
Benedikt Holtappels:
Gendermarketing: Lasst Männer wieder Männer sein!
Sehen Sie, es funktioniert. Männer werden jetzt hoffnungsvoll lesen und Frauen sind irritiert. Womit wir auch schon beim Thema wären. Benedikt Holtappels über das Ende der geschlechtslosen Werbung und warum sich Gendermarketing lohnt.
Neulich stolperte ich über einen Artikel, in dem sich ein Journalist über geschlechtsspezifische Produkte und deren Vermarktung aufregte. Aufhänger war eine neue Zahncreme, die sich gezielt an Männer richtet und in Frankreich gerade getestet wird. Ok, für konsumkritische Leute mag das wie Marketing-Wahnsinn wirken. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es Männer gibt, die sich durchaus davon angesprochen fühlen. Zumindest wenn das Produkt auf einem Insight beruht und vermittelt, ein bestimmtes Problem zu lösen. Etwa Tabakflecken besser von Zähnen zu lösen, wie die Zahncreme anpreist.
Ich will gar nicht abstreiten, dass es in den letzten Jahren einen Trend zu geschlechtsspezifischen Produkten gab und diese entsprechend vermarktet werden. Die Marke Jules Mumm war dabei eine der ersten, die sich gezielt an junge Frauen wendete und den Sekt in eine weibliche Markenwelt einbettete, zu der etwa auch das Sponsoring der Fashionweek und Kooperationen mit Kinoketten für spezielle Lady-Nights und entsprechende Filme gehören. Opel hat sein Modell Adam gezielt für Frauen positioniert, auch weil man weiß, dass Kleinwagen besser bei Autofahrerinnen ankommen. Bosch entwickelte einen Akkuschrauber für weibliche Handwerkerfans, der kleiner und leichter ist und auf den Erkenntnissen von Hirn- und Verhaltensforschern beruht. Und Coke brachte die Marke Zero auf den Markt, weil Männer nun mal keine Light-Produkte zu sich nehmen.
Ob man beim Verzehr von Chips wirklich zwischen den Geschlechtern unterscheiden muss wie Chio Chips Mädelsabend suggeriert, bleibt mal dahingestellt. Dennoch behaupte ich: In den meisten Fällen machen geschlechtsspezifische Produkte Sinn. Gerade wenn Unternehmen im Vorwege festgestellt haben, dass es in gewissen Bereichen unterschiedliche Bedürfnisse zu befriedigen gilt.
Im Grunde bilden Marketeers damit nur ab, was in der Realität schon ewig Praxis ist. In einem Laden gibt es nun mal eine Frauen- und eine Männer-Klamottenabteilung. Im Fernsehen gucken Männer halt lieber Sport- und Schrauber-Sendungen anstatt "Grey’s Anatomy" oder "Shopping Queen". In vielen Bereichen greifen die Geschlechter zu unterschiedlichen Produkten und das ist auch gut so. Denn es zeigt, dass der Trend zur Metrosexualität, den wir vor einigen Jahren beobachten konnten, keine langfristige Substanz hatte. Heute sind Männer wieder Männer und Frauen wieder Frauen und dürfen das über unterschiedliche Produkte ausleben. Ich finde das eher klasse.
Natürlich kenne ich die kritische Diskussion, die davon ausgeht, dass ein gewisses Rollenverhalten durch Gendermarketing vorgeprägt wird. Rosafarbendes Spielzeug für Mädchen mögen viele Eltern nicht, weil sie die Befürchtung hegen, ihre Tochter könnte sich später zum kapriziösen Prinzesschen entwickeln. Aber lassen wir mal die Kirche im Dorf: Ich habe viele kleine Mädchen mit Barbiepuppen und Prinzessin Lillifee aufwachsen sehen, die sich trotzdem zu großartigen, selbstbestimmten Wesen entwickelt haben. Schließlich tragen die Eltern die Verantwortung dafür, mit welchen Werten jemand aufwächst und nicht die Marketingindustrie. Mich ärgert an der Diskussion auch, dass gleiche Mechanismen ja auch bei Jungs angewendet werden. Über die Sixpack-Models in Männerwerbung redet jedoch keiner.
Darüber hinaus können geschlechtsspezifische Produkte sogar Gutes bewirken. Lego zum Beispiel war jahrzehntelang ein Produkt ausschließlich für Jungen. Mädchen haben zwar auch Lust, dreidimensional zu bauen, konnten aber mit den angebotenen Paketen nichts anfangen. Daraufhin brachte der Spielehersteller Editionen heraus, die der Lebenswelt und den Interessen von Mädchen angepasst sind wie "Lego-Friends", wo etwa weibliche Figuren Cafés eröffnen können oder sich auf Reiterhöfen ihre Zeit vertreiben. So führt man Mädchen an Bereiche heran, die sie sonst links liegen gelassen hätten. Was soll daran schlecht sein?
Wenn geschlechtsspezifische Produkte nicht funktionieren würden, wären sie längst vom Markt. Aber selbst im Erwachsenbereich entscheiden sich Menschen nun mal freiwillig für Angebote, die Kritiker für klischeehaft halten. Von reichlich Medien-Tamm-Tamm begleitet, führte die Frauenzeitung "Brigitte" vor einigen Jahren das Prinzip ein, Laienmodelle bei Foto-Shootings zu nutzen. Um später festzustellen, dass die Leserinnen eben doch lieber richtige Models sehen wollen. Nicht alles, was gut und ehrenhaft gedacht wird, kommt eben bei Zielgruppen an.
Ich finde es eher erstaunlich, wie viele Unternehmen ziemlich ignorant gegenüber den unterschiedlichen Bedürfnissen von Männer und Frauen sind und damit richtig Geschäft liegenlassen. So frage ich mich immer, warum sich beispielsweise Wirtschaftszeitungen in ihrem Karriere- und Lifestyle-Rubriken nach wie vor ausschließlich an Männer wenden?
Ich sehe jedenfalls im Flieger haufenweise berufstätige Frauen, die das "Manager-Magazin" lesen, obwohl man sie im Grunde ausgrenzt. Oder warum kommen Geschäfte etwa in den Modeabteilungen nicht Bedürfnissen von Frauen nach einer schöner Umgebung, schmeichelndem Licht in Umkleidekabinen, persönlicher Betreuung und der Möglichkeit einen Prosecco mit der Freundin zu trinken nach? Die Kundinnen würden länger verweilen, ihr Spiegel-Bild mögen und sicher mehr shoppen.
Ergo: Der Markt von sinnvollem Gendermarketing ist längst noch nicht ausgereizt. Für Marketeers und Agenturen stecken noch viele Chancen in der differenzierten Ansprache von Männern und Frauen.