
Interview mit Christoph Thielecke:
Das Weihnachtsvideo-Duell der Händler
Mehr Retailer denn je setzen in diesem Jahr in ihren Weihnachtskampagnen auf emotionales Online-Storytelling. W&V Online hat mit Christoph Thielecke, Unruly Deutschland, darüber gesprochen, was Weihnachtskampagnen wirklich erfolgreich macht. Und wer die Nase vorn hat.

Foto: Edeka
Mehr Retailer und Marken denn je setzen in diesem Jahr in ihren Weihnachtskampagnen auf emotionales Online-Storytelling. In der Hoffnung auf steigende Absätze und einen Viral-Erfolg, wie ihn Edeka im vergangenen Jahr mit #Heimkommen hingelegt hat. Doch Views sind nicht alles, sagt Christoph Thielecke, Geschäftsführer von Unruly Deutschland. W&V Online hat mit ihm darüber gesprochen, was Weihnachtskampagnen wirklich erfolgreich macht.
Welche Trends dominieren die Weihnachtswerbung in diesem Jahr?
Der deutsche Social Video Content Markt zu Weihnachten befindet sich immer noch im Testlabor - UK verliert jedoch an Vorsprung, den sie sich über die vergangenen Jahre aufgebaut haben. John Lewis und andere dominieren mit stark emotionalisierenden Video-Contents seit mittlerweile vielen Jahren das Social Web. Wir Deutschen greifen selbstverständlich Weihnachten als saisonales Abverkaufsmomentum auf, bedienen uns aber erst seit kurzem der Social Video Disziplin. Aber seit Edekas #Heimkommen erleben wir, dass Kunden sich viel intensiver Wissen aneignen und das gefährliche Halbwissen, wie es zu solchen Erfolgen kommen kann, ablegen. Als Content-Trend Format dominiert Social Video, speziell diese Disziplin transportiert zu Weihnachten die Emotionen wie Wärme, Häuslichkeit und familiäre Nähe besser als alle anderen.
Welche Ansätze sind besonders erfolgreich?
Um diese Frage zu beantworten, braucht es erst einmal die Definition von Erfolg. Wenn damit die für jeden ablesbare Anzahl der Video Views gemeint ist, dann ist dieser Blick viel zu eindimensional. Views kann sich jeder Werbetreibende bei den Plattformen erstmal in beliebiger Anzahl kaufen. Es wäre also nur derjenige erfolgreicher, der mehr Media-Budget in die Hand nimmt. Zugegeben, es ist viel leichter nur auf den Counter als Erfolgskriterium zu starren, aber der simple Einkauf von Reichweite ist zunächst kein Erfolg.
Erfolgreich ist, wenn sich die aus Paid-Media erhofften Erwartungen einstellen oder übertreffen. Und jeder Werbetreibende sieht die Views als nachgelagerte Ziele, zumindest tun dies unsere Kunden. D.h. tatsächlich können wir von außen gar nicht beurteilen, welche Brandmetriken gezielt verfolgt werden und wie die Kampagne dagegen läuft.
Welche Kriterien sind noch wichtig?
Für uns ist immer spannend, wie hoch die soziale Relevanz eines Inhaltes ist, das Verhältnis des ebenso öffentlich ablesbaren Engagements, darunter fallen Likes, Dislikes, Kommentare, Shares, zur Anzahl Views. Das ist zwar immer noch kein vollständiger Blick, aber das ist erst einmal das an Daten, was öffentlich einsehbar ist. Ist das Verhältnis niedrig, also wenig Engagement, aber viele Views, dann ist die Relevanz in der Zielgruppe nicht so groß und wir können davon ausgehen, dass mehr Paid-Media im Spiel ist, als dass die Begeisterung der User über Engagement zu viel kostenloser Reichweite, Earned Media, on Top zur Paid-Media geführt hat. Wenig Engagement kann eben nicht zu viel Earned Media führen. Andererseits führt viel Engagement zu viel kostenloser Earned Media. Edeka ist das im letzten Jahr wunderbar gelungen.
Und wer liegt diesmal vorn?
Zählen wir alles an öffentlich einsehbarem Engagements auf den beiden großen Plattformen zusammen und setzen es ins Verhältnis zu den ebenso ausgewiesenen Views (Engagement Rate), dann führt auch in diesem Jahr Edeka mit 1,23%, gefolgt von Penny mit 1,16% und etwas abgeschlagener Otto mit nur 0,51% Engagement Rate (Stand 22.11.2016).
