
Kolumne von Benedikt Holtappels:
Liebe Marketingchefs, tut doch bitte nicht so sozial!
Vielen Dank, dass du uns beschimpft hast, lieber Kunde: Viele Marken verwechseln im Social Web Dialog mit Unterwürfigkeit und Anbiederei. Es droht die digitale Austauschbarkeit. Wollen wir das wirklich? Ein Zwischenruf von Benedikt Holtappels.
Vielen Dank, dass du uns beschimpft hast, lieber Kunde: Viele Marken verwechseln im Social Web Dialog mit Unterwürfigkeit und Anbiederei. Es droht die digitale Austauschbarkeit. Wollen wir das wirklich? Ein Zwischenruf von Benedikt Holtappels.
Marken verlieren Profil durch digitalen Kuschelkurs
Social Media ist eine tolle Sache. Das sage ich sowohl aus privaten als auch beruflichen Gründen. Aber in letzter Zeit lassen sich immer mehr Marken dazu verführen, über diese Kanäle zu nah an Verbraucher heranrücken zu wollen. Plötzlich möchte jede Marke eine Lovebrand sein oder zumindest auf digitalen Kuschelkurs gehen. Je wichtiger Social Media im Marketing-Mix wird, desto stärker bestimmt neuerdings der Kanal die Tonalität von Marken in Deutschland. Was ein ziemlicher Kardinalsfehler ist.
Nur weil fast alle Unternehmen im Netz die Konsumenten duzen, muss das für die eigene Marke nicht richtig sein. Die Bahn etwa ist im Netz fast schon krampfhaft um Kundennähe bemüht. Selbst wenn die Marke oder das Twitter-Team aufs Übelste beschimpft werden, zeigt sich das Unternehmen ziemlich unterwürfig und signalisiert damit am Ende, dass es sich selbst als richtig mies einstuft.
Die Kollegen der Telekom, die sicher genauso viel von genervten Kunden einstecken müssen, sind da deutlich souveräner. Nicht nur weil sie trotz Vornamen-Nutzung beim distanzierten Sie in der Ansprache bleiben. Die Telekom-Kollegen trauen sich, verbal mit humorvollem Unterton auch mal zurückzurempeln, wenn sich jemand ihnen gegenüber im Ton völlig vergreift. Und das ist gut, denn sie zeigen damit, dass sie sich als Dienstleister natürlich kritische Fragen und Anmerkungen gefallen lassen, sich aber als Marke dennoch nicht devot verhalten müssen.
Diese Art von Souveranität vermisse ich zunehmend im Netz.
Weil im Dickicht unzähliger Kanäle wie Twitter, Facebook, Instagram und LinkeiIn inzwischen die Kanaldenke die Marschroute in der Kommunikation festlegt und nicht mehr die Markendenke.
Wir müssen aber die Marke die Tonalität des Kanals bestimmen lassen. Zugegeben, das ist nicht immer leicht – gerade beispielsweise bei Facebook – eine markenadäquate Form zu finden. Aber gefährlicher für Unternehmen ist es, einfach nachzumachen, was andere Marken hier vorexerzieren. Nähe ist eben nicht für jede Marke richtig.
Nehmen wir zum Beispiel die Lufthansa, die immer noch den Anspruch einer internationalen Leadership-Airline hat. Auf zwei Twitter-Accounts, in Englisch und Deutsch, wird die große weite Welt der Lufthansa erlebbar. Auf Instagram zeigt die Marke pulsierende Metropolen gemixt mit historischen Lufthansa-Momenten. So weit, so gut. Leider verirren sich auf den Twitter-Accounts mitunter deutsche Posts, die sich auf Gewinnspiele beziehen, was so gar nichts mit dem Premiumanspruch der Airline zu tun hat. Die eigentlich gute Markentonalität erfährt hier also einen totalen Bruch. Ganz ohne Not übrigens, denn Gewinnspiele könnte man ja als souveräner Platzhirsch im Flug-Business auch einfach der schnöden Konkurrenz überlassen.
Interessant ist, wie Apple mit der Marke in sozialen Medien umgeht. Das erfolgreiche US-Unternehmen unterstreicht den Führungsanspruch schlicht durch Abwesenheit. Zwar hat Tim Cook einen Twitter-Account, aber nicht das Unternehmen selbst. Auch bei Facebook gibt es keine Corporate-Site. Apple hat sich bewusst dafür entschieden, distanziert zu bleiben und das elitäre Pionierimage bewusst zu pflegen. Dies mag ein extremer Weg sein und auch sicher nicht jeder Marke empfehlenswert, aber Apple ist damit absolut konsequent in der Markenführung. Die elitäre Distanziertheit steckt im Markenkern, obwohl die Produkte so populär sind.
So viel Mut, konsequent den eigenen Weg zu gehen, wünsche ich mir von mehr Unternehmen. Es wird Zeit, dass sich die Werbungtreibenden auch in den sozialen Medien wieder auf ihre Marke und die eigenen Werte besinnen. Ansonsten droht der freie Fall in die digitale Austauschbarkeit.
Über den Autor:
W&V-Kolumnist Benedikt Holtappels ist Mitgründer und CEO der Hamburger Agentur GGH Lowe.