mit welchem Dialogverhalten der Bot von kontextuellem Zustand x zu Zustand y kommt.
Das große Ziel vieler Chatbot-Entwickler ist es, mit ihrem Produkt eine menschlich wirkende und natürlich-sprachliche 1-zu-1 Interaktion abbilden zu können. Der Chatbot, der im Mai für einen großen FMCG Kunden gelauncht wird, muss den intelligenten Dialog beherrschen.
"Man bringt dem Chatbot keine Fragen und Antworten mehr bei, sondern die Fähigkeit, mit Informationen und Wünschen des Users adequat umzugehen," beschreibt Trockel.
Das ist ein signifikanter Unterschied zu vielen anderen Chatbots, die über Retrieval Based (regelgebundene Datenbank-Abfrage) nicht hinauskommen und in Schwierigkeiten geraten, sobald der Nutzer bzw. Kunde den vorgegebenen Dialogpfad verlässt.
2017 wird in Sachen Chatbots das Jahr der Customer Experience
Die drei Beispiele zeigen, dass der Entwicklungsstand bei Chatbots speziell in Deutschland um ein vielfaches höher ist, als es in der aktuellen Debatte dargestellt wird.
2017 wird in Sachen Chatbots das Jahr der Customer Experience. 2016 wurde experimentiert, wurden Chatbots schnell realisiert und gelaunched. Dieses Jahr werden wir vermehrt Chatbots auf dem Facebook Messenger kennenlernen, die einen Schritt weitergehen, die dialogsicherer sein werden, die mehr Individualität bieten werden und die insgesamt über ein höheres Skill-Set verfügen.
Chatbot-Entwickler werden immer mehr zu Enablern zwischen Kunden und Marken. Letztere müssen dort sein, wo ihre Kunden sind und diese kommunizieren digital immer häufiger per Messenger. Der Shift in der persönlichen Kommunikation ist längst vollzogen. Whatsapp und Facebook Messenger sind in Deutschland die Platzhirsche.
Der Status Quo wird sich in dem Maße verändern, in dem die User Experience sich verbessert. Gleichzeitig werden smarte Assistenten mit Voice Interface wie Amazon Alexa mehr und mehr zu Begleitern des täglichen Lebens.
Dabei muss klar geregelt sein, wie der Umgang mit den Nutzerdaten in der Praxis aussieht. Der Schutz der individuellen Daten muss auch in Zeiten einer immer schnelleren Automatisierung unserer Gesellschaft Bestand haben.
Zugleich gilt: Wir haben keine Zeit dafür, abzuwarten oder gar zu zaudern. Die Digitalisierung schreitet voran, ob wir es wollen oder nicht.
Wir müssen die Zukunft jetzt (mit-)gestalten!
*Johannes Lenz ist Corporate Blogger bei der Agentur Akom360. Lenz gehört auch zu den "Digital Leader", eine feste Gruppe von Bloggern, die ihre Meinungen und Kommentare via LEAD digital verbreitet.