
Markenoffensive:
Lidl-Häme: 5 Dinge, die der Discounter trotzdem richtig macht
Über kaum eine Kampagne wird aktuell so heftig debattiert wie über die Qualitätsoffensive von Lidl. Bei aller Kritik am Imagefilm: Lidl macht auch viel richtig.
Die Qualitätsoffensive von Lidl zeigt erste Wirkung. Zumindest, was die Aufmerksamkeit in der Werbebranche angeht. Über kaum eine Kampagne wird so heftig debattiert, auch unter den Meldungen auf W&V Online lassen viele Kommentatoren Luft ab. Dort heißt es etwa: "Die leblose Aneinanderreihung von Bild und Ton aus dem Standardwerkzeugkasten macht aus einem Diskont-Ackergaul eben noch kein Supermarkt-Rennpferd." Oder, dass die Kreativagentur Freunde des Hauses einen belang- und lieblosen Dubletten-Vignetten-Film abgeliefert habe, der auch für Bauhaus werben könnte.
Stimmt. Der Imagefilm ist austauschbar und überflüssig. Aber der Rest ist spannend. Und es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Denn so sieht es wirklich aus:
1. Die Kreation und das Werbeversprechen
Selten wurde Obst so schön angepriesen, wie im Produkt-Spot von Lidl. Im Werbeblock fällt das Werk auf. Und macht Lust auf Melone und mehr. Doch auch wenn im Fokus der Qualitätskampagne Obst und Gemüse, frische Backwaren, Frischfleischartikel, Wein, Kaffee und Schokolade stehen - auch andere Produkte im Sortiment werden darüber entscheiden, ob Lidl das Qualitätsversprechen abgenommen wird. Da hilft auch keine noch so schöne Venedig-Kulisse im gleichzeitig laufenden Produkt-Spot, wenn die Stretch-Jeans 9,99 Euro kostet - unmöglich, da Qualität und Nachhaltigkeit auch nur im Ansatz zu erspüren. Den Spagat muss Lidl aber leisten, um glaubwürdig zu sein. Wahre Qualität zum kleinen Preis lässt sich nur noch schwer vermitteln. Lidl tut deshalb gut daran, klarzustellen, dass 1 Euro für 2 Kilogramm Äpfel, wie im Radiospot beworben, ein "Probierpreis" ist. "Woran erkennen wir eigentlich, was gut ist?", fragt Lidl im Spot. Gar nicht. Man muss schon vertrauen. Und wissen, dass andere den Preis zahlen, wenn man Billigware kauft.
2. Der Zeitpunkt für den Neubeginn
2013 feierte Lidl sein 40-jähriges Jubiläum. Der Zeitpunkt, um sich neu zu erfinden, ist jetzt so gut wie lange nicht mehr. Denn der deutschen Wirtschaft und den Konsumenten geht es prächtig. Laut GfK stieg das Konsumklima Ende Januar auf den höchsten Stand seit 13 Jahren. Der niedrigste Preis ist also nicht mehr so wichtig, die Verbraucher legen wieder mehr Wert auf Qualität und gönnen sich den Luxus, über Nachhaltigkeit nachzudenken. Die reine Kommunikation über den Preis lockt also nicht mehr, stattdessen schaden sich die Discounter mit ihren Rotstift-Aktionen sogar. Qualitätsbewusste Käufer gehen lieber in den Supermarkt. Wenn Lidl sie abwerben will, ist auch Selbstbewusstsein gefragt. "Gute Preise" - das muss ja nichts zwangsläufig Billig-Preise heißen.
3. Transparenz
Die neue Plattform Lidl-lohnt-sich.de erklärt, was Lidl unter Qualität versteht. Die Konsumenten sollen auf der Website unter anderem Informationen zur Herkunft von Produkten finden, Online-Videos erklären Lieferketten und Herstellungsprozesse. Und die Kunden können Fragen stellen. Außerdem informiert Lidl im Kundenmagazin und in den wöchentlich erscheinenden Haushalts-Handzetteln über das Thema Qualität. Mit Transparenz haben auch schon andere Unternehmen gute Erfahrungen gesammelt. Diesen Weg sollte Lidl weitergehen - sofern er ernst gemeint ist. Und sich bei Kritik, zum Beispiel über Massentierhaltung, nicht wegducken.
4. Arbeitgeber
Lidl hat in der Vergangenheit mit negativen Schlagzeilen seinem Image als Marke und als Arbeitgeber geschadet. Das Unternehmen hat jedoch dazugelernt und bekommt mittlerweile bessere Noten als Arbeitgeber - auch von Mitarbeitern, wie etwa das Bewertungsportal Kununu zeigt. "In der Vergangenheit hatte Lidl als Arbeitgeber keinen guten Ruf", sagt Bernhard Franke, Handelsexperte bei der Gewerkschaft Verdi dem Fachblatt "Der Handel". Doch inzwischen gebe sich das Unternehmen "mehr und mehr Mühe." Der Händler hat das Personal in den Filialen aufgestockt, bietet Filialleitern mehr Aufstiegschancen und startete die "größte Weiterbildungsmaßnahme in der Unternehmensgeschichte". Auch zahlt Lidl mit mindestens elf Euro die Stunde mehr als den Mindestlohn, anders als etwa Netto. Lidl hat bei mehreren Veranstaltungen die rund 70.000 Mitarbeiter auf die neue Markenphilosophie eingeschworen. Das scheint zu wirken. Auf W&V Online kommentiert eine "stolze und gern dort arbeitende Lidl Mitarbeiterin mit Abi und Meisterbrief: Dieses Discounter kontra Supermarkt-Denken ist so out. Das gehört ins letzte Jahrhundert." Wenn Lidl es glaubhaft schafft, das Qualitätsversprechen der Imagekampagne auch konsequent in seinen Strukturen zu verankern, dann könnte sich das Unternehmen so Stück für Stück von anderen Discountern abheben. Doch Vorsicht: Die neue Markenstrategie ist ein filigranes Werk, das in allen Unternehmensbereichen gepflegt und gelebt werden muss. Negativschlagzeilen über leidende Mitarbeiter könnten es sofort zum Einsturz bringen.
5. Werbedruck
Lidl wirbt. Und zwar breit und massiv und auf allen Kanälen, zum Teil mit mehreren Kampagnen gleichzeitig (Media: Crossmedia). Ob die Lieblingsgrillplätze der Deutschen, die Sammelfiguren Stikeez und natürlich die Image- und Produktkampagne: Lidl ist aktuell sehr präsent. Und wir alle wissen: Werbung lohnt sich.
Die Handelskette hat noch einen sehr langen Weg vor sich, um die selbst gesteckten Imageziele zu erreichen. Woran sie noch arbeiten muss, sind die Filialen: Wenn Lidl aus der Discounter-Ecke rauswill, sollte das Unternehmen auch seine Läden entsprechend neu gestalten. Mehr dm-Style und weniger Aldi würden gut tun. Der Konzeptstore, den Lidl jetzt in Heilbronn eröffnet hat, geht da in die richtige Richtung. Die "Lebensmittel-Zeitung" zeigt die ersten Bilder. Das Sortiment wurde erweitert und veredelt, das Weinsortiment hat auch hochwertige und teure Tropfen im Angebot, damit lässt Lidl wohl so manchen Vollsortimenter hinter sich. Ebenso gelobt wird das Backwarenkonzept. Auch das Obst- und Gemüsesortiment ist deutlich üppiger und wird neu in Szene gesetzt, zahlreiche Produktfotos schmücken die Wände, Plakate und Deckenaufhänger wiederholen die Kernaussagen der Imagekampagne. Eine Art "Umparken im Kopf" im Lebensmitteleinzelhandel.
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