Daher hier ein kleiner Ausblick, was aktuell immer noch schief läuft, obwohl es so einfach wäre, gemeinsam etwas zu ändern.

Über Influencer Marketing sprechen, aber Influencer Relations meinen

Vielleicht trauen wir uns alle mal etwas ganz Gewagtes, werfen endlich den Begriff Influencer Marketing über Bord und nutzen ihn nur noch dort, wo wir von stark wechselnden/kurzfristigen/einmaligen Buchungen bzw. Kooperationen von/mit Influencern sprechen!? Dann könnte man nach fast sechs Jahren mal von dem sprechen, was seit damals Ziel der Branche und Pflicht innerhalb der Disziplin sein sollte: Influencer Relations. People Business, egal ob mit eigenem Ambassador-Programm, dem Wunsch nach Co-Creation mit Influencern usw. Alles andere ist nicht nachhaltig, also warum länger übergeordnet davon sprechen?

Als Kennzahl nicht totzukriegen: Die Reichweite

Warum berücksichtigen Marketingverantwortliche unentwegt die Followeranzahl als einen entscheidenden Indikator für die Buchung eines Influencers? Dabei hat die Reichweite damals wie heute null Aussagekraft – viele scheitern zudem bereits beim Unterscheiden der Brutto- und Nettoreichweite, von dem Herausrechnen der Fake-Follower oder Follower-Dubletten bei Buchungen ähnlicher Influencer gar nicht erst zu reden. Also warum gehen wir nicht auf die deutlich sinnvollere Beitragsreichweite? Alles andere ist Schönfärberei, denn von einer Million Follower eines Influencers kann ich mir nichts kaufen, wenn der Beitrag nur achtzigtausend Menschen erreicht. Warum bezahle ich also für eine fragwürdige Gesamtreichweite anstatt für die wirklich erreichten Follower eines Influencers?

Weitere fragwürdige Kennzahlen

Neben der Reichweite gibt es weitere fragwürdige Kennzahlen, die aber leider täglich Anwendung bei den Marketingverantwortlichen finden. Beginnen wir mit Interaktionen in Form der Kommentare: Viele Tools bewerten hierbei nur die reine Anzahl und vergleichen ggf. mit ähnlich großen Influencern (wo wir wieder bei der Reichweite wären, ein Teufelskreis). Jedoch wird neben der quantitativen Bewertung fast nie auch eine qualitative zugrunde gelegt. Ein "Okay" oder "Like" darf dabei nie gleich gewichtet sein, wie ein authentischer und kontextueller Kommentar. Häufig wird auch die Postanzahl und -frequenz analysiert und bewertet, was bei Instagram in Form der Feed-Posts aber immer irrelevanter wird. Denn Stories werden wiederum Jahr für Jahr wichtiger, Reels werden mehr Fokus bekommen und ein Like auf Beiträgen hat genauso wenig Bedeutung, wenn "Gespeicherte Inhalte" deutlich mehr aussagen.

Inhouse-Know-How bei der Marke: Schluss mit Silos

Bitte jetzt nicht erschrecken liebe KollegInnen, aber im Gegensatz zu vielen Anderen empfehle ich Marken, sich mehr Inhouse-Know-How aufzubauen. Die Zeiten von Silo-Wissen in Agenturen ist lange vorbei und in Sachen Influencer Relations ist es noch viel wichtiger, dass die Marken befähigt sind, größtenteils selbstständig zu handeln und im engen sowie direkten Kontakt mit ihren MarkenbotschafterInnen zu stehen. Agenturen können gerne beim initialen Aufbau der Strukturen supporten. Oder bei großen Kreativideen oder neuen Trendthemen aushelfen, wenn das interne Know-How noch nicht vorhanden oder zu gering ausfällt - immer auf Augenhöhe und im transparenten Austausch mit der Marke. Alternativ können Agenturen auch bei Kapazitätsengpässen supporten, vor allem bei sehr großen und internationalen Kampagnen, wo die Agentur z. B. die Märkte, Plattformen usw. sehr gut kennt. Momentan bauen Marken, dank ihrer Agenturen, leider ungewollt externe Silos und kommen dort später kaum wieder raus. Das gilt übrigens auch für teilautomatisierte Buchungsplattformen, die viele gerne nutzen, um mit Influencer Relations zu starten. Datengetriebene Tools sind nützlich, aber eher dann, wenn sie bei Zeitfressern, wie der tagesaktuellen Auswertung aller Kennzahlen helfen, oder bei der Pflege der irgendwann umfangreich vorhandenen Influencer-Kontakte. Dennoch gilt: Das Auswählen und die Buchung der Influencer sollte man bestmöglich selbst übernehmen.

