
Martin Albrecht: "Nachhaltigkeit ist wie Apfelkuchen und Mutterliebe"
Anlässlich der "Woche der Nachhaltigkeit" stellt Martin Albrecht, Geschäftsführer der Agentur Touchpoint, in einem Essay "die fünf größten Irrtümer in Sachen Nachhaltigkeit gerade" und liefert eine Checkliste für Markendifferenzierung.
Das tragische Reaktorunglück in Japan, die Ethikkommission der Bundesregierung: Small-Talk-Themen gibt es beim 7. Deutschen CSR-Forum, das seit heute in Stuttgart tagt, in Hülle und Fülle. Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR) sollen aber nicht nur dort auf das Podest gehoben werden: Die Initiatoren des Forums riefen bereits am Montag gemeinsam mit der Messe Stuttgart und der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) zur zweiten bundesweiten "Woche der Nachhaltigkeit" auf.
Kein Hype, keine Mode: Mit-Iniitator Wolfgang Scheunemann, Geschäftsführer der Stuttgarter Unternehmensberatung Dokeo, schätzt vielmehr, dass durch Nachhaltigkeit initiierte Produkte und Dienstleistungen in fünf Jahren rund fünf Prozent des Umsatzes aller deutschen Unternehmen ausmachen werden, derzeit liege dieser Anteil bei unter einem Prozent. Die Woche mit Veranstaltungen in fünf Bundesländern soll deutlich machen, "dass nachhaltige Unternehmensführung für die Betriebe, deren Mitarbeiter und die Gesellschaft insgesamt die beste Form einer Unternehmensstrategie ist".
Dieser Meinung ist auch Martin Albrecht, Geschäftsführer der auf Nachhaltigkeitsberatung spezialisierten Agentur Touchpoint, der anlässlich der "Woche der Nachhaltigkeit" für W&V ein Essay verfasst hat. Darin stellt er "die fünf größten Irrtümer in Sachen Nachhaltigkeit gerade und gibt dunkel und hellgrünen Marketern eine Checkliste an die Hand, mit der eine Markendifferenzierung über Nachhaltigkeit gelingt."
Nachhaltigkeit im Marketing – Die fünf größten Irrtümer und wie man sie vermeidet
Nachhaltigkeit ist als Schlagwort überall. Statt uns wieder mal nur mit der Frage zu beschäftigen, ob dies der nächste Hype ist, müssen wir Strategien entwickeln, ob und wie der hinter der Nachhaltigkeit stehende Wertewandel das Marketing und die Markenkommunikation verändern muss.
1. Nachhaltigkeit als Werbebotschaft
Greenwashing ist als Methode mittlerweile so verschrien wie der Pop-Up-Banner.Trotzdem ist die Versuchung groß, der Zielgruppe nach dem Mund zu reden. Insofern erfreut sich der Verweis auf die Markenwerte großer Beliebtheit in der Werbung: “Safety First” (Volvo). “Wir lieben Lebensmittel.” (Edeka) “Versichern heißt verstehen.” (Ergo). “Vertrauen seit 1695.” (Bank of Scotland).
Trotzdem zeigt die W&V-Studie: „Wie Nachhaltigkeit der Marke nützt“ in Zusammenarbeit mit Brands & Values in Bremen: Unternehmen sind von ihrer Kommunikation der Nachhaltigkeit enttäuscht – nicht weil sie schlecht gemacht wurde, sondern im Gegenteil – weil diese Kommunikation nach den Regeln der Werbung gemacht wurde: wer gut sein will muss zunächst einmal gut sein, nicht gut reden, denn diese Werbung trifft auf zunehmend verarschungsresistente Konsumenten.
Werbeverantwortliche wissen meist um das Bedürfnis der Zielgruppen nach verantwortungsvollem Wirtschaften, aber weil sie keinen Durchgriff auf die Produktentwicklung, die Produktionsprozesse, die Logistik haben, machen sie den Fehler, dass sie Wunsch statt Wirklichkeit besingen. Der Glaubwürdigkeit sind blumige Versprechen aber eher abträglich. Eine erfolgreiche Kommunikation der Nachhaltigkeit ist – doofes Wortspiel - nachhaltige Kommunikation: eine langfristige, substanzielle, interaktive Auseinandersetzung mit den Anspruchsgruppen und ihren Forderungen in der ernsthaften, glaubwürdigen Absicht, diese Ansprüche zu erfüllen.
Check 1: Haben wir einen echten Dialog mit den Anspruchsgruppen? Kennen wir ihre Forderungen? Haben wir sie priorisiert und wissen wir, welche wir wie erfüllen werden?
2. Nachhaltigkeit als LOHAS-Bedürfnis
3. Nachhaltigkeit als CSR-Abteilung
4. Nachhaltigkeit als Mission Statement
5. Nachhaltigkeit als Modeerscheinung
2. Nachhaltigkeit als LOHAS-Bedürfnis
Fast 40 Jahre Hippies und Ökos haben im Marketing die Vorstellung gefestigt, dass Konsumentenbewusstsein jenseits von Preis und Qualität das Merkmal einer Nischenzielgruppe ist. Das Besondere der LOHAS aber ist, dass sie gar keine Zielgruppe sind, sondern Vorreiter für ein Konsumentenbedürfnis, welches zunehmend Mainstream wird. Bereits im Jahr 2008 haben wir dieses sozialpsychologische Phänomen in einer ersten repräsentativen Studie für Deutschland mit unserem LOHAS Monitor quantifiziert und qualifiziert. Auch wenn sich die Studien der GfK, von Nielsen und unsere eigene in der Definition unterscheiden, so kann man festhalten, dass alle seriösen Untersuchungen die LOHAS definieren als denjenigen Teil der Konsumenten, der bereit ist, für nachhaltigen Konsum extra zu zahlen.
Mit der zunehmenden Selbstverständlichkeit von nachhaltigen Produkten nimmt aber genau die Bereitschaft, mehr zu zahlen, ab: Die Nachhaltigkeitsinnovation von heute ist der Marktstandard von morgen: Rußpartikelfilter, abbaufähige Waschmittel, FSC-zertifiziertes Papier, etc. Man muss kein LOHAS sein, um diese Produkte nachzufragen. So wichtig es für Unternehmen heute ist, anhand der LOHAS das Wertemuster der Massen frühzeitig zu erkennen, bleibt es doch dabei: Die wirklich erfolgreichen Meilensteine der Nachhaltigkeit werden für den Massenmarkt und nicht für die Nische entwickelt.
Procter & Gamble propagiert deshalb in ihren Nachhaltigkeitsbemühungen einen “No-trade-off approach”: Nachhaltigkeitsinnovationen dürfen dem Konsumenten keinerlei Opfer in Preis oder Qualität abfordern: Tide Coldwater (wäscht mit kaltem sowie mit warmen Wasser) ist deshalb eine echte Nachhaltigkeitsinnovation, die für jedermann eine attraktive Alternative darstellt. Terra Activ von Henkel hingegen ist – abgesehen von kritischen Stimmen bezüglich der Inhaltstoffe – schon aus Gründen der Preisstellung ein ausgesprochenes LOHAS- und damit Nischenprodukt.
Check 2: Nutzen wir die Chance zu massenmarktfähigen Innovationen im Sinne der Nachhaltigkeit? Welche Produktverbesserungen werden morgen Standard sein – und können wir diese nicht schon heute zur Marktreife bringen und uns darüber massenwirksam im Markt differenzieren?
3. Nachhaltigkeit als CSR-Abteilung
Wenn Nachhaltigkeit insofern als strategische Antwort auf die Notwendigkeit zur Markendifferenzierung verstanden wird, ist es logisch, dass dieser Bereich nicht einer mit Spin-Doctors besetzten CSR-Truppe überlassen werden kann. Bei Unternehmen wie der Post oder Bayer, bei denen der Anspruch der Nachhaltigkeit jeden Winkel des unternehmerischen Tuns durchzieht, hat die CSR richtigerweise die Rolle, die Aktivitäten zu koordinieren und zu dokumentieren. Anderswo ist „die CSR“ tatsächlich weniger das Zeugnis als vielmehr der Ersatz solcher Bemühungen, weil es leider die einzige Abteilung ist, die sich mit unternehmerischer Verantwortung auseinandersetzt.
Auf der Suche nach Vertrauen ist nichts so gefährlich wie leichtfertige Versprechen. Und ohne strategische Verankerung in der Kultur und in den Prozessen hat „CSR“gute Chancen „Greenwashing“ als Schimpfwort abzulösen, wenn sie bestenfalls Charity, meistens Feigenblatt und schlimmstenfalls PR-Katastrophe bleibt.
Check 3: Was tut unsere CSR Abteilung: Dokumentiert und begleitet sie unsere Initiativen oder ersetzt und hypt sie diese? Kommunizieren wir Ergebnisse und belegen Erfolge, oder besingen wir Visionen und prahlen mit Glückstreffern?
4. Nachhaltigkeit als Mission Statement
Nachhaltigkeit ist wie Apfelkuchen und Mutterliebe: Niemand kann ernsthaft dagegen argumentieren. Trotzdem leben wir nicht in einer Welt der Nachhaltigkeit, denn Nachhaltigkeit beschreibt die geglückte Balance eines Interessenkonfliktes. Die Entscheidung für oder gegen Nachhaltigkeit ist immer das Ergebnis einer Abwägung - zwischen langfristigem und kurzfristigem Nutzen, zwischen mir selbst und der Gemeinschaft, zwischen Gewinn und Vermögen, etc. Die unternehmerische Vision von „Nachhaltigkeit“ ist deshalb inhaltsleer, solange nicht Kompromisse gemacht und auch aufgezeigt werden.
Wer hofft, sich durch seine Nachhaltigkeitsbemühungen zu differenzieren, muss deshalb dahin gehen, wo es weh tut: Schon der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass die CO2-neutrale Filiale, die Tengelmann bereits 2008 eröffnet hat, ein signifikantes Investment und damit echtes Commitment darstellt. Hingegen entpuppen sich die unter „Nachhaltigkeit“ aufgelisteteten Aktivitäten von Coca Cola Deutschland bei oberflächlicher Betrachtung als Charity oder zur Weltverbesserung aufgeblasene Kostenminimierungs- und Qualitätsmaßnahmen.
Check 4: Hat unser Commitment zur Nachhaltigkeit konkrete Konsequenzen entlang der Wertschöpfungskette? Können wir unsere Erfolge darstellen, ohne das Wort „Nachhaltigkeit“ zu benutzen?
5. Nachhaltigkeit als Modeerscheinung
Der Wertewandel ist real und die „Nachfrage nach Nachhaltigkeit“ stellt neue Ansprüche an Marketer. First Mover wie Toyota haben hier enorme Chancen, Spätzünder wie General Motors ein enormes Risiko. Auch wenn Honda jetzt einen praktisch gleichwertigen Vollhybrid baut, nur Toyota konnte sich durch 15 Jahre Vorsprung mit dem Prius als nachhaltige Automarke positionieren. Und glaubt GM wirklich, dass der in USA gefeierte Chevy Volt eine Chance hat, unser Bild von einem Dinosaurier-Unternehmen zu revidieren?
Die Werte, für die ein Unternehmen steht, stellen deshalb den größten – und oft schlummernden - Wertschöpfungsfaktor dar: In einer Welt kürzerer Innovationszyklen ist es schwer, sich über das Produkt (das „WAS“) zu differenzieren. Der Produktionsprozess, die Kultur und die Werte für die eine Marke steht (das „WIE“) hingegen bietet relevante Unterschiede: Gerade in Branchen mit hohem Wettbewerbsdruck durch homogenes Produktangebot machen die der Marke zugrundeliegenden Wertvorstellungen den maßgeblichen Unterschied: DM vs. Schlecker, Triodos vs. Deutsche Bank, Otto vs. Neckermann, Frosch vs. Meister Proper. Dies sind alles Beispiele für Marken, deren Unterschied weniger im Produkt, als vielmehr in ihrer unternehmerischen Verantwortung liegt.
Auf Marketingverantwortliche warten deshalb zwei Aufgaben: Einerseits müssen sie – als Anwalt der Zielgruppen – deren Bedürfnisse erkennen, und in ihren Unternehmen einen Prozess anstoßen, der die Konsequenzen des Wertewandels für die eigene Marke strategisch aufnimmt. Andererseits müssen sie – wenn der Nachhaltigkeitsanspruch Substanz gewonnen hat – diese Substanz mit dem Ziel einer wertebasierten Differenzierung kommunizieren.
Check 5: Haben wir eine klare, widerspruchsfreie Wertekultur in unserem Unternehmen? Bestimmen diese Werte nachvollziehbar das tägliche Handeln im Unternehmen? Wie können wir uns über diese Werte von der Konkurrenz abheben?