Wechat oder Sina Weibo, nie gehört? In China undenkbar

Quasi jeder Nutzer des nach außen, aber nicht von außen hermetisch abgeriegelten chinesischen Mobilnetzes nutzt Wechat. Die Nutzungsdauer ist darüber hinaus enorm: 54 Prozent der über 750 Millionen Wechat-Nutzer verbringen täglich mehr als 60 Minuten in der App, 17 Prozent sogar mehr als vier Stunden.

Als simple Messenger-App gestartet, hat es Wechat – wie keine andere App der Welt zuvor – innerhalb kürzester Zeit geschafft, zum Dreh- und Angelpunkt des mobilen Lebens seiner Nutzer zu werden. Sowohl die direkte Kommunikation zwischen Personen, das Buchen und Bezahlen von Taxis als auch die Interaktion zwischen Kunden und Firmen finden in China mittlerweile oft ausschließlich innerhalb der App statt.

Dabei wirkt der Startscreen von Wechat zunächst wie ein simpler Messenger, außer dass alles bunter, animierter und emotionaler ist – wie die chinesischen Konsumenten auch. Erst in der zweiten Ebene wird klar, dass es bei Wechat mehr Funktionen als den Chat gibt. So versteckt sich etwa unter dem Menüpunkt „Entdecken“ die Momente-Funktion: Hier können Nutzer ihre Meinungen und Erlebnisse in Form von Text, Videos, Fotos und Links teilen. Daneben gibt es etwa 560 000 öffentliche Firmen-Accounts, die Unternehmen als Plattform für ihr Content-Marketing nutzen können. Besonders spannend: Nahtlos lassen sich Teile der Firmenwebseite und so der erweiterte Vertriebsprozess integrieren. Durch zusätzliche Funktionen wie E-Commerce, E-Payment und M-Payment sowie die Erweiterung von Wechat um selbstprogrammierte HTML5-Web-Apps ist Wechat der Digitalisierungstreiber der chinesischen Wirtschaft schlechthin geworden.

Auch deutsche Firmen wie Siemens, Kuka und Daimler sind hier vertreten. So ist es etwa das Ziel des Duty-free-Anbieters Gebr. Heinemann, chinesische Touristen und Geschäftsreisende vor ihrem Flug anzusprechen und auf Angebote in Deutschland aufmerksam zu machen – etwa Reiseziele, kulturelle Highlights oder Produkte. Dafür nutzt das Familienunternehmen einen Wechat-Firmen-Account. Eine weitere Besonderheit der App erweist sich dabei als besonders hilfreich: Die Einträge sind deutlich visueller und umfangreicher als Beiträge auf Facebook oder Twitter. Von Umfang und Layout ähneln sie eher einem Blogpost.

Die Übermacht von Wechat hat zur Folge, dass andere Apps und Plattformen mit einem ebenfalls großen Publikum inzwischen oftmals vergessen werden. Etwa Sina Weibo. Einst als das „Twitter Chinas“ gestartet, steckt die App heute in einer ähnlichen Sinnkrise wie das US-Pendant. Seit einigen Jahren stagnieren die Nutzerzahlen. Diejenigen allerdings, die bereits auf Weibo sind, werden zunehmend aktiver. Das macht die Plattform nach wie vor zu einem wichtigen Teil des chinesischen Social-Marketing-Mix.

Ähnlich wie Twitter hat Sina Weibo eine Obergrenze von 140 Zeichen, mit dem Unterschied, dass sich in 140 chinesischen Zeichen deutlich mehr Informationen verbreiten lassen als auf Deutsch oder Englisch. Die App zieht vor allem Online-Meinungsführer an und solche, die an offenen Diskussionen inter­essiert sind. Hashtags bieten ihnen einen interessanten Gegensatz zur geschlossenen Messenger-Kommunikation von Wechat, wo Nachrichten und Postings nur von direkten Kontakten gelesen werden können. Das führt dazu, dass Unternehmen der Follower-Aufbau bei Sina Weibo viel schneller gelingt.

Die App eignet sich deswegen vor allem für den Start von neuen China-Aktivitäten ausländischer Firmen. So hat zum Beispiel die Daimler-Tochter Car2go den Launch der Carsharing-Angebote in der Stadt Chongqing über ein Jahr mit einer Weibo-Kampagne begleitet. Aktuell haucht der Plattform vor allem das Thema Livestreaming neues Leben ein und erhöht so wieder ihre Relevanz.

