So ist es kaum verwunderlich, dass am Ende keine der genannten Veranstaltungen eine absolute Pflichtveranstaltung für die digitale Wirtschaft ist - zumal ihnen schlicht die Anknüpfungspunkte außerhalb Europas fehlen. Zugegeben, bei LeWeb - wie etwa auch beim DLD in München - kommt es Jahr für Jahr zu einem bemerkenswerten Auftrieb an prägenden Köpfen aus dem Silicon Valley. An Wahrnehmung in den USA mangelt es den Konferenzen trotzdem. Und so finden sich unter den Teilnehmern eben nahezu ausschließlich Europäer. Nichteuropäische Investoren, Startups, Unternehmer oder Berichterstatter bleiben die absolute Ausnahme.

Ersatzmekka SXSW

Wer daran etwas ändern möchte, nimmt den Weg zur South By Southwest (kurz: SXSW) in Austin auf sich. Neben der Tatsache, dass sich hier tatsächlich Menschen aus aller Herren Länder mit entsprechender Digitalaffinität ein Stelldichein geben, spielt nicht zuletzt auch der Coolnessfaktor eine gewisse Rolle dabei zu sein: Wer etwas auf sich hält, fliegt nach Austin. Am besten gleich zwei Wochen.

Zuletzt konnte man sich bisweilen des Eindrucks nicht erwehren, dass die SXSW vor dem Hintergrund der inzwischen massentauglichen re:publica für die selbsternannte deutsche Digitalelite zu einer Art Ersatzmekka geworden ist. Motto: "Warst Du nicht da, gehörst Du nicht zur digitalen Speerspitze." Wie sich das dort Gesehene, Gehörte, Gelernte tatsächlich sinnvoll im eigenen Kontext und Tagesgeschäft anschließend umsetzen lässt, sei indes dahingestellt.

Dublin: Geeks der Welt, schaut auf diese Stadt!

Seit nahezu 15 Jahren bereise ich die unterschiedlichen Technologie-Events in Europa. Nein, ich gehöre nicht zur digitalen Speerspitze - schließlich habe ich die SXSW bisher nur über den Desktop verfolgt. Und doch maße ich mir an einen guten Überblick über die (europäische) Veranstaltungslandschaft zu haben. Ich habe die Cebit auf ihrem Höhepunkt hautnah miterlebt. Ich habe die Anfänge und das Ende der OMD (für Rockies unter den Digitalmerketeers: die Vorläuferveranstaltung der Dmexco) begleitet. Alle oben angebrochenen Events habe ich besucht und sogar noch einige mehr: Next Berlin, Picnic Amsterdam, SIME Stockholm und und und. Viele waren toll, aber keine eine wirkliche Pflichtveranstaltung. Das hat sich in diesem Jahr geändert. Der Grund: die Web Summit 2014 in Dublin.

Ausgerechnet im krisengeschüttelten Irland ist es den Machern der Web Summit gelungen, in nur vier Jahren eine Konferenz aufzubauen, die Anfang November mehr als 20.000 Teilnehmer, rund 2.000 Startups und über 1.000 akkreditierte Journalisten und Blogger nach Dublin gelockt hat. Allein das ist beeindruckend. Weit mehr beeindruckt haben mich jedoch andere Dinge. Da wäre zum Beispiel die weit verbreitete Ignoranz der deutschen Medien. Bis auf wenige Ausnahmen ist die mit Abstand größte Konferenzveranstaltung, die der digitalen Wirtschaft in ihrer kompletten Bandbreite ein Podium gebaut hat, hierzulande kaum thematisiert worden. Das ist umso erstaunlicher, wenn man die Größe der dort vertretenen deutschen Community, vor allem aber die Anzahl der Teilnehmer aus Übersee in Betracht zieht.

Inspireland: Pure Reizüberflutung ohne gute Vorbereitung

Die Web Summit ist ein Festival - hier gibt es durchaus Parallelen zur SXSW. Auf insgesamt acht Bühnen werden die unterschiedlichen Aspekte digitaler Technologien beleuchtet. Es gibt eine Hauptbühne, vor der allein rund 5.000 Teilnehmer Platz finden. Es gibt den Marketing, Enterprise, Machine, Sports, Media, Builders, Investors und sogar einen Food Summit. Und immer geht es dabei um die Veränderungen, Trends und radikalen Umbrüche, die durch digitale Technologien hervorgerufen werden - jetzt und in Zukunft. Durchmischt ist die gesamte Konferenzszenerie durch eine Vielzahl an Startups im Alpha- und Betastadium, die sich den Summits thematisch zuordnen. Allein das Schlendern durch die aufgereihten Startups verspricht haufenweise Inspiration.

Web Summit Dublin, das ist eine nahezu perfekte Mischung. Hier treffen sich Meinungsmacher, etablierte Vordenker, junge Entrepreneure, Rookies, erfahrene Investoren, Kreative, Technologiebegeisterte und Neugierige - und zwar aus aller Welt: Startups aus Barbados, Investoren aus dem Silicon Valley, junge Unternehmer aus Hongkong, Sprecher aus Indien und Bericht erstattende Kollegen aus China. Ohne eine gute, inhaltliche Vorbereitung geht bei so einer Fülle nicht viel. Schon die Zusammenstellung des Konferenzprogramms wird da schnell zur echten Herausforderung.

In nur vier Jahren zum Top-Event der digitalen Wirtschaft

Dass es bei einer Veranstaltung, die im Jahr 2010 noch 400 Teilnehmer verbuchen konnte, also weniger als zwei Prozent der heutigen Anzahl, noch Schwächen gibt, dürfte kaum verwundern. So wird den meisten Sprechern schlicht zu wenig Zeit eingeräumt.  Auch wurde den akkreditierten Journalisten und Bloggern mehrfach eine Vielzahl an Interviews in Aussicht gestellt, was sich bei über 1.000 Akkreditierten als Farce entpuppen musste. Und doch war die Veranstaltung unglaublich facettenreich, gut organisiert und vor allem eins: Die Web Summit wird von der ganzen Stadt getragen und unterstützt. Hier darf sich unsere Hauptstadt gern inspirieren lassen. Egal wann und wo, immer wieder hat die Freundlichkeit und das überragende Interesse der Iren beeindruckt.

Night Summit: Die entscheidenden Geschäfte werden beim Guinness gemacht

Überflüssig zu erwähnen, dass die Gespräche und Zusammentreffen in den Pubs Dublins bis spät in die Nacht fortgeführt wurden. Dieses "Night Summit" getaufte Abendprogramm mit seinen Pub Crawls und spontanen Meet-Ups ist nach Ansicht der Veranstalter mindestens genauso wichtig wie das eigentliche Konferenzprogramm. In der Tat waren es vor allem die zufälligen Begegnungen, die das dreitägige Event so wertvoll gemacht haben.

Bei aller Vorbereitung, die das überbordende Programm und die Masse an Start-ups Teilnehmern wie Journalisten abverlangt, sollte also immer Freiraum gelassen werden. Anders formuliert: Spontanität will gut geplant sein! Selten war das zutreffender als bei der Web Summit 2014, die im nächsten Jahr absolute Pflichtveranstaltung ist. Das gilt nicht nur für Startups und Investoren, die die Konferenz längst fluten. Das gilt vor allem für Entscheider, deren Unternehmen oder Verantwortungsbereiche dem digitalen Wandel unterworfen sind - ganz besonders aber für Berichterstatter, die es sich eigentlich nicht leisten können die Web Summit noch länger auszusparen.

* W&V-Gastautor Christoph Salzig gilt als einer der besten Kenner der deutschen Digitalbranche. Bevor er sich mit seiner Agentur pr://ip selbständig machte, war er viele Jahre lang Sprecher des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft BVDW.


Autor: W&V Gastautor:in

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