
Kolumne von Benedikt Holtappels:
Lasst uns aufhören zu jammern: Denn das Jahr wird geil
Alles wird immer schlechter und in der Werbebranche noch ein bisschen mehr? Das kann man so sehen. Wenn man es unbedingt will. Man kann sich aber auch über jede Menge guter Entwicklungen freuen und viele Chancen für 2016 sehen. W&V-Kolumnist Benedikt Holtappels hat sie zusammengeschrieben.
Zugeben, Ende letzten Jahres hat es mich das eine oder andere Mal im Finger gejuckt - angesichts der vielen Diskussionen und Streitigkeiten, die unsere Branche ganz schön mies dastehen ließen. Natürlich ist es wichtig, sich zu reiben, denn Auseinandersetzungen führen auch zu Veränderungen. Genauso wichtig ist es aber, sich gerade jetzt zum Jahresstart neu einzunorden, um sich auch mal darüber klar zu werden, in was für einer privilegierten Lage wir uns befinden. Lasst uns aufhören zu jammern und stattdessen die vielen Chancen nutzen, die vor uns liegen. Ich bin nämlich sicher, wir haben ein saugeiles Branchenjahr vor uns.
Die Wirtschaft steht weiter auf Wachstumskurs mit 1,7 Prozent, das wird voraussichtlich 380.000 neue Jobs schaffen, die Löhne steigen lassen und damit die Konsumlaune der Deutschen. Trotz Krisengeschrei wird der Werbemarkt weiter zulegen. Und die Digitalwirtschaft ist dabei eine der treibenden Kräfte. Denn schon jeder zehnte Werbeeuro, wie W&V jüngst schrieb, kommt von E-Commerce und Online-Unternehmen.
Ja, durch die Digitalisierung fallen auch Jobs weg, das will ich gar nicht verschweigen. Aber es entstehen auch neue durch Startups mit brillanten Ideen wie zum Beispiel die Anti-Schnarch-App Nora, die nebenbei noch so manche Beziehung retten dürfte oder die Verhütungs-App Clue, die schon von 2,8 Millionen Frauen verwendet wird. Oder die App von Premise, die Verbraucherprodukte rund um den Globus in Echtzeit beobachten will. Ganz zu schweigen von den vielen digitalen Neuerungen, die uns dabei helfen, gesund zu leben und fitter zu werden.
Großartig ist auch, dass Virtual Reality dieses Jahr ein richtiges Comeback erleben wird, weil es nicht mehr nur im Gaming-Bereich eingesetzt wird, sondern das Shoppen interessanter machen kann und damit den stationären Handel aufwertet. Nicht umsonst hat Audi gerade eine Reihe von Showrooms mit VR-Brillen ausgestattet. Dies ist auch ein Zeichen, dass Unternehmen wirklich erkannt haben, dass Nutzerzentrierung das A und O bei der Wettbewerbsdifferenzierung wird. Oder warum baut der Discounter Aldi plötzlich Toiletten in seine Filialen ein? Er weiß durch Befragungen, dass neben Erreichbarkeit, Freundlichkeit des Personals auch eine Kundentoilette entscheidend für Shopper ist, sich für oder gegen den Großeinkauf in einem Supermarkt zu entscheiden.
Der Kunde wird endlich König! Die französischen Friseurkette Mod’s Hair hat sich ebenfalls so seine Gedanken gemacht und will neben Hairstyling bald ein Spa und ein Café an die Läden andocken, damit Kunden sich noch besser umsorgt fühlen. Und Ikea bietet seit ein paar Monaten in jedem Haus WLAN an, so dass fündig gewordene Kunden etwa ihr Traumsofa gleich mit ihren Freunden teilen können.
Die ganze leidige Diskussion um Werbeblocker wird garantiert dieses Jahr dazu führen, dass die Qualität von OnlineWerbung besser wird. Weil es dazu keine Alternative gibt. Und Kunden ohnehin zunehmend verstehen, dass es heute nicht mehr um Frequenz und Hardselling geht, sondern man Menschen nur mit Botschaften erreichen kann, die für sie relevant sind. Was für Agenturen bedeutet, wieder mehr kreativen Freiraum zu bekommen und bessere Arbeit abzuliefern, die auch noch mehr Spaß macht: Uns, der werbetreibenden Industrie und den Verbrauchern erst recht.
Die Medien können ebenfalls aufhören zu jammern. Denn es hat sich gezeigt, dass neue Produkte wie etwa "Barbara" oder "Flow" sehr wohl ihre Leser finden, wenn sie gut gemacht sind und die Zielgruppe nicht als Mafo-Manövriermasse, sondern als Menschen mitten aus dem Leben ansprechen.
Ich freue mich jetzt schon darauf, wenn Media- und Kommunikationsagenturen wirklich zusammenarbeiten, um das Beste für die Kunden herauszuholen. Und dass mehr Agenturen erkennen, wie sinnvoll es ist, verschiedene Disziplinen ohne Schranken im Kopf oder in der Struktur aus einer Hand anzubieten. So wie es gerade die Publicis-Gruppe entschieden hat oder fruchtbare Kooperationen wie beispielsweise zwischen Thjnk und Leo Burnett belegen.
Das Jahr wird auch gut, weil mit DDB die nächste Agentur erkannt hat, von Gold-Ideen die Finger zu lassen. Und dass unsere Branche es eben doch schafft, sich zu bewegen, um Arbeitsmodelle zu schaffen, die es Müttern ermöglicht, wieder zu uns zurückzukommen, wo sie supereffizient ihr Wissen mit uns teilen und uns alle ein Stück besser machen.
Natürlich wird das Jahr auch großartig wegen der vielen Sportereignisse. Olympia und die Fußball-EM werden nicht nur den Werbemarkt beflügeln, sondern auch unsere Herzen, was auch verdammt wichtig. Weil wir nämlich dann besonders erfolgreich sind, wenn wir als Menschen agieren, Empathie zeigen, Freude teilen.
Ich starte auch optimistisch, weil tolle Kollegen wie Raphael Brinkert uns alle daran erinnern haben, dass Fairplay und wohlwollendes Verhalten untereinander wichtig ist. Wenn wir nicht an unsere Branche und das, was wir können glauben, wie sollen es dann unsere Auftraggeber tun?
Wir sollten uns alle immer wieder daran erinnern, dass wir trotz aller Widrigkeiten, die es aber in allen anderen Industriebranchen genauso gibt, in einer der geilsten Branchen überhaupt arbeiten. Und ehe ich jetzt ganz besoffen werde vor Optimismus haue ich jetzt einfach wieder rein. Denn jeder von uns trägt mit seinem Stück vom Kuchen, seiner Tonalität, seinem Engagement dazu bei, dass meine Prognose für 2016 auch wirklich eintritt.
Der Autor: Benedikt Holtappels ist Mitgründer und CEO der Hamburger Agentur GGH Mullen Lowe.