Mike Kleiß ist Gründer und CEO der Kommunikationsagentur GOODWILLRUN.

Mike Kleiß

Aber es kam noch besser: Trump wurde somit zur Cash Cow des Unternehmens. Der Deal: Twitter lies Trump gewähren, machte ihn zum ersten und wohl für lange Zeit mächtigsten Social-Media-König. Ungehindert schaute man zu, wie ein moderner Imperator und Diktator geboren und erwachsen wurde. Auf der anderen Seite wurde Trump so der perfekte unbezahlte Markenbotschafter und Influencer für Twitter. Nahezu jeder Chefredakteur, nahezu alle Medien folgten und zitierten Trumps irre Twitterei. Ein Vertrag aus der Hölle, für alle. Vor allen Dingen aber für den Journalismus, denn der ging dem Twitter-Trump-Komplott fast ein halbes Jahrzehnt lang immer wieder auf den Leim und hing an der Trumpschen Twitter-Nadel.

Die Marke Twitter ging dabei ein großes Risiko, denn bis heute weiß niemand, welchen Image-Verlust die Marke Twitter durch den Pakt mit dem Teufel erlitten hat. Jedoch auch die Glaubwürdigkeit des Journalismus könnte extrem gelitten haben. Erstaunlich ist ja: Medien haben immer einen Rettungsanker. Sie können prima jede Zeile über das Zwitschern des US Präsidenten als journalistische Informationspflicht rechtfertigen. Wahr ist aber, dass nicht nur Twitter von Trump profitiert hat. Trump-Magazin-Titel Stories waren oft Quoten-Bringer, Online-Artikel klickten super. So wurde Twitter als Propaganda-Kanal des Präsidenten eines der wohl wichtigsten und effektivsten Marketing-Tools der Welt.

Zudem auch die perfekte Blaupause für AfD, modernen Faschismus und Rassismus. Für Querdenker und Verschwörungs-Theoretiker. Es gibt keine demokratische Kontrolle bei Twitter, ebenso wenig wie bei Facebook oder Instagram. Die Kontrolle und die Verantwortung überlässt man den Unternehmen selbst. Auch die Entscheidung darüber, wann sie einen Donald Trump sperren. Selbstverständlich am Ende seiner Amtszeit. Dann nämlich, wenn die Cash Cow gemolken ist. Wenn der letzte Tropfen Milch geflossen ist, wenn alle ihren Schnitt gemacht haben. Was für ein schöner Zufall.

Wollen wir hoffen, dass im Vertrag zwischen Twitter und Trump nicht stand, dass dieser mit dem Sturm auf das Kapitol im beiderseitigen Einvernehmen aufgelöst werden würde. Bevor Sie mich jetzt mit anderen Verschwörungstheoretikern in einen Topf schmeissen: Nutzer von sozialen Netzwerken am rechten Rand hatten bereits Wochen vor dem Sturm offen angedeutet, dass es Chaos im Kongress geben würde, am Tag der Ergebnis-Verkündung. Im Zuge des Angriffs haben sie Anhänger dazu ermutigt „dem Plan zu vertrauen“, und (man achte auf den Sound) „die Front zu halten“. 

Trump hat via Twitter regiert, internationale Brände gelegt, Menschen beleidigt und bedroht, er hat hier seine Jünger gezüchtet und hat Massen manipuliert, die Demokratie mit Füßen getreten. Ohne jede Konsequenz. Politiker auf der ganzen Welt haben dabei nicht nur zugesehen. Es kommt noch dicker: Viele von ihnen haben Twitter noch „greater“ gemacht, denn sie legten sich teilweise öffentlich auf Trumps Propaganda-Kanal mit dem Markenbotschafter an.

Dass Twitter diesen Kanal nun abgeschaltet hat, und das viel zu spät, spielt kaum eine Rolle. Kaum zu ertragen ist die Tatsache, dass ein Unternehmen wie Twitter völlig unkontrolliert selbst bestimmen kann, wo Demokratie und Meinungsfreiheit beginnt und wo sie endet. Das muss uns zu denken geben. Dieser Einfluss der sozialen Medien auf die Gesellschaft gefährdet die Demokratie.  


Autor: Mike Kleiß

Mike Kleiß ist Gründer und CEO der Kommunikationsagentur GOODWILLRUN. Für Focus-Online schreibt der passionierte Läufer als Kolumnist, in seinen Podcasts spricht er über Hunde und Fussball. Als Kommunikations-Stratege berät er internationale Marken. Der gelernte Journalist lebt für Marken und Medien, und darüber schreibt er regelmäßig bei W&V.