Reichweite muss, kann und darf erkauft werden. Manche Reichweiten kaufen Marken ganz direkt: über Mediaeinsatz. Andere sind indirekt bezahlte Reichweiten, etwa wenn Kommunikationsberater Markenbotschaften des Kunden platzieren. Wieder andere basieren auf derart relevanten Ideen, dass sie sich völlig von selbst verbreiten. Dass aber kommerzielle Botschaften auch ein Preisschild haben, darf trotz aller Wut doch gerne respektiert werden.

Eine Erfahrung aus dem Content-Zeitalter ist, dass man auch dann, wenn man Prime-Time-Zeiten kauft, am besten ein wenig Achtung vor den inhaltlichen Interessen seiner Zielgruppe haben sollte, und dass man mit gekaufter Aufmerksamkeit so ähnlich umgeht wie mit geschenkter Aufmerksamkeit: respektvoll.

Können sich aber Marekteers nun entspannt zurücklehnen, weil einige Enkel von Springer & Jacoby "Content” nur für eine Mode, eine Welle oder ein Buzzword halten? Natürlich nicht. Markenführung ist anders geworden: liquide, agil und weniger formal. Es gibt einen "Content-Stil", einen "Magazine-Style" der Markenführung. Es gibt einen neuen Weg, erfolgreiche Brands zu steuern – einen Weg, der nicht ignoriert werden kann. Die Marke Coca-Cola wird so geführt. Die Marke Telekom wird so geführt. Inhaltlich, agil und unter Einbeziehung von Perspektiven aus dem Content Marketing. Das kann auch Thomas Strerath nicht ignorieren.

Und nein, beide Marken ziehen ihren Haupterfolg eben nicht nur aus "Hero"-Kommunikation, sondern aus langfristig gespielten Themen, jeweils aktuell gedacht und inhaltlich aufgeladen und mit erfolgreichen eigenen Content-Plattformen und Medien. Für mich ist klar: Wer aus einem Baumarkt ein Projekt machen kann und aus einem Panzer einen Hammer, der nicht nur geliked und geteilt, sondern auch gekauft wird, ist weiter als andere, weil er den Gedanken von Content Marketing nicht nur begriffen hat, sondern auch prägt. Weiter als Agenturen, deren gewünschte Interaktion mit ihrer Idee schlicht "Applaus" ist.

Emotionen zu prägen ist eine große Kunst und eine noch größere, sie mit Kreativität zu inspirieren. Ideen sind, davon bin ich überzeugt, der Motor der Kommunikation. Beim Auto ist der Motor der Kern – ohne ihn geht gar nichts. Ein Auto muss im Jahr 2016 aber mehr haben als einen Motor, muss mehr können als fahren. Andere Aspekte sind genauso wichtig, manchmal sogar wichtiger. Die Entwicklung von Assistenzsystemen und vernetzter IT im Auto, das User Interface und der USB-Anschluss können für den Autokauf ausschlaggebender sein als der Antrieb.

In der Kommunikation funktioniert diese Analogie genauso: Es gibt nicht mehr den einen Kern, die eine Zuspitzung, die dem Großen und Ganzen alleine gerecht wird. Vielleicht müssen die Sichtweisen von Agenturen auf Autos anders werden, die von Marketeers auf Marken und die von Kreativen auf Motoren. Im Marketing geht es häufig um Emotionen – und immer häufiger um Conversions.

Emotionen sind nicht dasselbe wie Relevanz und über 20 Jahre nach GGK und S&J gibt es eben auch nicht nur neue Gedanken, sondern auch neue Agenturmodelle. Die besten Kreativen haben das längst verstanden und prägen diese Diskussion, indem sie virtuos auf dem Content-Klavier spielen.

Die Welt der Markenführung hat sich geändert, weil die Spitzen von Pyramiden, der Kernwert von Marken, die Fokussierung auf eine singuläre Idee, die überall durchdekliniert wird, das eine Key Visual, der eine Traum, der eine Bang, der "Hero", eben nicht mehr das eine Ziel der Übung ist. Zuspitzung alleine genügt heute bei Weitem nicht mehr, um in der Wertschöpfungskette einer Marke eine Rolle zu spielen.

Content Marketing ist keine Lüge, macht nicht wütend, ist kein Sozialismus, in dem im Idealfall alles kostenlos ist. Vor allem sollte Content Marketing nicht von jedem als Buzzword missbraucht werden, der es überhaupt nicht versteht. Markenführung ohne Content-Kompetenz, ohne ernsthafte Auseinandersetzung mit Content, kann auch neue Ideen und Effizienzpotenziale nicht nutzen. Die Marke als Medium zu sehen, ist eine spannende, fruchtbare Perspektive, eine Blickrichtung, aus der zu schauen sich lohnt, genauso wie es auch gut tut, nach dem ganzen Runterregeln aller Werbekosten in die Kraft von Marken zu investieren. Und große Ideen nicht als Kern von Kampagnen zu sehen, sondern im Zentrum von Episoden, Formaten oder Plattformen. Der Tschiller-Tatort funktioniert als Marke, als Format, als Episode und als Plattform. Guter Content eben.

* Der Autor: Bernhard Fischer-Appelt, Jahrgang 1965, ist Gründer und Vorstand der Fischer Appelt AG. Seine Agenturgruppe beschäftigt rund 400 Mitarbeiter und bietet PR, Werbung, Digital, Bewegtbild, Design, Live Marketing und Strategische Kommunikation an. Fischer-Appelt studierte Volkswirtschaftslehre und Politische Wissenschaften an der Universität Hamburg sowie Industrial Relations und Personnel Management an der London School of Economics and Political Science. Er wurde mit zahlreichen Preisen in den Bereichen Werbung, Design und PR ausgezeichnet, unter anderem den Cannes Lions, dem London International Awards und dem Deutschen PR Preis.

Anmerkung der Redaktion: Thomas Knüwer ist zwar als Verfechter von werbefinanziertem Digitaljournalismus bekannt geworden und gilt als Paid-Content-Skeptiker. Die Journaliamus-Debatte ist aber eine andere als die über Content Marketing. In seinem Text für W&V Online hat Knüwer nicht gefordert, dass die Distribution von Content kostenlos sein muss.


Autor: W&V Gastautor:in

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