
Krise am Arbeitsmarkt: Büffeln statt bewerben
Die Rezession trifft vor allem junge Beschäftigte. Viele ausgebremste Berufseinsteiger investieren deshalb noch weiter in die eigene Qualifikation - und hoffen, beim nächsten Aufschwung in besseren Startlöchern zu stehen.
Die Zahlen sind eindeutig. Von der aktuellen Krise am Arbeitsmarkt sind vor allem jüngere und gut ausgebildete Arbeitskräfte betroffen. Die Generation der sogenannten „Krisenkinder“ muss derzeit erleben, dass sie in vorderster Front steht, wenn in Unternehmen Stellen und Budgets eingedampft werden. Uni-Absolventen, Auszubildende mit Abschluss sowie junge Angestellte mit nur wenigen Jahren Berufserfahrung stellen fest, dass sie vielfach als Erste gehen müssen, weil sie keine Familie zu versorgen haben und ihr Rauswurf nicht allzu kostspielig ist.
Doch Kündigungen – so müssen auch viele junge Mitarbeiter in der Kreativbranche erfahren – kommen ohnehin nie zur richtigen Zeit. Wer nur kurz nach dem Einstieg wieder vor die Tür gesetzt wird, empfindet den Rausschmiss meist als kalte Dusche: Der Schock will verarbeitet, der Alltag neu strukturiert, viele Fragen beantwortet werden: Soll ich mich gleich in den nächsten Bewerbungsmarathon stürzen? Trotz mangelnder Erfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagen? Oder die freie Zeit zur Weiterbildung nutzen?
Viele Kreative, deren Karriere durch die Rezession ins Stocken geraten ist, favorisieren zunehmend die letztgenannte Option: Die Chance, noch einmal methodisch dazuzulernen und die Krise mit dem Erwerb eines zusätzlichen Abschlusses zu überbrücken, erweist sich insbesondere für Beschäftigte mit Berufserfahrung als attraktiv.
Ekkehard Baumgartner, Professor an der Akademie für Mode und Design (AMD) in München, sieht darin einen grundlegenden Trend: „Die Krise führt dazu, dass die Menschen tiefer reflektieren, wie es weitergehen soll. Weiterbildung erhält dadurch in der Lebensplanung einen deutlich höheren Stellenwert. Bettina Borchardt, Professorin an der Design Akademie in Berlin, sieht das ähnlich: „Im Laufe der Jahre hat sich das Bewusstsein der Studenten für Bildung enorm geschärft. Zunehmend gilt: Je höher man qualifiziert ist, desto sicherer ist der nächste Job.“
Das Bedürfnis nach zusätzlicher Qualifizierung besteht bei den Betroffenen häufig schon lange. Der Verlust des Jobs gibt vielfach nur den letzten Anstoß, um noch einmal den Weg Richtung Hochschule anzutreten. Seit Anfang 2009 ist der Trend auch bei den Bildungseinrichtungen spürbar: „Die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt registrieren wir eindeutig an den Bewerberzahlen“, beobachtet Norbert Eckes, Direktor am Institut für Marketing und Kommunikation (IMK) in Berlin: Der Institutschef erwartet, dass diese Tendenz bis zum Sommersemester des kommenden Jahres noch weiter zunehmen wird.
Auch an der Berliner Design Akademie geht man davon aus, dass die Nachfrage nach zusätzlichen Abschlüssen steigen wird. „Es gibt eine Vielzahl von Studenten, die sich erst nach Abschluss einer Berufsausbildung zu einem Studium entscheiden, etwa um künftig aus der Masse der Bewerber herauszustechen“, berichtet Akademie-Sprecherin Jeannette Weiß. Die Design Akademie bietet für diese Klientel besondere Schnupperkurse wie „try BA – drei Tage Bachelor of Arts auf Probe studieren“ oder den „Master Test“ für den Master-Studiengang Marketing-Kommunikation zur Orientierung an.
Nicht wenige Studenten, die sich für Zusatzausbildungen entschieden haben, sind froh, das Thema Bewerbung vorerst ad acta legen zu können: „Ich habe Sozialwissenschaften studiert und mich nach dem Bachelor noch nicht richtig ausgebildet gefühlt. In der aktuellen Krise bin ich froh, nicht auf den Arbeitsmarkt treten zu müssen“, berichtet Simone Kok, die derzeit an der Design Akademie ihren Master-Abschluss in Marketing-Kommunikation absolviert.
Ein zusätzliches Master-Studium jedoch erfordert längerfristige Bindung, die nicht jeder Arbeitnehmer auf sich nehmen will. Wer als Freiberufler, Teilzeitbeschäftigter oder Arbeitsloser die Nähe zu Auftraggebern und Unternehmen nicht völlig verlieren will, kann an vielen Hochschulen auch auf kompaktere und deutlich kürzere Kursangebote zurückgreifen. Seminare oder Workshops von ein bis fünf Tagen halten die berufliche Planung flexibel und lassen sich zumeist kurzfristig belegen.
So bietet die AMD Summercamps an, in denen schnelles Zusatzwissen für klassische Berufe vermittelt wird: Junge Texter lernen hier professionelles Layouten, Kreative aus dem Filmbereich üben die Produktion von Online-Texten – Angebote, mit denen das Institut auf Veränderungen in Redaktionen und Agenturen reagiert. „In den Medienberufen entstehen immer mehr Teams, die Schreiben, Fotografieren, Bloggen, Layouten und Filmen beherrschen müssen. Redaktionen suchen vermehrt Allrounder, die unterschiedlichste Medienplattformen bedienen können“, glaubt Institutssprecher Baumgartner.
Doch auch für Unternehmer kann es interessant sein, ihren Beschäftigten derartige Weiterbildungskurse nahe zu legen. Dies gilt insbesondere, wenn der Arbeitgeber trotz schwacher Auftragslage nicht auf Stellenabbau setzt, sondern die bestehende Belegschaft mittels Kurzarbeiterregelungen zu halten versucht. Weiterbildung wird so zum Bestandteil flexibler Personalpolitik.
„Einige Agenturen schicken ihre Mitarbeiter zu uns, um die Zeit der geringen Auftragslage zu überbrücken, ohne sie freisetzen zu müssen. Fortbildungsmaßnahmen sind generell sehr gut geeignet, um Krisen auf dem Arbeitsmarkt zu überwinden“, sagt Eckes. Beispielsweise können Unternehmen die Erwachsenenweiterbildung für ihre Mitarbeiter mit dem Kurzarbeitergeld verbinden und auf diese Weise staatlich finanzieren lassen. Darüber hinaus können jedoch auch Einzelpersonen über die „geförderte Weiterbildung“ Zuschüsse vom Staat beantragen.