
Blattkritik:
Der Ikea-Katalog wird zum Kundenmagazin
Noch nie gab es so viel Text im Ikea-Katalog. Zwischen Esszimmermöbeln und Küchenzeilen ist man plötzlich als Leser gefordert. Der Katalog wird zum Kundenmagazin. Und wohl auch zur Recruiting-Plattform. Eine Blattkritik.

Foto: Ikea / fotografiert von W&V
Das Medium mit der weltweit höchsten Auflage landete Montag mit einem satten Plopp im Postkasten. Der Ikea-Katalog 2016/2017 ist da. 330 Seiten dick. Auflage: 30 Millionen Exemplare in Deutschland, weltweit 211 Millionen. Und die sind voll mit bunten Dingen, die schöne Namen tragen und die man eigentlich nicht wirklich braucht, aber vielleicht dann doch irgendwie. Man kann ja mal schauen.
Also blättert man durch den handlichen Wälzer, bleibt hier hängen, schaut da genauer, misst in Gedanken schon mal diese nervige Schlafzimmerecke aus, verliebt sich in einen gelben Schrank. Aber diesmal ist etwas anders.
Selten war soviel Text im Ikea-Katalog. Zwischen Esszimmermöbeln und Küchenzeilen ist man plötzlich als Leser gefordert. Auf vier Seiten findet sich ein Artikel über den Nachwuchskoch und Improvisationskünstler Jonah Reiders. Weiter hinter steht ein Artikel über Kochen mit Kindern, inklusive "Fünf Elternregeln (von Kindern erstellt)". Auch ein Rezept gibt es, für ein "Pulled Lax Sandwich". Und man erfährt, wie Ikea seine Restaurants auf Nachhaltigkeit trimmt.
Ziemlich viel in diesem Katalog dreht sich um das Kochen, Zubereiten und Essen. Für Ikea ein Trendthema, das der Möbelkonzern natürlich mit seinen Produkten besetzen will. Aber auch ein Trend, der in der Kundschaft zu hohen Erwartungen und einem gewissen Perfektionismuswahn führt, so eine Analyse des Möbelhauses. Macht euch frei davon, improvisiert und genießt, lautet deshalb die Botschaft von Ikea im Spot der Stockholmer Agentur Acne, der den Foodporn-Wahn auf den Arm nimmt.
Auch die Artikel im Katalog und ergänzende Videos (via online und App) werben für einen entspannteren Umgang mit dem Thema Kochen.
Nicht nur dem Kochen widmet sich der Ikea-Katalog ausführlich. Vier Kunden aus Schweden, Dänemark und den Niederlanden dürfen im Interview erzählen, was für sie ein Zuhause ausmacht. Eine Ikea-Mitarbeiterin aus den USA berichtet, wie es war, für Ikea in Schweden zu arbeiten. Offenbar stressig und familiär. Weitere Artikel informieren über das Engagement der Ikea Foundation in der Flüchtlingshilfe, das Prinzip des "Democratic Design", Papier-Möbel und den Besuch einer Weberei in Indien. Und Ikea zeigt, wie man Möbel möglichst kunstvoll in flache Pakete packt.
Neben den zahlreichen Artikeln fällt noch etwas auf: Einzelne Produkte werden wie schon in früheren Katalogen besonders in Szene gesetzt. Die neuen Motive muten jedoch deutlich künstlerischer an. Ein Kinderbett ist von rotem Spielzeug umzingelt, Kleider schweben zu einem Schrank. Schattenspiele verzieren Teppiche und Schreibtisch. Das ist schön und fällt auf.
Im neuen Katalog will Ikea nicht nur einfach verkaufen, sondern sich und sein Engagement erklären. Der Katalog wird zum Kundenmagazin. Und wohl auch zur Recruiting-Plattform. Für Kunden, die möglichst viele Ikea-Produkte und Einrichtungsideen sehen wollen, dürfte die Eigen-PR im Katalog ein bisschen zu viel des Guten sein. Zumal die Dachzeile "Reportage" oft arg irreführend ist, wenn zum Beispiel Ikea-Designer über die neue Sofaserie Vallentuna schwärmen. Text alleine macht noch keine Reportage. Der Content-Ansatz ist nicht verkehrt. Aber wenn man schon die Möglichkeit hat, seine Botschaft in einem eigenen Medium mit solch einer Millionen-Auflage zu verbreiten, hätte etwas mehr Nutzwert nicht geschadet. Oder grundlegendere Artikel über die Geheimnisse guten Designs.
Vielleicht bietet das die neue Ikea Katalog App, die derzeit noch einen Countdown anzeigt. Dort kann man Ikea-Produkte mit Augmented Reality im eigenen Zuhause anzeigen lassen und sich Räume in 360-Grad-Ansicht ansehen.
Auch Ikea Deutschland (Agentur: Thjnk) widmet sich dem Schwerpunktthema Küche - aber auf etwas andere Art: