
Simon Gincberg:
Die 7 häufigsten Irrtümer über Recruitingfilme
Immer mehr Unternehmen stellen Recruitingvideos ins Netz. Im Prinzip keine schlechte Idee. Wenn nicht.....Um mit Vorurteilen aufzuräumen und peinlichen Fehlinvestitionen vorzubeugen, erklärt W&V-Gastautor Simon Gincberg die schlimmsten Irrtümer.
Nur monotone, textbasierte Anzeigen auf Jobbörsen zu schalten, das allein ist nicht mehr ganz zeitgemäß. Recruitingfilme sind da schon eher der letzte Schrei. Nicht selten wird dabei jedoch großzügig übers Ziel hinaus geschossen - oder einfach der Fokus völlig falsch gelegt. Um mit einigen Vorurteilen aufzuräumen, aber auch, um peinlichen Fehlinvestitionen vorzubeugen, schreibt Simon Gincberg von der Agentur Recordbay auf W&V Online über die...
... 7 häufigsten Irrtümer über Recruitingfilme
1. Et hätt noch immer joot jejange
Viele traditionsbewusste HR-Abteilungen können schwerlich von ihren liebgewonnenen Recruitingmaßnahmen lassen. Frei nach dem Motto "Et hätt noch immer joot jejange". Ja ne, ist klar. Der Encarta-Weltatlas zeigt uns ja auch die Karten an. Aber beeindrucken kann man hiermit wohl niemanden mehr. Schon gar nicht die Generation Snapchat, der außer Touchscreens nur begrenzt solch haptische Erlebnisse widerfahren. Im Wettbewerb um die Elite von morgen sind Recruitingfilme schon längst keine Exoten mehr. Deshalb: Nur Mut beim Verlassen vertrauter Pfade, um im War for Talent dem Wettbewerb die Stirn bieten zu können.
2. Perfektion statt Menschlichkeit
Morgens um halb elf in einer kleinen deutschen Versicherungs-AG: Die gesamte Belegschaft sitzt freudestrahlend mit gebügeltem Hemd vor ihren Rechnern. Der Chef, den man nur durch die Scheibe seines Einzelbüros sieht, wirkt, als hätte er gerade doppelt so viel Spaß wie auf seiner letzten Geburtstagsfeier. Gelacht wird im Minutentakt; High-Fives werden ausgetauscht. Zum Schluss schneit die Sekretärin herein, mit dynamischem Gang und gestylt wie für den roten Teppich. Ihre Haare werden genau jetzt von einem Luftzug erfasst…. Missbrauche deinen Recruitingfilm bitte nicht, um der Welt vorzugaukeln, deines sei das "perfekte Unternehmen". Eine Brille mit minimalem Rosaeffekt ist erlaubt, aber dahinter sollte deutlich die Wahrheit zu erkennen sein. Lass es lieber menscheln. Das wirkt ehrlich und weckt mit Sicherheit deutlich mehr Interesse als vor Freude platzende Roboter.
3. Aber erstmal zu unserem wunderbaren Produktportfolio
Spielst du mit dem Gedanken, deinen Recruitingfilm als Werbeplattform zu nutzen? Nur ein klitzekleines bisschen? Klar: Warum sollen die glücklichen Mitarbeiter denn nicht alle den Pudding der eigenen Marke in der Pause verzehren? Warum soll der Geschäftsführer nicht "mal eben kurz" zusammenfassen, warum die eigenen Produkte die besten und schönsten von allen sind? Ganz einfach: Weil der Film für potentielle Mitarbeiter gemacht ist und nicht für mögliche Kunden. Denke an die Zielgruppe! Angehende Bewerber sind bestenfalls schon über die Produkte informiert, und Verbraucher stoßen höchstens zufällig auf den Recruitingfilm eines Unternehmens. Deshalb: auf Werbung verzichten - und ganz auf die relevanten Informationen zum Arbeitsplatz, zu Aufgabengebieten und zu Kollegen konzentrieren.
4. Danach rennen sie uns die Bude ein
Gehst du schon in Deckung vor der großen Bewerberwelle? Komm ruhig wieder herausgekrochen. Nur weil du einen Recruitingfilm drehst, werden deine Server noch lange nicht in die Knie gezwungen. Ein Recruitingfilm zielt mit Laserfokus auf den größtmöglichen Fit von potentiellen Bewerben. Die im Idealfall authentische und aussagekräftige Inszenierung der Stelle soll insbesondere auf die Güte der Bewerbungen einzahlen, nicht auf die Masse. Deshalb gilt: Füße stillhalten und nicht aus Angst vor dem Bewerberansturm vorsorglich eine neue HR-Position besetzen.
5. Das Ding muss viral gehen
Klicks sind leicht messbar. Und viele Klicks sind gut. Sie sind ein Traum - der Traum jedes Marketingverantwortlichen, der gerade eine neue Kampagne über die eigene Domain, Youtube, seine Socia-Media-Seiten ausrollt. Aber: Klicks sind nicht alles. Rappende Bankmitarbeiter und tanzende Bedienstete eines Fastfood-Restaurants mögen für einen kurzen Moment genug unterhalten - oder verstören -, um das Video zu teilen und darüber zu sprechen. Aber ein Recruitingfilm wird nicht deshalb erfolgreich, weil er Konventionen gebrochen oder erfolgreich einen Skandal ausgelöst hat, sondern weil er seine wichtigste Funktion erfüllt: kompetente Fachkräfte für das Unternehmen zu begeistern. Also: Originalität ja, gern auch mit einer Prise Humor, aber nicht auf Kosten der Aussagekraft.
6. Recruitingfilm ist mir viel zu teuer
Fehlanzeige. Du brauchst kein hochpreisiges TV-Spot-Equipment, um Aufmerksamkeit bei potentiellen Bewerbern zu erlangen. Es reicht auch eine semi-professionelle Aufnahme. Hauptsache, sie ist authentisch, und die Zuschauer können sich mit Inhalt und gezeigten Menschen identifizieren. Und sind wir mal ehrlich - was ist rentabler: Ein sympathischer Recruitingfilm, der echte Einblicke hinter die Kulissen gewährt und potenziellen Bewerbern im Voraus eine Einschätzung ermöglicht, ob Job und Team zusagen? Oder ein weiteres Körnchen in der Anzeigenwüste, dessen Veröffentlichung auf diversen Job-Portalen Unmengen an Kosten verspeist, mit dem Ergebnis, wieder nicht den richtigen Kandidaten für das Team gefunden zu haben? Die Antwort liegt auf der Hand.
7. Einen Oscar sollte man schon abräumen
Dynamische Kamerafahrten, mitreißende Special-Effects und aufwendiges Color Grading für den Hochglanz-Hollywood-Look. Wenn mein Unternehmen einen Film veröffentlicht, dann ist das ja wohl das mindeste. Ist es nicht! Es geht nicht darum, dass du der nächste bist, der Leonardo den Oscar wegschnappt, sondern du möchtest kompetente Bewerber an deine Schreibtische locken. Nicht mehr und nicht weniger. Das heißt nicht, dass man im Namen von "Authentizität" mit der pixeligen Wackelkamera um die Ecke kommt oder im langweiligen Standbild den Mitarbeiter in der Kaffeeecke interviewt. Es ist wie so oft eine Frage des Gefühls.
Über den Autor:
Simon Gincberg ist Director Business Development bei der Digitalagentur Recordbay. Nach seinem International Marketing Studium in Hong Kong und den Niederlanden machte er in England seinen Master in Business and Management. Nach mehreren Stationen bei Researchgate, L'Oréal und Vodafone stieß er zu der Agentur aus Mönchengladbach.