Wir reden vom Content Creator, lassen aber nicht los

Ihr kennt den Begriff sicher: Content Creator. Viele InfluencerInnen sehen sich als eben solche, wobei wenige wirklich auf dem Niveau tätig sind. Auch die Marken und Agenturen arbeiten gerne mit ihnen zusammen, weil sie ja nicht nur ihre Zielgruppe und die damit verbundenen Sozialen Netzwerke kennen, sondern auch befähigt sind, in Eigenregie fantastischen Content zu erzeugen, der oft besser performt als der native Content der Marke selbst. Doch während wir eben jene Eigenschaften so ausschweifend loben und stolz sind, nicht mit Influencern, sondern Content Creators zu arbeiten, kommt es regelmäßig zu teils paradoxen Verhalten auf Agentur- bzw. Markenseite.

Content Creators werden nämlich in ein enges Korsett in Form von detaillierten Briefings, dem viel zu späten Einsatz bei bereits feststehendem Konzept usw. gesteckt. Künstlicherische Freiheit: Lieber nicht. Und dann wundern sich am Ende die Verantwortlichen, warum ihre Kampagne floppt und der "erzwungene" Content bei der eigenen Zielgruppe, als auch bei der des Content Creator, eher mäßig ankommt.

Echte Cases, aber dann bitte mit den richtigen Zahlen

Cases, das Gold der Werbebranche. Und immer heißt es größer, weiter, höher – nur dann ist ein Case auch überzeugend, nur dann findet er Beachtung und ggf. den Weg in die Medienlandschaft oder auf die Bühne einer Award-Show. Aber warum lesen wir häufig nur von Cases, die aufzeigen, dass man Millionen oder Milliarden an Reichweite generieren konnte, aber nie von wirtschaftlichen (erreichten) Zielen? Was hat die Kampagne der Marke wirklich an Abverkaufssteigerung gebracht oder ganz verrückt, wie sah das Budget inkl. Media dahinter eigentlich aus, um den Return of Invest zu bewerten?

Denn für Hunderttausende Euros Millionen Views zu erzeugen strotzt nicht zwingend von Know-How und sollte schon bei Werbefilm-Cases lange niemanden mehr überzeugen. Denn "Viralität" ist dort nämlich oft hausgemacht. Ein gutes Beispiel, wie es besser geht: Im Performance Marketing ist auch kein/e Verantwortliche/r glücklich, wenn für 100.000 Euro zwar massenhaft Reichweite, jedoch z. B. kaum Traffic, Leads und/oder gar Warenkorbabschlüsse erzielt wurden. Nicht umsonst nutzen wir dort den Return of Ad-Spending (kurz ROAS), um eine Kampagne wirtschaftlich bewerten zu können. Also Deutschland, habt Mut ihr Marketeers und setzt endlich auf echte Cases mit den richtigen Zahlen. Die Marken werden es mit hoher Wahrscheinlichkeit danken.