Edeka: "Zeitschenken"
Penny: "Weihnachtswunder"
Otto: #Zeitgeschenk
Das Gute ist, dieser Betrachtungswinkel ist erst einmal vom Media-Spending losgelöst. Es zählt daher nicht, der eine hätte aber mehr Budget eingesetzt, als der andere. Die Engagement-Rate liegt in der DNA des Contents sowie in der Media-Strategie. Schlechter Content kann mittels guter Media-Strategie nicht zum viralen Hit werden, allerdings kann guter Content von einer mittelmäßigen Media-Strategie um sein Potenzial gebracht und ausgebremst werden. Zwei der drei genannten Spots sind mit sehr ähnlicher Media-Strategie am Start.
Das Rennen ist aber noch nicht vorbei und es kommen noch spannende Wettstreiter, die eventuell die Karten neu mischen.
Edeka und Otto widmen ihre Kampagnen in diesem Jahr, ähnlich der britischen Marke Sainsbury, ein und demselben Weihnachtsthema, unterschiedlich interpretiert: "Zeit schenken". Ist das ein Problem?
Nicht nur die drei, auch Penny setzt da an, und es wird mindestens noch ein weiterer Werbetreibender darauf aufbauen. Ich sehe das nicht als Problem. Auch nicht, dass Coca-Cola das Thema bereits in der Vergangenheit bedient hat. Es kommt auf die kreative Umsetzung und Intensität an, Menschen emotional zu bewegen. Das übergeordnete Thema entscheidet nicht über die Stärke der Emotion. Wichtig ist nur, dass das Thema den Zeitgeist trifft und das tut es.
Sainsbury: The Greatest Gift
Und welchen finden Sie besser?
Ich würde lieber den vorgenannten Zahlenvergleich für sich sprechen lassen. Wir arbeiten mit beiden Advertisern zusammen. Aber bevor wir ausschließlich nur die Kreation vergleichen, gilt es zu bedenken, dass die Mediaplanung eine entscheidende Rolle spielt. Content is King, Distribution is Queen – aber die Queen hat die Hosen an. Beide Parteien haben sich für unterschiedliche Strategien entschieden.
John Lewis und Aldi Irland verabschieden sich von der rührseligen Story und setzen lieber auf Humor. Eine gute Idee?
Mit Unruly Pulse geben wir tiefe Einblicke, darüber welcher Advertiser welche Video-Content Strategien fährt, welche Videos wie gut funktionieren und können diese Daten auch in Kategorien, z.B. FMCG, gegeneinander vergleichen. Es ist immer wieder zu erkennen, dass der Content, der aus der üblichen Content-Strategie ausbricht, häufig erfolgreicher ist. Also, grundsätzlich eine gute Idee, aber bei weitem nicht alleinige Erfolgsgarantie. Dieses Spielfeld ist komplexer, als es von außen wirkt.
John Lewis: #BusterTheBoxer
Aldi Ireland: The Amazing Christmas Carrot
Hat einer der diesjährigen Weihnachtskampagnen das Zeug, den Edeka-Viralhit #Heimkommen vom Thron zu stoßen?
Bitte nicht ausschließlich auf den View-Counter schauen. Jeder Werbekunde könnte sich mehr Views einkaufen, als #Heimkommen auf sich vereint hat. Es ist nur eine Frage des Mediabudgets. Die Kampagne #Heimkommen hat ohne Zweifel eine enorme Reichweite erschlossen, aber ist nur durch den massiven Anteil des User-Engagements auf diese riesige Anzahl Views gekommen. Das kann sich ein Werbetreibender nicht kaufen. Das muss er sich in der Entstehungs- und Planungsphase erarbeiten. Dennoch ist ein viraler Hit nicht planbar. Pro Jahr gibt es weltweit gerade mal eine handvoll wirklich viral erfolgreiche Branded Content Videos. Glück gehört am Ende auch dazu, denn User-Engagement lässt sich nicht erzwingen. Ob eine Kampagne beide Komponenten, Views und Engagement, in vergleichbarer Anzahl in einem bedienen wird, steht erst im Januar fest.
Welche Rolle spielt der Online-Weihnachtsfilm mittlerweile im Vergleich zum klassischen TV-Spot? Braucht es überhaupt noch TV?
