
Gastbeitrag:
Holtappels über Niedersachsen: Regionalmarketing als Lachnummer
Die Heide-Landschaft - ein werbliches Minenfeld? Die Niedersachsen-Tourismuskampagne zeigt: Regionalmarketing ist zu einer komplizierten Angelegenheit geworden. Stets sind Emotionen im Spiel - schnell erhitzen sich die Gemüter. Dazu jetzt der aktuelle Gastbeitrag von Benedikt Holtappels.
Die aktuelle Tourismuskampagne für das Land Niedersachsen ist sowohl in der Netzgemeinde als auch bei den meisten Medien gnadenlos durchgefallen. Dies zeigt: Regionalmarketing hat sich mehr und mehr zu einer ziemlich heiklen Angelegenheit entwickelt. Stets sind Emotionen im Spiel - schnell erhitzen sich die Gemüter. Dazu jetzt der aktuelle Kommentar von W&V-Gastautor Benedikt Holtappels, Geschäftsführer der Agentur GGH Lowe (Hamburg).
Falsche Heide-Schafe, schlecht spielende Schauspielerinnen als tanzende Hexen und eine dämlich wirkende Familie auf der Suche nach einer neuen Feriendestination sind die Zutaten des neuen Tourismus-Films für Niedersachsen. Die Netzgemeinde lachte herzlich und kommentierte ziemlich boshaft. Auch der Versuch der Verantwortlichen die ironische Absicht, mit Klischees zu spielen, hervorzuheben, ging gründlich in die Hose. Selbst große Medien wie Spiegel Online und Bild straften die Kampagne ab. Regionalmarketing kann ein verdammt steiniger Weg sein.
Aber lassen wir mal die Kirche im Dorf. Auch andere Regionen und Städte machen es nicht besser. Berlin versucht krampfhaft hip zu wirken. Der Hamburger Imagefilm müht sich mit Pseudo-Poetik ab, die Schleswig-Holsteiner behaupten „der wahre Norden zu sein“ und Thüringen verwirrt mit typischen Symbolen anderer Städte in den Anzeigenmotiven. Gemeinsam ist allen, dass Bildwelten und Aussagen meist völlig austauschbar sind. Dabei haben es doch die Baden-Württemberger vor vielen Jahren vorgemacht. Mit der legendären Kampagne von Scholz & Friends „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ schaffte es die Region mit spannenden Geschichten in die Köpfe und Herzen der Menschen. Auch diese Kampagne war anfangs nicht unumstritten. Denn Werbung für Regionen erhitzt schnell mal die Gemüter. Und meist fehlt den Verantwortlichen der strategische Markenhintergrund, den man auch bei Regionalmarketing unbedingt braucht. So wie das Rückgrat, nicht auf alle möglichen Partikularinteressen Rücksicht nehmen zu wollen und zu können. Denn dann kommt Wischiwaschi oder eben sowas wie bei Niedersachsen heraus: Konsenskampagnen, die viele ansprechen sollen und am Ende niemanden wirklich erreichen. Und zudem noch öffentliche Gelder verbrennen.
Dabei macht gutes Standortmarketing so viel Sinn, nicht nur um Touristen anzulocken. Regionen müssen sich heute auch als Wirtschaftsstandort profilieren. Und darüber hinaus als Lebensraum, der über die Landesgrenzen hinaus attraktiv ist und die berühmten Talente für Jobs anzieht. Es ist also nicht verwunderlich, dass in den letzten Jahren eine Fülle von Regionalkampagnen entstanden ist. Der Wettbewerb der deutschen Bundesländer untereinander nimmt zu. Eine starke Regionalmarke hat Einfluss auf die Wirtschaft, Strukturen und Demographie und entscheidet eben auch über die Zukunftsfähigkeit eines Standortes.
Deshalb muss Regionalmarketing genauso strategisch angegangen werden wie Kommunikation für Unternehmen und klassische Marken. Außerdem ist es von enormer Bedeutung, die Arbeit vorher, während des Kampagnen-Launches und auch danach kommunikativ gut zu begleiten, damit sich auch die Bewohner der jeweiligen Region mit dem Ergebnis identifizieren können. Das heißt nicht, auf jeden Einwand selbsternannter Freizeitwerber aus der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen, sondern eben klar zu machen, warum man eine Region so und nicht anders präsentiert und was es dem Standort am Ende bringt.
Die gute Nachricht für Niedersachsen dürfte zumindest sein: Noch nie haben sich so viele Leute mit dem bisher eher unter dem Radar laufenden Bundesland befasst. Möglicherweise tun sie das nach dem Film aber auch nie wieder. Schade um die Kommunikationschance.
Über den Autor:
W&V-Kolumnist Benedikt Holtappels ist Mitgründer von Grimm Gallun Holtappels in Hamburg. Nach dem Verkauf der Kreativschmiede an Lowe + Partners gehört er nun zur Geschäftsführung der umfirmierten Agentur GGH Lowe.