
Media-Persönlichkeit :
Familiensinn: Wie das System Sixt funktioniert
Sie ist nur als Ganzes zu verstehen, die Familie Sixt. Denn sie funktioniert wie ein perfekt gestimmtes Orchester. Und wurde jetzt zur "Media-Persönlichkeit des Jahres" gekürt. W&V-Redakteur Rolf Schröter hat die Dynastie in Pullach besucht. Ein Porträt.
Sie ist nur als Ganzes zu verstehen, die Familie Sixt. Denn sie funktioniert wie ein perfekt gestimmtes Orchester. Deshalb sind alle vier Familienmitglieder - Erich, Regine, Alexander und Konstantin Sixt - beim Deutschen Mediapreis 2015 zur „Media-Persönlichkeit des Jahres“ gekürt worden. W&V-Redakteur Rolf Schröter hat die Familiendynastie in Pullach besucht. Ein Porträt.
Stimmt es, dass Erich Sixt, Herr über eine Flotte von 84.600 Fahrzeugen, selbst gar kein Auto besitzt? Nicht ganz. Er besitzt kein zeitgenössisches Auto. Dafür ist der 70-Jährige viel zu pragmatisch. Aber er nennt seit Jahrzehnten einen Mercedes 300 SL sein Eigen. Einen Flügeltürer, Baujahr 1956. Wenn Erich Sixt über diesen Wagen spricht, dann leuchten seine Augen ähnlich stark, wie wenn er über gelungene Werbung spricht. Aber es ist nicht das Design des Traumautos, von dem er schwärmt. Stattdessen preist er die Leistungen der Erbauer Rudolf Uhlenhaut und Fritz Nallinger, geniale Ingenieure und spätere Vorstände von Daimler-Benz. Erich Sixt betrachtet das Auto als Ganzes. Sogar im historischen Kontext. Er schwärmt also für Mercedes … Ausgerechnet der Mann, dessen Imperium mit dem Mercedes-Rivalen BMW groß geworden ist und mit dem er gemeinsam die erfolgreiche Carsharing-Marke Drive Now in einem Joint Venture führt. Natürlich, warum auch nicht? Erich Sixt interessieren solche Marken-Nickeligkeiten nicht. Er sagt seine Meinung offen und wirkt im Gespräch völlig ausgeglichen.
Sixt-Werbung: Giftige Pralinen
Kein Wunder. Wer soll ihm auch was wollen? Sixt ist das 70-jährige Oberhaupt eines Familienkonzerns. Dass Sixt ein humorvoller Mensch ist, merkt man nicht nur daran, dass er oft lacht, sondern auch daran, wie er lacht. Es ist ein herzliches Lachen. Kein Lachen über jemanden, sondern mit jemandem. Und seine Augen lachen mit. Sein Humor ist nicht böse, aber trotzdem kann man wohl sagen, dass Erich Sixt eigentlich ein begnadeter Satiriker ist. Denn sind die Sixt-Anzeigen etwas anderes als Satire? Giftige Pralinen, die der Boss dem Publikum schenkt, weil er die Mediagelder aus eigener Tasche zahlt – und die so herrlich auf der lästerwilligen Zunge zergehen.
Vor einigen Jahren hatte Sixt einen Porsche mit eingebeultem Kotflügel gezeigt, garniert mit dem Text: Wir vermieten auch an Frauen. Ganz klein darunter folgte der Zusatz: Frauen sind erwiesenermaßen die sichersten Autofahrer. Danach, berichtet Erich Sixt, habe er 800 Entschuldigungsbriefe persönlich unterschrieben. „Außerdem wurde ich zu einer Veranstaltung emanzipierter Frauen eingeladen und sollte den reumütigen Macho geben“, sagt Sixt trocken und lässt eine Kunstpause folgen. Die Spannung steigt, bis der Gesprächspartner fragt: „Und? – Sind Sie hingegangen?“ Eine Steilvorlage. „Ich konnte aus zeitlichen Gründen nicht.“ Die Zündschnur glimmt drei Sekunden, dann zündet der Witz: „Ich muss doch Autos vermieten!“ Erich Sixt lacht spitzbübisch, und man muss einfach mitlachen. Ein wenig böse, aber nicht gemein. Na klar: Der Mann ist ein Macho! Aber einer mit Herz!
