
Whitepaper:
Das Konsumverhalten nach der Epidemie
Der Blick in die Zukunft fällt aktuell schwerer denn je. Die Agentur Jung von Matt und die Unternehmensberatung McKinsey präsentieren mit dem Whitepaper "Post-Pandemie-Konsum" daher "erwartbare Veränderungen".

Foto: JvM / McKinsey
Aktuell sind die meisten Unternehmen völlig damit ausgelastet, die Negativfolgen der Coronakrise bestmöglich abzufedern. In erster Linie mit Blick auf die Gesundheit der Mitarbeiter, aber auch mit Blick aufs wirtschaftliche Überleben. Die vielen Studien, die aktuell den Markt förmlich überschwemmen, greifen zumeist den jeweiligen Status quo auf. So, wenn es beispielsweise um die Zufriedenheit der Menschen geht und um ihr Konsum- und Informationsverhalten. Wichtig und interessant für Werbungtreibende. Nur wenige Studienmacher indes versuchen ein Szenario für die post-virale Zeit zu entwickeln.
Man muss sich an das neue "Normal" gewöhnen
Jung von Matt und McKinsey versuchen genau das in dem gemeinsamen Whitepaper "Post-Pandemie-Konsum" zu leisten. Und stoßen dabei doch an ihre Grenzen. Denn zum einen lässt sich Stand heute nicht genau prophezeien, wie lange die Viruskrankheit die Welt noch in die Knie zwingt, zum anderen sind die wirtschaftlichen Folgen schwer absehbar. Allerdings, und hier sind sich die Autoren des Whitepapers einig: Corona wird einen nachhaltigen Einfluss auf das Leben der Menschen haben. Man werde sich an ein neues „Normal“ gewöhnen müssen. Ein bruchloser Anschluss an Vor-Corona-Zeiten ist illusorisch. Auch wenn vor allem die deutschen Konsumenten im Vergleich zu den Menschen in anderen Ländern vergleichsweise optimistisch sind.
Jeder Vierte geht aktuell davon aus, dass sich die Wirtschaft innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate wieder erholen wird. Diesen Optimismus teilen im Vergleich in Spanien nur 15 Prozent der Teilnehmer einer repräsentativen Konsumentenbefragung, in Großbritannien 15, in Frankreich und Italien nur 14 und in Portugal sogar nur 10 Prozent. Nur knapp jeder zehnte Deutsche rechnet mit einer langfristigen Rezession oder negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, die deutlich länger als zwölf Monate andauern werden. In den europäischen Nachbarländern glaubt dies im Schnitt gut jeder dritte Befragte. Allerdings wächst auch hierzulande die Verunsicherung.
Es sind Ergebnisse des aktuellen "Consumer Sentiment Pulse Check". Seit März 2020 befragt McKinsey regelmäßig repräsentativ Konsumenten in über 30 Ländern weltweit, 10 davon in Europa.
Marken müssen die Sinnfrage stellen
In der Folge der Krise ändern sich das Konsumverhalten und die Erwartungen an Marken. Sie, so ein Ergebnis von Post-Pandemie-Konsum, müssen künftig nicht nur vielleicht ehrlicher, faktenbasierter kommunizieren, sondern sich konsequent der Sinnfrage stellen. "Inzwischen ist das Thema wirklich bei unseren Kunden angekommen. Sie wissen, dass sie Verantwortung übernehmen müssen", sagt Sascha Lehmann, Partner und Leiter der europäischen Marketing Service Line bei McKinsey. Dazu gehört auch Transparenz. Die Kunden wollen genauer über die Entstehung von Produkten, Lieferketten und in Anspruch genommenen Ressourcen informiert werden. Aber "eine Marke hat jetzt die Kraft, die Existenzberechtigung von Unternehmen in den Krisenzeiten zu manifestieren und Mut zu machen, zudem ist die Marke entschiedener Motor der Transformation", heißt es dazu in der Übersicht. Gleichzeitig wird es, wenn auch nicht in allen Branchen gleich stark ausgeprägt, zu Preiskriegen kommen und bei der Kommunikation stark auf promotionale Maßnahmen gesetzt werden. Und sei es nur, um verloren gegangenen Umsatz zurückzuholen oder übervolle Lager zu leeren.
