
Verstoß gegen Verhaltenskodex:
FT-Reporter schleicht sich bei Zoom-Konferenz ein
Ein FT-Journalist hat sich Zugang zu internen Videokonferenzen zweier Konkurrenztitel verschafft und berichtete über vertrauliche Details noch während der Veranstaltungen via Twitter.
Ein Reporter der Financial Times soll sich in vertrauliche Zoom-Konferenzen der konkurrierenden britischen Online-only-Zeitung The Independent sowie des Gratisblatts Evening Standard eingeschlichen haben. Bei den internen Besprechungen mittels der Video-Chat-App ging es um bevorstehende Gehaltskürzungen und Kurzarbeit bei den beiden Titeln infolge der Coronavirus-Pandemie.
Laut dem Independent zeigen die Zoom-Log-files, dass sich der Journalist Mark Di Stefano zunächst für 16 Sekunden unter seinem FT-E-Mail-Account in die Videokonferenz des Independent eingeloggt hat. Dabei blieb das Video ausgeschaltet, einige Independent-Mitarbeiter sahen aber seinen Namen kurz auf dem Screen, bevor Di Stefano die Konferenz wieder verließ.
Wenige Minuten später beteiligte sich ein weiterer, diesmal namenloser Account erneut im Audio-only-Modus an der Konferenz und blieb dort bis zum Ende der Online-Veranstaltung, zu der rund 100 Independent-Mitarbeiter eingeladen waren. Nach Angaben der Online-Zeitung ergaben nachträgliche Recherchen, dass dieser Account zu einem Mobiltelefon des FT-Reporters gehört.
Noch während der laufenden Veranstaltung meldete Di Stefano via Twitter seinen etwa 116.000 Followern Details zu den geplanten Sparmaßnahmen des Konkurrenzverlags – noch bevor die Verlagsmanager und Independent-Chefredakteur Christian Broughton weitere Mitarbeiter, die nicht an der Videokonferenz teilgenommen hatten, über die Maßnahmen informieren konnten.
Erklärung und Entschuldigung gefordert
Kurz darauf veröffentlichte die FT auf ihrer eigenen Site einen Bericht mit vertraulichen Details aus der Konferenz, darunter zur Entwicklung der Werbeerlöse beim Independent. Als Quelle wurden dabei "Teilnehmer der Konferenz" angegeben.
Untersuchungen des Independent ergaben inzwischen, dass sich Di Stefano mit dem gleichen Mobiltelefon-Account auch Zugang zu der Zoom-Konferenz des Independent-Schwesterblatts The Evening Standard verschafft hatte, bei der Chefredakteur George Osborne ebenfalls die Sparmaßnahmen bei seinem Blatt verkündete.
Di Stefano war erst im Januar vom Medienportal Buzzfeed als Medien- und Technologie-Reporter zur Financial Times gewechselt. Der Verhaltenskodex der FT untersagt den Redakteuren, nicht öffentliche Telefongespräche abzuhören oder Mitteilungen oder E-Mails abzufangen.
"Für einen Journalisten der FT ist es inakzeptabel, sich illegal Zugang zu einer nicht öffentlichen Zoom-Konferenz zu verschaffen", erklärte ein Sprecher des Evening Standard. "Wir erwarten, dass uns die FT rasch eine Erklärung und Entschuldigung liefert." Bislang hat weder die FT noch Di Stefano auf die Vorwürfe reagiert.
Update: Laut britischen Medienberichten wurde Di Stefano inzwischen von seinen Aufgaben bei der Financial Times suspendiert.