Zitat: sorgt-influencer-marketing-fr-greren-mar

Integrated Marketing: Das geht auch mit Influencern

Da bucht man eine/n InfluencerIn und dann ist es das schon nach einem Post gewesen. "Es war nicht zufriedenstellend", wird sicherlich häufig die Antwort der AuftraggeberInnen sein. Auch hier ist die Parallele zum Performance Marketing hoch, denn niemand investiert hier das Budget auf eine Ad mit einem Creative und einer breiten Zielgruppe, um eben jene Ad für viel Geld einmalig auszuspielen.

Habt mehr Vertrauen zu den InfluencerInnen und baut Beziehungen auf, pflegt diese, testet viel und traut euch ruhig im Voraus auf Langfristigkeit zu setzen, denn nur dann könnt ihr wirklich an der Disziplin partizipieren. Denn hinter dem Regenbogen versteckt sich oft das Gold in Form von Integrated Marketing: Den Einsatz von InfluencerInnen abseits seiner/ihrer eigenen Social-Media-Kanäle, und damit meine ich nicht nur die Integration bei Events, sondern wie bei meinem Positivbeispiel Foodspring, auch u.a. in Direct Mailings, im Newsletter, Out-of-Home oder in Form von Co-Creation bei der Produktentwicklung. Die Möglichkeiten sind nahezu grenzenlos und die Liste bei Foodspring lang. Und nein, ich sage das nicht, weil sie Kunde von mir sind. Nehmt euch ein Beispiel daran und schaut, wo ihr die meist selbst gesteckten Grenzen in der Zusammenarbeit mit InfluencerInnen überspringen könnt.

Vor lauter konstruktiver Kritik möchte ich oben anknüpfen und aufzeigen, dass sich die Disziplin auch dank anderer Player, wie der Sozialen Netzwerke selbst, in vielen Bereichen positiv weiterentwickelt hat. Vor allem dank Linkedin fühlen sich auch endlich B2B-Unternehmen abgeholt. Tiktok ermöglicht eine frische Art von Content, die besonders der doch ein wenig monoton erscheinenden Fashion-Branche einen neuen Anstrich gibt. Und Kanäle wie Twitch und Tiktok ermöglichen InfluencerInnen, auch in Nischen ihren Content zu monetarisieren.

Aber was sagen erfahrene FreundInnen und KollegInnen aus der Branche?

Marcel Heinrich, Senior Influencer Marketing Manager bei Foodspring

Marcel Heinrich

Marcel Heinrich

"Die moderne Währung der Werbewirtschaft: Aufmerksamkeit! Ein erhöhter Wettbewerbsdruck, die dynamische Entwicklung von Social Media und der Anspruchswandel hinsichtlich werblicher Kommunikation aufseiten von Kunden stellen viele Brands vor Herausforderungen. Oftmals wird sich im Zuge dessen dem Influencer Marketing als Allheilmittel angenommen, ohne jemals die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten vollends auszuschöpfen. Um eine nachhaltig konsistente, glaubwürdige und synergetische Ausrichtung des Influencer Marketings sicherzustellen, bedarf es einer integrierten Lösung - weg vom Silodenken hin zu einem holistischen Ansatz, welcher mehrere Berührungspunkte egal ob zu Social Media, CRM, Performance Marketing oder SEA/SEO aufweist.”

Jenny Song Schmidt, Senior Manager Social & Influencer Marketing bei Gymondo

Jenny Song Schmidt

Jenny Song Schmidt

 "So langsam hat jede*r Marketeer geschnallt, dass die Reichweite eines Influencers nur einer von vielen Faktoren im Influencer Marketing ist. Zugegebenermaßen ein Faktor, dem oft weiterhin mehr Gewichtung gegeben wird als ihm gebührt. Echte und Zielgruppen-relevante Reichweite, Story Views und Swipe Ups in Relation zur Bruttoreichweite und nicht zu vergessen qualitative Komponenten machen den entscheidenden Unterschied. Genau diese qualitativen Komponenten werden relevanter und bei so manchem Entscheidungsprozess das Zünglein an der Waage sein. TLDR: Entscheidungskriterien im Influencer Marketing werden gleichzeitig gezielt datengetriebener und qualitativer - ein Paradox? 
Ich sehe das Ganze eher als einen Anstoß, das klassische Fixum-basierte Kampagnenmodell zu überdenken."