Die koreanischen App-Charts werden dagegen seit Jahren von Kakao Talk dominiert. Ähnlich wie Wechat hat sich die App als lokaler Messenger ganz nach vorn gespielt: Mit der Funktion „Yellow ID“ können gerade kleinere Firmen direkt mit Nutzern chatten; die größeren nutzen eher den „Plus Friend“-Service. Über ihn können Gutscheine und Updates, ähnlich einer Facebook-Seite, an Nutzer rausgeschickt werden. Allerdings ist die Konkurrenz in den koreanischen App-Stores aufgrund der freieren Ausgangslage stärker: Facebook Messenger und Co. sind mittlerweile stark auf dem Vormarsch.

Wie Snapchat, bloß auf Steroiden

Das neueste Kind der koreanischen App-Schmiede Camp Mobile, einer Tochterfirma des koreanischen Suchmaschinen- und Por­talgiganten Naver, heißt Snow und ist eine Art Snapchat, bloß auf Steroiden. Mit Snow versucht Naver, den Erfolg von Snapchat zu ­kopieren, mehr noch: den amerikanischen Konkurrenten zu übertrumpfen. Mit einer wesentlich höheren Zahl an Filtern und Einstellungsmöglichkeiten bietet Snow vor allem als Kamera-App erheblich mehr Möglichkeiten als das Original. Für Unternehmen ist Snow – ähnlich wie Snapchat – derzeit allerdings noch im Experimentierstadium.

Maskottchen sind ein essenzieller Bestandteil des japanischen Marketings. Beinahe jede Stadt, jede Schule, jeder Service und jedes Produkt hat einen eigenen Comic-Charakter, der der Wiedererkennung dienen soll. Eine Eigenart der Kommunikation in Japan, die den Messenger Line im Land der aufgehenden Sonne riesig gemacht hat. Kostenpflichtige Sticker haben die App – deren Mutterkonzern Naver aus Südkorea kommt, deren Entwicklerteam aber in Japan sitzt – sehr schnell profitabel gemacht. Die eigenen Maskottchen Brown und Cony sind inzwischen aus dem japanischen, sprich: visuellen Alltag nicht mehr wegzudenken.

Hauptsache, grell, bunt und süß

Die Sticker, die als Inspiration für Facebooks Sticker-Initiative zu sehen sind, dienen mittlerweile auch vielen Firmen und Organisationen als Marketinginstrument. Eigene Sticker-Reihen sind zwar teuer, werden aber dennoch oft genutzt. Beispielsweise zur Promotion von Kinofilmen. Gerade haben sich die Finding-Dory-Sticker ganz vorn im Sticker-Shop-Ranking platziert. Offizielle Kanäle von Firmen gehören wie bei Wechat oder Kakao Talk inzwischen zum Standard der japanischen Digitalkommunikation.

Ob Japan, Korea oder China: In Ostasien sind Messenger und mobile Netzwerke nicht mehr aus der Kommunikation wegzudenken. Alles dreht sich um die Plattformen auf dem Smartphone. Um zu punkten, müssen Unternehmen mobil denken und die Begeisterung Ostasiens für alles Bunte, Grelle und Süße in die eigene Unternehmenskommunikation integrieren. Möglichkeiten gibt es genug. Denn die wichtigsten Apps aus Fernost sind eigentlich alle in den deutschen App-Stores verfügbar.

Die Autoren: In den Büros von Storymaker sitzen gleich zwei ausgewiesene Asien-Experten: Björn Eichstädt leitet als Managing Partner das Münchner Büro der Digitalagentur, Sven Spöde arbeitet vom Hauptsitz in Tübingen. Der Account-Manager reist regelmäßig nach China und berät Kunden in ihrer chinesischen und ostasiatischen Strategie. Eichstädt verantwortet neben der Unit für Digitalkommunikation auch Marketing und Vertrieb von Storymaker. Außerdem unterstützt er japanische Technologieunternehmen beim kommunikativen Markteintritt in Europa. In den vergangenen sechs Jahren war er 23 Mal in Japan.

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Autor: W&V Gastautor:in

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