Sechs Prognosen für die Zeit danach
Rethinking Globalization Das Verhältnis zur internationalen Vernetzung ist erschüttert. Das Zusammenbrechen internationaler Lieferketten und die dadurch spürbaren Engpässe in der Versorgung bewegen die Konsumenten dazu, neu zu denken: Warum brauchen wir Ware aus aller Welt? Warum suchen wir nicht in unserem regionalen Radius nach Waren und Wertschöpfung? Marken müssen sich stärker mit ihrer nationalen und internationalen Identität auseinandersetzen, um Konsumenten schlüssige Antworten darüber zu geben, wo beschafft, produziert und vertrieben wird.
Konsument 4.0 Egal ob Home-Office in der Küche, Skype Sessions mit den Enkeln, Ausprobieren von Lieferdiensten, erste Unterhaltungen mit Alexa und Siri oder Training mit der Fitness-App: Die Quarantäne hat die Konsumenten bereit gemacht für digitale Services. Für viele Unternehmen können hier neue Erlösmodelle entstehen. Voraussetzung dafür sind funktionierende und digitale Ökosysteme, zusammengehalten von der digitalen DNA der eigenen Marke.
Bubble Society
Die physischen Kieze sind stärker zusammengerückt. Regionale Plattformen für Nachbarschaftshilfe oder zur Unterstützung lokaler Betriebe halten in ganz Deutschland die Gesellschaft zusammen. Durch den rein digitalen Austausch verstärken sich aber auch digitale Echokammern. Durch diese Entwicklungen wächst die Kommunikationsaufgabe für Marken. Es gilt die richtigen Zugänge zu etablieren, um diese Blasen als eigene Gestaltungsräume zu nutzen. Physisch wie digital.
Verkürzte Customer Journey Dadurch, dass sich das Leben der Menschen in die eigenen vier Wände verschoben hat, sind aktuell Änderungen der Vertriebswege zu beobachten. Digitale Assistenten, Lieferdienste und Abo-Modelle boomen. Dadurch werden stationär gelisteten Marken zumindest kurzfristig die oberen Funnel-Stufen abgeschnitten. Ob sich diese Entwicklung auch langfristig halten wird, wird sich zeigen. Durchgehend reversibel werden die Änderungen des Konsumentenverhaltens aber nicht sein.
Renaissance der Fakten Ob Virologe Professor Drosten oder die Physikern Angela Merkel: Wir erleben ein Hoch faktenbasierter Berichterstattung. Diese neue Lust auf das Validierte und Verifizierte kann den Transparenzanspruch an Marken deutlich erhöhen.
Employer Branding At Home Ein ganzes Land im Home-Office - zumindest für die Wissensgesellschaft fühlt sich das so an. Für Arbeitgebermarken fügt sich damit eine neue Dimension hinzu, die gestaltet werden muss. Sei es die Haltung zur Office-Home- Balance, die Qualität der virtuellen Infrastruktur oder die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen digitalen Kultur: Hier entsteht Handlungsbedarf.
Es sind andere Rahmenbedingungen, auf die sich Marken einstellen müssen. Welchen Gestaltung- oder Wirkraum sie dabei haben, definieren laut den Autoren des Whitepapers drei Spannungsfelder mit jeweils gegensätzlichen Polen. So dockt der emotionale Radius einer Marke an globale oder lokale Konsumentenbedürfnisse an. Das heißt, von ihnen wird erwartet, dass sie sowohl den globalen Herausforderungen gerecht werden, gleichzeitig aber auch lokale Bedürfnisse befriedigen und mithelfen, lokale Probleme zu lösen. Der soziale Mehrwert einer Marke wiederum verstärkt entweder individuelles oder kollektives Streben. Und die Grundorientierung einer Marke adressiert das Verhältnis zwischen Vor- und Rückwärtsgewandtheit.
Vieles davon klingt einleuchtend. Allerdings gibt es wohl aktuell wenige Unternehmen, die als Vorbilder für entsprechend zukunftsgerichtetes Verhalten genannt werden können oder sich bereits als "Gewinner" der postviralen Zeit abzeichnen. Zumindest vermittelte Jesko Perrey, Senior Partner und Global Knowledge Leader Marketing & Sales Practice bei McKinsey, diesen Eindruck. Denn seine Beispiele, darunter Starbucks, das Kaffee an Helfer abgibt oder Luxuswaren-Anbieter, die Desinfektionsmittel herstellen, dürften bei den mit der Krise kämpfenden Unternehmen nicht den großen Aha-Effekt auslösen. Bei aller Unterstützung dieser und vergleichbarer Aktionen.