Retention:
Gute Mitarbeiter:innen: So wertvoll wie nie
In Zeiten leergefegter Personalmärkte wird das Halten qualifizierten Personals für viele Agenturen und Unternehmen 2022 zur Existenzfrage, prognostiziert HR-Spezialist Andreas Herde. Welche Strategien helfen.
Laut jüngster GWA-Umfrage fehlen den deutschen Kommunikationsagenturen allein in 2022 rund zweitausend Mitarbeitende. Nach Ansicht von Ogilvy-Chef Björn Bremer hat es unsere gesamte Branche verpasst, sich auf den Kampf um die besten Talente einzustellen*.
Doch damit stehen wir wahrlich nicht allein dar. Der Fachkräftemangel beutelt derzeit nahezu alle Branchen.
Schlimmer noch: Zeitgleich wächst - auch pandemiebedingt – die Bereitschaft unter den Beschäftigten zu Wechsel und Kündigung aus Unzufriedenheit mit den Arbeitgebern besorgniserregend an.
Neues Personal ist schon für vakante Stellen kaum zu finden. Wenn nun auch noch das bestehende samt seines unschätzbaren Know-hows abwandert und nicht ersetzt werden kann, sind Wettbewerbsfähigkeit und Existenz von Unternehmen real gefährdet.
Höchste Zeit also für HR-Profis, sich mit Lösungen zur langfristigen Bindung des immer wertvoller werdenden Kapitals "qualifizierte Mitarbeitende" zu befassen.
"The Great Resignation": hohe Wechselbereitschaft belegt
Mitte 2021 planten laut einer McKinsey Studie über 40 Prozent der US-Arbeitnehmer:innen ihre zeitnahe Kündigung – oft auch ohne neue Stelle in Aussicht zu haben. Allein zwischen April und Juni 2021 setzten dies 11,5 Millionen in die Tat um. Im Juli 2021 kündigten weitere vier Millionen ihren Job.
Vieles deutet darauf hin, dass sich diese Tendenzen auch auf den hiesigen Arbeitsmarkt übertragen lassen.
Deutsche Belegschaften beispielsweise erwarten gemäß aktuellem Trendence HR Monitor für 2022 von ihren Arbeitgebern vor allem Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung und Anpassungen der internen Unternehmenskultur. Verbesserte Führungskultur und angepasste Arbeitsbedingungen rangieren dabei weit oben in der Aufgabenliste zur besseren Mitarbeiterbindung.
Vielfältige Gründe für Unzufriedenheit
- Mangelnde Wertschätzung und Fürsorge: Trotz Pandemie zwangsweise ins Büro? Präsenzpflicht gibt es öfter, als man denkt. Nicht nur Eltern kleiner Kinder und Beschäftigte mit Risikoerkrankungen fühlen sich von solchen Arbeitgebern wenig fürsorglich behandelt.
- Verlorener Teamspirit: In stark auf Kultur und Teamspirit fußenden Unternehmen ging viel vom einstigen Wir-Gefühl durch Corona verloren - weil man nicht mehr so oft zusammenkommt, sich austauscht und sozial interagiert.
- Unsichere Zukunft: Die Pandemie hat frühere Boom-Branchen in Existenznot gebracht. In Reise/Tourismus, Messe- und Veranstaltungswesen sowie in der Gastronomie Tätige werden sich längst mit einem Wechsel in andere Berufszweige befassen.
- Veränderte Lebensplanung: Viele Menschen empfinden die Pandemie auf unterschiedlichste Art als eine emotionale und soziale Zäsur und nutzen sie zur Selbstreflexion. Lebens- und Berufsplanungen werden hinterfragt, Neues in Angriff genommen und alte Zöpfe abgeschnitten.
Jedes Unternehmen muss sich im Klaren darüber werden, dass es nach der Pandemie nicht mehr dasselbe ist wie davor. Neue Verhaltensweisen, neue Formen der Zusammenarbeit und neue Werkzeuge haben Arbeit nachhaltig verändert.
Strategien aus der Wechsel-Falle
Daraus leiten sich Fragen ab wie: "Wer sind wir (geworden) und wofür stehen wir heute und in Zukunft?"
Denn auch wenn eine faire Vergütung immer ein Benchmark für Wertschätzung ist, Geld allein wird diese Herausforderung nicht lösen. Im "War for Talents" gewinnt derjenige, der in Sachen Mitarbeiterbindung über die besten Benefits und Rahmenbedingungen für die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen und dessen Zugehörigkeitsempfinden verfügt.
- Lokale Flexibilität: Nach zwei Jahren Corona wünschen sich Mitarbeiter:innen künftig einen verlässlichen Mix aus Office und Home Office. Und für 70 Prozent der Jobsuchenden sind Remote Work Strukturen obligat, doch nur 20 Prozent der Arbeitgeber bieten sie auch systematisch an.
- Zeitliche Flexibilität: Ob 35 Stunde Woche bei gleichem Gehalt, erweiterte Gleitzeitstrukturen, mehr Videocalls und weniger Geschäftsreisen – private Zeit wird signifikant an Wert zunehmen.
- Mobile Benefits: Ist das Firmenfahrzeug tatsächlich noch der richtige und zeitgemäße Bonus oder wird es speziell in den Städten nicht vielmehr das ÖVP-Ticket für alle Mitarbeitenden? Oder die Bahncard100?
- Mental Health: Stressmanagement-Kurse, Impfangebote, Vorsorgemöglichkeiten – die Gesundheit seines Personals als Quintessenz aus der Pandemie besser zu schützen, ist ein starkes Signal der Lern- und Entwicklungsbereitschaft an die gesamte Belegschaft. Und eines der wichtigsten Themen der nächsten Jahre.
- Führungsqualität: Die Führungskultur zu verbessern, rangiert im HR Monitor nicht zufällig an zweiter Stelle der Forderungen zur besseren Mitarbeiterbindung. Wie lässt sich die in Coronazeiten neu gewonnene Eigenverantwortung der Beschäftigten dauerhaft und systematisch sichern? Spiegelt sich diese dann auch in der neuen Führungskultur des Unternehmens, beispielsweise in Form von größerem Vertrauen wider?
In diesem Prozess kann die Employer Brand effektiv unterstützen. Indem sie nach innen hilft, die Fluktuation messbar zu senken und die Anzahl derjenigen Fachkräfte, die man auf keinen Fall verlieren will, möglichst gering zu halten. Und zugleich mit attraktiver Ansprache nach außen neue Talente vom Unternehmen zu überzeugen.
Das Werkzeug der Wahl ist eine der Paradedisziplinen von Employer Branding: das Storytelling. Ob für Intranet, Webseite, Social-Media-Kanäle oder Corporate Publishing: In jedem Unternehmen müssten sich in den vergangenen zwei Jahren eine Vielzahl an berichtenswerten Anekdoten angesammelt haben – sei es zum Thema Fürsorge, Gesundheit, Improvisation, Kreativität, Leadership, Wertschätzung, Teambuilding oder anderen.
Diese authentisch und überzeugend aufzubereiten, ist eine hohe, aber sowohl nach innen zu den Mitarbeitenden als auch nach außen zu den Suchenden hin lohnende Kunst der Bindung und Überzeugung durch reale Mehrwerte.
Zum Autor: Andreas Herde ist Gründer und Geschäftsführer von YeaHR! und spezialisiert auf Employer Branding und Recruiting im digitalen Umfeld.