Auf John Lewis jährlichen Weihnachtsfilm warten die Redaktionen bereits seit Jahren immer wieder gespannt. Stellen wir die Frage mal so: An welchen Weihnachts-TV-Spot können sie sich erinnern? Oder im Vergleich, welches Social Video ist ihnen nachhaltig im Kopf geblieben? Es darf nicht mehr ausschließlich um eine Kontaktanzahl (z.B. View-Counter) oder gar den GRP gehen, die qualitatives User-Engagement in der Bewertung gar nicht berücksichtigen.
Auch wenn ich aus der Online-Welt komme und dafür ausschließlich die Flagge hochhalten sollte, hat TV natürlich weiterhin seine Berechtigung. Die Rolle von TV verändert sich kontinuierlich und es gibt immer mehr Herausforderungen. Es wird immer schwieriger, Konsumenten zu bewegen. Genau da setzen wir an, unseren Kunden aufzuzeigen, dass emotional stark ausgeprägter Social Video Content mit hohem Engagement-Potenzial auch im TV funktioniert und Menschen zur Kaufentscheidung bewegt. Mit dem kleinen technischen Nachteil, es fehlt die direkte Möglichkeit, im TV zu liken oder sogar zu teilen. Deshalb unsere Empfehlung, erst online Social Video und dann in TV verlängern.
Wird Weihnachtswerbung in Europa zur Kreativ-Messlatte für Videos, ähnlich wie die US-Spots zum Super Bowl?
Ganz klares Ja. Wir beobachten ein signifikantes Wachstum an Kampagnen wie auch Budgets in dieser Zeit, gepaart mit einem unglaublichen Sportsgeist zwischen den Werbetreibenden. Spannend ist, wie intensiv sich Kunden mit diesen Kampagnen auseinandersetzen, wie frühzeitig wir auch in Social Video Kampagne mit ins Boot geholt werden. Es kann so viel nicht richtig oder nicht voll ausgeschöpft werden – nicht nur zur Weihnachtszeit.
Branding oder Storytelling – was ist Weihnachten wichtiger?
Beides gleichermaßen. Bei Unruly betrachten wir die Kampagnen typischerweise im Dreiklang:
1. Integrale Einbettung der Brand in den Content
2. Bestmögliches Storytelling für Engaging Content
3. Optimaler Fit für die anvisierte Zielgruppe und Bevölkerungsquerschnitt gleichermaßen.
Übrigens, dass zu viel Branding die Nutzer vom Engagement abhält, ist ein Mythos und schon lange widerlegt.
Welchen Einfluss haben die emotionalen Kampagnen auf den Absatz des Handels? Wie nachhaltig wirken sie auch über das Weihnachtsgeschäft hinaus?
Jeder Werbekunde möchte doch mit seiner Kampagne früher oder später die Konsumenten zu seinen Gunsten beeinflussen. Je stärker die generierte Emotion - am liebsten so stark, dass aus der psychischen Reaktion eine physische Reaktion des Körpers wird, Tränen in den Augen, lautes Auflachen, oder Gänsehaut, desto intensiver die Verankerung im Gedächtnis. Wenn eine Kaufentscheidung bevorsteht wird der Brand bestehen, der mich irgendwann mal emotional stärker gepackt hat.
Wir testen mit Unruly EQ die Videos von Werbekunden und zeigen nicht nur auf, welche Emotionen wie stark ausgeprägt sind und mit welchem Erfolg zu rechnen ist, sondern auch, wie stark der Content auf die Brand Metriken, bis hin zur Kaufabsicht, einzahlt. Die langfristige Nachhaltigkeit können wir über EEG Testergebnisse ausweisen. So kann Video Content ganz genau auf gewünschte Erfolgsziele hin optimiert werden.
Laut einer aktuellen Nielsen Consumer Neuroscience Studie erzielen Werbemittel mit überdurchschnittlichem EEG Score – also emotionale Werbung – einen Sales Uplift um 23 Prozent. Aus dem Automobilsektor sind dank emotionaler Kampagnen Absatzsteigerungen von bis zu 70 Prozent bekannt.
Welcher Weihnachtsspot gefällt Ihnen persönlich bisher am besten? Und warum?
Hier bleibe ich neutral, allerdings freue ich mich auf den Spot eines Retailers, der jetzt erst startet, weil dieser ganz anders ist.
Weitere Weihnachtsspots des Handels:
Rewe: Weihnachten wird ein Fest
Ebay: "Weihnachten wie du es liebst. Genau deins."
M&S: Christmas with love from Mrs Claus
Lidl Ireland: Homecoming