
Medienwächter stöhnen über Skandalflut im TV
Mehr Sex bei "Big Brother", mehr Provokation bei "DSDS": Eine Studie der Medienanstalt LfM unter dem Titel "Skandalisierung im Fernsehen" bestätigt, dass einzelne Formate immer mehr entgleisen - sehr zum Unmut von RTL.
Mehr Provokation denn je machen die Medienwächter im deutschen Fernsehen aus. Die Düsseldorfer Medienanstalt LfM stützt diese Einschätzung durch eine Studie zur Skandalisierung im TV, die jetzt vorliegt. Unter dem Titel "Skandalisierung im Fernsehen" kommt die Analyse zu dem Schluss: Bei einzelnen Formaten wie etwa der RTL-Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" ist ein starker Anstieg von Provokationen zu verzeichnen. Beim Coaching-Format "Super Nanny" - ebenfalls RTL - erreicht die Zahl der provokativen Ereignisse "ein sehr hohes Niveau". Auch bei Sendungen wie "Gnadenlos gerecht – Sozialfahnder ermitteln" (Sat.1) oder "U20 – Deutschland, deine Teenies" (ProSieben) werden Provokationen sehr häufig eingesetzt.
"Es gibt aber auch Formate, bei denen die Anzahl der Provokationen gesunken ist", relativiert die LfM. Von einer generellen Steigerung der Skandalisierung im Reality TV könne demnach nicht gesprochen werden, bezogen auf einzelne Formate jedoch schon. "Dabei werden Grenzverletzungen gezielt als Strategie eingesetzt, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen", halten die Medienwächter fest.
Ein Muster der Grenzverletzung sei etwa die Sexualisierung, die bei "Big Brother" verstärkt zum Einsatz komme. So sei die Inszenierung der zehnten Staffel im Jahr 2010 im Vergleich zur ersten Staffel 2000 in den Darstellungen von Nacktheit und Sexualität zugespitzt worden. Auch die Behauptung eines Tabubruchs bereits im Vorfeld der Ausstrahlung werde gezielt eingesetzt, um Medienberichterstattung hervorzurufen und damit wiederum öffentliche Aufmerksamkeit herzustellen.
RTL reagiert prompt und weist auf Schwächen hin, die die Studie aus Sicht des Kölner Senders aufweist. Provokation sei rein subjektives Empfinden und äußerst dehnbar, was vom Zuschauer als Provokation empfunden werde und was nicht. Die Studie erwecke fälschlicherweise den Eindruck, als ließe sich Provokation objektivieren, so RTL. Mit Blick auf das gerügte "DSDS" betont RTL: "Eine Skandalisierung wird von uns nicht vorrangig angestrebt. Warum soll in einer Unterhaltungssendung nicht das gezeigt werden, was auch im normalen Leben stattfindet?" Die Darstellung von Realität und die dramaturgische Aufbereitung gehöre zum Geschäft und es gebe Regeln, an die sich der Sender halte, wehrt sich der Privatsender, der die "DSDS"-Folgen der Freiwilligen Selbskontrolle Fernsehen (FSF) vorlegt. Das sei Arbeitsgrundlage. "Alles andere ist eine Geschmacksdiskussion, die nur bedingt sinnstiftend ist", heißt es in Köln.
Der LfM-Studie liegt nach eigenen Angaben eine umfassende repräsentative Untersuchung von Reality TV-Formaten hinsichtlich Grenzüberschreitungen, Tabubrüchen und inszenierten Skandalisierungen zugrunde. Die Studie umfasst zudem qualitative Fallstudien, Gruppendiskussionen mit Jugendlichen sowie Experteninterviews. Wissenschaftler vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin und von House of Research Berlin analysierten Castingshows, Doku-Soaps, Coaching-Formate und andere Formen des Realitätsfernsehens. Insgesamt sind 418 Formate gezählt worden, die im deutschen Fernsehen im Zeitraum von 2000 bis 2009 in 29 privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehkanälen erstausgestrahlt wurden.
Studien-Autorin Margreth Lünenborg ordnet die Ergebnisse und ihre Auswirlungen auf junge Seher ein. "Jugendliche erleben bei den Castingshows eine Art von voyeristischer Sehlust, insbesondere an verbalen Entgleisungen. Verbale Attacken und Beleidigungen werden von Jugendlichen demnach stärker akzeptiert als von Erwachsenen." Erkennbar sei auch, dass Boulevardzeitungen und Fernsehsender im Wechselspiel Skandale provozieren und darüber berichten, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen.