
Pro & Contra:
Mehrwertsteuersenkung: Marketingtool oder nicht?
Manche geben die Senkung der Mehrwertsteuer an die Kunden weiter. W&V-Redakteurin Lena Herrmann sieht darin ein perfektes Marketingtool. Verena Gründel, Mitglied der Chefredaktion, hat Zweifel.

Foto: W&V/Uli Kurz
Manche Unternehmen geben die Mehrwertsteuersenkung von 19 auf 16 Prozent ab dem 1. Juli an die Konsumenten weiter. W&V-Redakteurin Lena Herrmann sieht darin ein perfektes Marketingtool. Verena Gründel, Mitglied der W&V-Chefredaktion, hat ihre Zweifel.
Pro: Wer die Senkung des Steuersatzes an seine Kunden weitergibt, profitiert
Die Bundesregierung will durch eine Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent ab Juli die Bundesbürger zum verstärkten Konsum animieren. Das funktioniert aber nur, wenn die Unternehmen den niedrigeren Mehrwertsteuersatz auch an ihre Kunden weitergeben. Sonst verdienen die Firmen mehr, der Konsument spürt davon aber nichts. Es ist also schon im Sinn der Sache, dass die Unternehmen die Senkung weitergeben. Doch längst nicht alle Unternehmen werden sich an der Aktion beteiligen. Dabei könnten sie so viel gewinnen - vor allem dann, wenn sie den Zusatzgewinn nicht für sich behalten, sondern weitergeben. Im Idealfall nämlich zufriedenere und gerne wiederkehrende Kunden.
Der Umgang mit der Mehrwertsteuersenkung ist also eine wichtige Übung in strategischem Marketing. Nach dem Lock-Down und der damit verbundenen Konsumflaute, geht es für fast alle Marken wieder darum, den Kontakt zu ihren Kunden wieder zu intensivieren. Denn auch Produkte, die während der ärgsten Wochen der Krise geshoppt wurden, wanderten schnell und lieblos in den Einkaufswagen. Versorgen war die Devise. Lustkäufe waren Fehlanzeige.
Der von der Bundesregierung geschenkte Marketingansatz sorgt dafür, dass Marken und Kunden wieder enger zusammenrücken. Vor allem dann, wenn die Unternehmen die Preissenkung kommunizieren. Der Drogeriehändler dm ist so ein Beispiel dafür. Und auch die Baumarktkette Hornbach bewirbt die günstigeren Preise auf der unternehmenseigenen Webseite:
Je lauter die Unternehmen auf sich und die neue Preispolitik aufmerksam machen, desto mehr können sie von dieser Sichtbarkeit profitieren. Denn am Ende geht es den Konsumenten gar nicht so sehr um den Preis. Neue Farbe für ihre Küche oder Klopapier und Shampoo kaufen sie sowieso. Und wahrscheinlich auch weiterhin im Geschäft hier Wahl. Aber die Kommunikation der Unternehmen sorgt dafür, dass sie sich Sympathiepunkte bei ihren Kunden sichern. Und die sie gerade in Krisenzeiten viel mehr wert als ein kleines bisschen mehr Umsatz.
Contra: Noch immer kämpfen viele Handelsunternehmen ums Überleben
Für mache Unternehmen mag die Strategie aufgehen, die Mehrwertsteuersenkung direkt an den Kunden weiterzugeben. Aber bei Weitem nicht für alle. Denn zum einen hängt es vom Warensegment ab, ob der Kunde die minimalen Senkungen überhaupt wahrnimmt. Zum anderen können sich viele Händler die Senkungen nicht leisten.
Im Supermarkt vergleichen die Kunden Preise. Ich weiß, dass mein Lieblingswein 14,99 Euro kostet und nehme wahr, wenn er jetzt um ein paar Cent billiger ist - auch wenn mich das sicher nicht reich macht. Die Geste des Supermarktes hat für mich zwar kaum einen realen, dafür einen idealen Wert. Ich bekomme das Gefühl, dass er fair handelt und sich nicht an der Senkung bereichern will.
Auch beim Autokauf oder bei anderen hochpreisigen Gütern nehme ich die Weitergabe positiv wahr. In diesem Fall lohnt sich Preisreduzierung für den Kunden ganz real, deshalb stellt sich auch hier eine positive Wahrnehmung des Händlers ein.
Ganz anders sieht das zum Beispiel in der Textilbranche aus. Modehändler reduzieren ohnehin gerade massenweise die im Lock-Down übrig gebliebenen Waren. Wie soll der Kunde da noch erkennen, ob er von der Mehrwertsteuerreduzierung profitiert oder ob der Händler sie einbehält? Wenn das nicht transparent kommuniziert wird, kommt sich der Kunde vielleicht sogar verschaukelt vor.
Em Ende müssen die Händler Kosten und Nutzen abwägen. Denn es kann je nach Sortimentsgröße ein enormer Aufwand sein, sämtliche Waren umzuetikettieren. Im schlimmsten Fall händisch. Nicht zuletzt muss das Warenwirtschaftssystem angepasst werden. All das kostet Zeit und damit Geld. Wenn am Ende aber nur ein paar Cent Ersparnis für den Kunden dabei rausspringen, ist es nur legitim für den Händler zu sagen, das lohnt sich nicht.
Abgesehen davon kämpfen noch immer viele Handelsunternehmen ums Überleben. Zwar hatten beispielsweise dm, Aldi, Edeka – die die Senkungen weitergeben wollen – oder Amazon – die sich bisher nicht geäußtert haben – keine Einbußen in den vergangenen Monaten, ganz im Gegenteil. Doch die meisten anderen Händler werden die Verluste aus dem Lock-Down nicht mehr rausholen können.
Unter diesen Voraussetzungen ist es nur nachvollziehbar zu sagen: 'Die Mehrwertsteuersenkung sichert mein Überleben, während sie für den einzelnen Kunden kaum einen Unterschied macht. Deshalb gebe ich sie nicht weiter.'
Am Ende profitiert der Kunde auch, wenn die Maßnahme der Bundesregierung hilft, die Vielfalt im Handel zu erhalten. Spannend bleibt noch, wie Corona-Profiteur Amazon mit dem Thema umgeht.