Wer am Boden liegt, den tritt man nicht
Nachtreten, das würde der Senior niemals tun. Im Gegenteil. Da, wo andere mit der öffentlichen Meute lustvoll beißen, entwickelt er einen Beschützerinstinkt. Als der Ex-Jung-von-Matt-Kreative Oliver Voss ein Werbemotiv vorgeschlagen hatte mit dem Slogan: „Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu errichten“, hat Erich Sixt dankend abgelehnt – aus Mitleid mit Hartmut Mehdorn, dem früheren Bahnchef, der sich dann um den berüchtigten Pannenflughafen in Berlin kümmern sollte. Mehdorn, einst einer der mächtigsten Unternehmenschefs, dann eine der meistverspotteten Führungskräfte und schließlich eine Leitfigur auf verlorenem Posten – über diese tragische Rolle wollte Erich Sixt sich nicht lustig machen. Das wäre zu einfach gewesen. Wer am Boden liegt, den tritt man nicht. Aber: Erich Sixt ist keinesfalls ein netter Opa. Der alte Herr hat klare Vorstellungen darüber, wer welche Leistungen zu erbringen hat. Er kann sehr fordernd sein, und manchmal wird er unangenehm. Wenn er während eines Gesprächs mit Mitarbeitern immer wieder Anmerkungen macht wie: „Diese Zahlen hat Herr Müller natürlich im Kopf“, dann schaut Herr Müller ein wenig bedröppelt. Denn Herr Müller weiß: Dieses Lob ist kein Baldrian, sondern Koffein. Es stachelt an.
Über den Vorstandsvorsitzenden der Sixt SE ist geschrieben worden, er sei ein Patriarch. Er selbst hasst dieses Attribut. Denn er will keine Duckmäuser um sich herum, sondern meinungsstarke Menschen. „Ich bin ein alter Anhänger des Philosophen Karl Popper“, sagt Sixt. „Ständig alles infrage zu stellen ist ungeheuer wichtig.“ Diese Einstellung schätzt er sowohl im Büro als auch in der Familie.
Eine Familie wie ein Tintenfisch
Hier wird es besonders interessant. Denn tatsächlich ist Sixt zwar eine Aktiengesellschaft, aber prinzipiell ist das Gebilde ein Familienunternehmen. Erich Sixts Frau Regine leitet das internationale Marketing und ist zudem mit ihrer Charity-Stiftung „Tränchen trocknen“ so etwas wie die gute Seele des Konzerns. Der 1979 geborene Sohn Alexander ist der Stratege. Er leitet die Konzernentwicklung, das M&A-Geschäft und den Einkauf. Sein drei Jahre jüngerer Bruder Konstantin ist der Verkäufer. Er leitet den Vertrieb der Sixt-Autovermietung und damit auch die Sparte E-Commerce. Als Geschäftsführer von Sixt E-Ventures pflegen die beiden gemeinsam das Portfolio aus Gemeinschaftsprojekten wie Deutschlands größtem Neuwagenportal Autohaus24.de (mit Axel Springer) und die Carsharing-Marke Drive Now (mit BMW).
Wie die Familie gemeinsam funktioniert, dafür hat Regine Sixt ein schönes Bild gefunden. Der Kopf des Tintenfischs ist Erich Sixt. Regine und die Kinder sind die Fangarme. Wie in jeder Familie gibt es auch bei den Sixts Meinungsverschiedenheiten. Und wie in jeder guten Familie gibt es ein Oberhaupt, das letztendlich eine Entscheidung trifft, wenn es keinen Konsens gibt. Das ist Erich Sixt. Natürlich. Auch seine Nachfolge lenkt Erich Sixt mit ruhiger Hand. Der Übergang zur vierten Generation wird kein abrupter Lastwechsel. Anfang Februar wurden der 35-jährige Alexander und der 32-jährige Konstantin in den Vorstand der Sixt SE bestellt. So heißt das im Börsenjargon. Den Vertrag von Erich Sixt als Vorstandsvorsitzendem hat der Aufsichtsrat vorzeitig bis zum Jahr 2020 verlängert. Das heißt: Es liegt in der Hand von Erich Sixt, wann und wie er in den kommenden Jahren den Wandel gestalten wird.
„Der weiß, wie schwierig es ist, eine Mark zu verdienen“
Offiziell stieg der junge Erich im Jahr 1969 ins Unternehmen ein. Aber schon 1962 war er für die Firma aktiv, die sein Großvater Martin Sixt 1912 gegründet hatte. „Sixt Autofahrten und Selbstfahrer“ hieß das damals. Die Kunden waren ausschließlich Mitglieder des englischen Adels sowie dollarstarke Amerikaner. Der 18-jährige Student aus München vermittelte einige Monate lang Autos in Paris und eröffnete dort eine Sixt-Außenstelle. Eine „schöne Erfahrung als One-Man-Show“ sei das gewesen, sagt Sixt und erzählt, wie er amerikanische Kunden per Funk im Flugzeug darüber informierte, dass ihre Autos bereitstehen. „Es war eine Siebentagewoche, ich habe Tag und Nacht gearbeitet“, berichtet Sixt. „Der weiß, wie schwierig es ist, eine Mark zu verdienen“, hat mal jemand anerkennend gesagt. Der Häuptling aus Pullach ist ein Mann vom alten Schlag.
"Ich drücke mich immer vor dem Bambi"
Nicht nur, weil er mit seinem blaugrauen Mercedes-Flügeltürer schon 19 Mal an dem legendären Oldtimer-Rennen Mille Miglia teilgenommen hat. Man merkt es vor allem an alltäglichen Details. Er spricht von Sekretärinnen, nicht von Assistentinnen. Er trägt nicht nur Krawatte; er bindet sie zudem mit dem akkuraten Windsorknoten. Und er hat stets ein blütenweißes Stofftaschentuch in der Hosentasche. Aber eitel ist er nicht. Glamourösen Veranstaltungen bleibt er am liebsten fern. „Ich drücke mich immer vor dem Bambi“, gesteht Sixt zum Beispiel freimütig. Und nutzt die Gelegenheit gleich, um seinen subtilen Humor aufblühen zu lassen. „Aber meine Frau war da. Sie hat mich sicherlich würdig
vertreten.“
BWL-Studium? Irrelevant
Ein ganzheitlicher Blick auf den Management-Nachwuchs zeigt: Gerade junge Menschen können viel von Erich Sixt lernen. Während die Novizen sich an sogenannte KPIs klammern und die Wirklichkeit digital zerstückeln, um dadurch Menschen nahezukommen, hat Sixt schon früh die Sinnlosigkeit solchen Forschens erkannt. Vier Semester lang studierte er Betriebswirtschaftslehre in München, dann brach er das Studium ab. In einem Interview mit dem Handelsblatt hatte er das Studium als „irrelevant“ für sein weiteres Leben bezeichnet. „Die ganze Betriebswirtschaft“, sagte Sixt, „basiert doch auf einem einzigen Axiom: dass der Mensch rational handelt. Aber er tut es nicht. Und deshalb können Sie das alles vergessen.“ Ein Plädoyer für die Menschlichkeit.
Warum Erich Sixt Mediaagenturen misstraut und Werbung in seinem Unternehmen Chefsache ist, lesen Sie in einem ausführlichen Interview in der nächsten Ausgabe der Werben & Verkaufen, die am Montag, 2. März, erscheint. Abo?
Alle Gewinner des Deutschen Mediapreises 2015 finden Sie hier. Außerdem werden sie ausführlich in der nächsten W&V in einem Heftspecial vorgestellt.