Jeder kann Influencer Marketing – nicht

Von der Spezialagentur bis zum Marketing-Praktikanten - eine Flut von Experten beansprucht seit Aufkommen des Themas die Expertise für sich. Die einen verdienen vor allem durch Vermittlungsprovisionen und mitunter verdeckten Margen von 50 Prozent und mehr, die anderen beglaubigen ihre Expertise über die ambitionierte Aktivität auf privaten Instagram-Profilen.

Strategie und langfristige Planungen sind nicht selten unauffindbar. Entscheidungen fallen aus dem Bauch und die Anzahl der Produkteinblendungen wird zum Kriterium von Erfolg oder Misserfolg.

Postings aus dem Warenkorb

Reine Self-Service-Plattformen sind der Brandbeschleuniger für das zunehmende Glaubwürdigkeitsproblem. Influencer werden hier als Reichweitenprodukt per Drag & Drop vermarktet. Auch ein mittelständisches Unternehmen, kleine Budgets oder Micro-Influencer-Kampagnen brauchen Beratung. Die Entwicklung einer gemeinsamen, authentischen Botschaft erfordert mehr als eine Einkaufsplattform.

Das hohe Maß an eigentlich nötiger Individualität, auch im Handling der Protagonisten, fällt den Marken dann allerspätestens im Kampagnen-und Projektmanagement auf die Füße – im Widerspruch zur eigentlichen Intention eine schnelle, skalierbare, Zeit- und Kosten sparende Herangehensweise zu finden.

Influencer sind weder eine Facebook-Anzeige noch eine Pizza-Bestellung.

Nettoreichweitenoptimierung in Taka-Tuka-Land

Statt zum Beispiel auf die Relevanz und Akzeptanz von Inhalten, neudeutsch „Engagement“, zu schauen, ist das dominierende Kriterium für erschreckend viele Marktteilnehmer: Reichweite. In der Logik eines Auto-Quartetts für E-Fahrzeuge gewinnt immer der mit der höchsten Zahl.

Bei der Hochrechnung von Kampagnen ergibt die Kumulation der Fans und Follower dann eine stattliche Millionenreichweite, ohne Berücksichtigung von Sichtbarkeit in Newsfeed-Algorithmen, Fans jenseits des Äquators und dem eigentlichen Sinn von Influencer-Marketing: eine glaubwürdige Kooperation für eine loyale Fanbase zu schaffen.

Wenn entsprechende Fake-Follower dann auch zur Reichweiten-basierten Abrechnung genutzt werden, handelt es sich nicht nur gefühlt um Betrug. 

Inhalte ohne Inhalt

Wenn das bewusste Weglassen von Filtern und/oder Photoshop den Gipfel der kritischen Auseinandersetzung mit der Qualität von Inhalten markiert, wird deutlich, dass sich viele Influencer und ihre Inhalte im Kreise drehen, bis zu einem Punkt, an dem selbst die Fans von schnellem, einfach zu verdauenden Inhalten vor Langeweile und Austauschbarkeit wegklicken werden – allen voran im Bereich Beauty, Travel und Fashion.

Werbetreibenden bietet sich aber die spannende Chance, bewusst mit Persönlichkeiten zu arbeiten, deren Glaubwürdigkeit auf echter Kompetenz im Bereich Sport, Entertainment, Technologie, Kunst, Mode etc. basiert. Jene nutzen die Social-Media-Kanäle als Multiplikator und nicht als einzige Daseinsberechtigung. Hier werden wir in den nächsten Jahren einen zunehmenden Wear-out der weichgezeichneten, pastelligen Bikini-Fotos unter Palmen erleben, bei gleichzeitig steigendem Interesse an Inhalten, die eine wirkliche Geschichte transportieren.

Die EU-Schnullerkettenverordnung 

Auch wenn Unfälle durch Schnullerkettengebrauch nicht bekannt sind, alles Wissenswerte dazu kennt die DIN EN 12586.

Da sich die Anzahl der Unfälle im Influencer-Marketing rasant häuft, scheint es hier im Gegensatz zur Schnullerkette notwendig einheitliche Standards zu definieren. In Sachen medienrechtlicher Bewertung werden in der Theorie bereits große Schritte gemacht. Allein der Umgang mit diesem Thema in der Praxis offenbart, dass vor allem die Qualifizierung von professionellen Influencern das erste und entscheidende Kapitel ist.

Und das sind nur die ersten und offensichtlichen Themen. Für Agenturen, die das Thema professionell betreuen, sollten diese Punkte keine Überraschung sein, aber die eindeutige Standardisierung und Kategorisierung von Influencern als Branchenstandard – eine Art TÜV - ist eine dringende Baustelle.


W&V Redaktion
Autor: W&V Redaktion

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