Der türkische Präsident schließlich habe "die Einschüchterung kritischer Journalisten zum systematischen Mittel seines Regierungsstils erhoben", schreibt Döpfner. Und verteidigt den in Untersuchungshaft genommenen Deniz Yücel als brillant, unabhängig und "besorgt über viele Entwicklungen in der Türkei". Dass er nun wie ein Verbrecher behandelt werde, sei als Signal zu verstehen: "So kann es jedem gehen, der sich solche Freiheiten nimmt."

Mathias Döpfner badankt sich für die Empörung und Solidaritat für den Fall Yücel, nicht zuletzt, weil das zeige, dass man sich nicht einschüchtern lasse. "Je mehr Willkür und Autorität auf der einen Seite, desto mehr Widerstand und Autoritätskritik auf der anderen."

Die Redaktionen mahnt er zu Freiheit und Sorgfalt: "Wir Journalisten sind in diesen Tagen - in denen es nicht nur um unseren Deniz Yücel oder den Kommunikationsstil des amerikanischen Präsidenten geht - gut beraten, mit den Gegnern unserer freiheitlichen Werte besonders fair und genau umzugehen." Man wolle "unter keinen Umständen mit den Mitteln unserer Gegner kämpfen". Stattdessen seien die Werkzeuge der Journalisten "unerschrockene Recherche, präzise Fakten und kluge Gedanken".

Deniz Yücel werden nach Angaben seines Verlags "Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung" vorgeworfen. Ein Haftrichter in Istanbul hatte nach einer Woche in Polizeigewahrsam am 27. Februar angeordnet, den Journalisten auf unbestimmte Zeit in Untersuchungshaft zu nehmen. Die "Welt" veröffentlichte auch Yücels Haftprotokoll.

"Deniz'e Özgürlük! Freiheit für Deniz!" fordern außerdem zahlreiche Journalisten und Künstler in einer ganzseitigen Anzeige. Sie ist am Dienstag in mehreren deutschen Zeitungen erschienen. Darin heißt es: "Für die Freiheit von Information, Meinung, Wort und Kunst. Gemeinsam für und mit Deniz Yücel und allen zur Zeit in der Türkei inhaftierten Kolleginnen und Kollegen."

Den Anzeigentext, der außerdem Artikel 19 zum Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen zitiert, haben 305 Journalisten, Schriftsteller, Regisseure, Schauspieler und Musiker unterschrieben, wie die "Spiegel Online"-Kolumnistin Margarete Stokowski am Dienstag sagte. Sie gehört neben der Schriftstellerin Sibylle Berg und dem TV-Moderator und Grimme-Preisträger Jan Böhmermann zu den Initiatoren. Die Anzeige ist unter anderem in der "Süddeutschen Zeitung", der "Welt" und dem Berliner "Tagesspiegel" erschienen.

Weiter geht die Online-Unterschriftenaktion, die zeitgleich der Autor Shahak Shapira gestartet hat. Dort gab es bereits mehr als 26 000 Unterzeichner.

Reporter ohne Grenzen fordern sofortige Freilassung

Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen und ihr Geschäftsführer Christian Mihr erklärten nach Verhängung der Untersuchungshaft für Yücel, der Reporter "und alle anderen in der Türkei inhaftierten Journalisten müssen sofort freigelassen werden". Die erhobenen Vorwürfe (Terrorpropaganda, Aufwiegelung der Bevölkerung) seien "schlicht absurd".

Die Türkei steht auf Platz 151 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen. Derzeit sind dort rund 150 Journalisten im Gefängnis. Mindestens 49 sind in direktem Zusammenhang mit ihrer journalistischen Tätigkeit in Haft. In Dutzenden weiteren Fällen ist ein solcher Zusammenhang laut RoG wahrscheinlich, lässt sich aber nicht nachweisen, weil die Justiz selbst die Betroffenen über die Anschuldigungen im Unklaren lässt.

Kritik von Angela Merkel, Sigmar Gabriel, Heiko Maas und Amnesty International

Bundeskanzlerin Merkel hat die Untersuchungshaft für den "Welt"-Korrespondenten Yücel als "bitter und enttäuschend" bezeichnet. "Diese Maßnahme ist unverhältnismäßig hart, zumal Deniz Yücel sich der türkischen Justiz freiwillig gestellt und für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt hat." Ach Bundesjustizminister Heiko Maas nannte das Vorgehen "völlig unverhältnismäßig": "Kritische Berichterstattung ist fundamentaler Bestandteil demokratischer Willensbildung. Das Wegsperren von missliebigen Journalisten ist mit unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit unvereinbar."

Außenminister Gabriel sprach von "schwierigen Zeiten für die deutsch-türkischen Beziehungen". Er fügte hinzu, der Fall werfe "ein grelles Schlaglicht auf die Unterschiede, die unsere beiden Länder offensichtlich bei der Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze und in der Bewertung der Presse- und Meinungsfreiheit haben".

Die Bundesregierung erwarte, dass die türkische Justiz in ihrer Behandlung des Falles Yücel "den hohen Wert der Pressefreiheit für jede demokratische Gesellschaft" berücksichtige. "Wir werden uns weiter nachdrücklich für eine faire und rechtsstaatliche Behandlung Deniz Yücels einsetzen und hoffen, dass er bald seine Freiheit zurückerlangt."

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nennt den Haftbefehl "inakzeptabel". AIs Türkeiexperte Andrew Gardner: "Es sieht nach einem weiteren Fall aus, in dem erneut ein Journalist wegen kritischer Artikel und unter Anwendung der Terrorgesetze beschuldigt wird", sagte Gardner. Die "maßlose und missbräuchliche" Anwendung dieser Gesetze gegen Journalisten sei inzwischen ein "chronisches Problem in der Türkei". Viele der mehr als hundert Journalisten in Untersuchungshaft würden zudem schon seit Monaten ohne Anklage festgehalten.

Verdächtige können in der Türkei bis zu fünf Jahre in Untersuchungshaft gesperrt werden. Yücel besitzt die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft. Auch in der türkischen Regierungspartei AKP und von Seiten der Opposition werden kritische Stimmen gegen die Verhaftung Yücels laut. (W&V Online/mit dpa)


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