Natürlich kenne ich die kritische Diskussion, die davon ausgeht, dass ein gewisses Rollenverhalten durch Gendermarketing vorgeprägt wird. Rosafarbendes Spielzeug für Mädchen mögen viele Eltern nicht, weil sie die Befürchtung hegen, ihre Tochter könnte sich später zum kapriziösen Prinzesschen entwickeln. Aber lassen wir mal die Kirche im Dorf: Ich habe viele kleine Mädchen mit Barbiepuppen und Prinzessin Lillifee aufwachsen sehen, die sich trotzdem zu großartigen, selbstbestimmten Wesen entwickelt haben. Schließlich tragen die Eltern die Verantwortung dafür, mit welchen Werten jemand aufwächst und nicht die Marketingindustrie. Mich ärgert an der Diskussion auch, dass gleiche Mechanismen ja auch bei Jungs angewendet werden. Über die Sixpack-Models in Männerwerbung redet jedoch keiner.

Darüber hinaus können geschlechtsspezifische Produkte sogar Gutes bewirken. Lego zum Beispiel war jahrzehntelang ein Produkt ausschließlich für Jungen. Mädchen haben zwar auch Lust, dreidimensional zu bauen, konnten aber mit den angebotenen Paketen nichts anfangen. Daraufhin brachte der Spielehersteller Editionen heraus, die der Lebenswelt und den Interessen von Mädchen angepasst sind wie "Lego-Friends", wo etwa weibliche Figuren Cafés eröffnen können oder sich auf Reiterhöfen ihre Zeit vertreiben. So führt man Mädchen an Bereiche heran, die sie sonst links liegen gelassen hätten. Was soll daran schlecht sein?

Wenn geschlechtsspezifische Produkte nicht funktionieren würden, wären sie längst vom Markt. Aber selbst im Erwachsenbereich entscheiden sich Menschen nun mal freiwillig für Angebote, die Kritiker für klischeehaft halten. Von reichlich Medien-Tamm-Tamm begleitet, führte die Frauenzeitung "Brigitte" vor einigen Jahren das Prinzip ein, Laienmodelle bei Foto-Shootings zu nutzen. Um später festzustellen, dass die Leserinnen eben doch lieber richtige Models sehen wollen. Nicht alles, was gut und ehrenhaft gedacht wird, kommt eben bei Zielgruppen an.

Ich finde es eher erstaunlich, wie viele Unternehmen ziemlich ignorant gegenüber den unterschiedlichen Bedürfnissen von Männer und Frauen sind und damit richtig Geschäft liegenlassen. So frage ich mich immer, warum sich beispielsweise Wirtschaftszeitungen in ihrem Karriere- und Lifestyle-Rubriken nach wie vor ausschließlich an Männer wenden?  

Ich sehe jedenfalls im Flieger haufenweise berufstätige Frauen, die das "Manager-Magazin" lesen, obwohl man sie im Grunde ausgrenzt. Oder warum kommen Geschäfte etwa in den Modeabteilungen nicht Bedürfnissen von Frauen nach einer schöner Umgebung, schmeichelndem Licht in Umkleidekabinen, persönlicher Betreuung und der Möglichkeit einen Prosecco mit der Freundin zu trinken nach? Die Kundinnen würden länger verweilen, ihr Spiegel-Bild mögen und sicher mehr shoppen.

Ergo: Der Markt von sinnvollem Gendermarketing ist längst noch nicht ausgereizt. Für Marketeers und Agenturen stecken noch viele Chancen in der differenzierten Ansprache von Männern und Frauen.