Andreas Kohn, European Social Media Specialist bei Ricola

Andreas Kohn

Andreas Kohn

"Das Influencer Marketing befindet sich aktuell in seiner "Coming of Age"-Phase - und das auf sämtlichen Ebenen: Bei Rezipienten steigt der Grad an Aufklärung und es entsteht ein immer stärker werdender Drang nach Transparenz. Das Betrachten von Vanity-Metriken weicht bei Auftraggebern einer realistischeren Einschätzung dessen, was Kampagnen wirklich für die Marke bringen - oder auch eben nicht. Performance-basiertes Influencer Marketing wird Zukunftsmodell. Die vielerorts herbei beschworene Professionalisierung und Institutionalisierung der Branche darf keineswegs bedeuten, dass das verloren geht, was die Disziplin als solche mal groß machte: Der Zauber der Authentizität."

Kristi Bajrami, PR und Influencer Marketing Specialist Northern Europe bei Pandora

Kristi Bajrami, PR und Influencer Marketing Specialist Northern Europe bei Pandora

Kristi Bajrami, PR und Influencer Marketing Specialist Northern Europe bei Pandora

"Nach wie vor entscheidet das Bauchgefühl bei der Auswahl der Influencer statt der Blick auf Insights und Analytics sowie dem richtigen Brandfit. Das liegt zum Teil daran, dass das Influencer Marketing in Unternehmen oftmals losgelöst betrachtet und nebenbei von Mitarbeitern bedient wird, denen das nötige Fachwissen fehlt. Influencer Marketing ist ein Fulltime-Job. Die Branche steckt immer noch in einem Professionalisierungsprozess. Zum Teil werden Influencer immer noch als verlängerte Werkbank von Marken genutzt, um unauthentische Briefings umzusetzen. Das bringt die gesamte Branche in Verruf, weil die Influencer dafür im Umkehrschluss herhalten müssen. Vielmehr fehlt es bei den Marken an einer ersichtlichen Influencer Marketing-Strategie und dem nötigen Expertenwissen."

Kojo Boison, YouTube Influencer & YouTube Berater

Kojo Boison

Kojo Boison

"Viele Advertiser suchen sich Influencer für Barter-Deals - in dem Wissen, dass viele kleine Influencer sich kostenlos anbieten. Das ist etwas, das sich mit der Zeit ändern muss. Sobald sich feste Preise etabliert haben, die auch der kleinste Influencer kennt, sollte das Problem gelöst sein. Es gibt zwar einige Plattformen, die Advertiser und Influencer zusammenbringen - aber keine, die wirklich gut ist. Ich würde mir zudem Industrie-übliche Tarife wünschen, auf die sich alle einigen können. So sind auch dem kleinen Influencer alle Preise bekannt und er weiß, was seine Reichweite wert ist. Influencer müssen sich dann somit nicht mehr gegenseitig unterbieten, um mit dem Advertiser zusammenzufinden."


Autor: Pascal Wabnitz

Pascal Wabnitz war über zehn Jahre für Top-Agenturen als freier Digital-Berater und Creative Director tätig. Heute ist er Gründer und Geschäftsführer von Le Buzz Studio, einem agilen Anbieter für digitale Kommunikation mit den Schwerpunkten Content, Social Media, Influencer sowie Performance Marketing, welches zuletzt Kunden, wie Land Rover, VGH Versicherungen usw. gewinnen konnte. Le Buzz Studio ist Teil der sdk.group mit Sitz in Berlin, Hamburg, Nürnberg und Hannover.