Hier wird offenbar, warum Online als Werbemedium bislang nicht funktioniert. Die Onliner haben nicht die geringste Ahnung von Werbung. Offenbar muss man ihnen den "Brand bzw. Purchase Funnel" erst erklären. Doch, Herr Noller, nach Bekanntheit kommt Sympathie und Vertrautheit, dann erst die Kaufbereitschaft. Nicht einmal der große Online-Gott (wenn es ihn denn gibt) kann diese Reihenfolge umkehren. Werbung muss verführen, Bedürfnisse wecken und um Sympathie buhlen. Neuerdings muss die Werbung sich sogar mit ihren Nutzern auseinandersetzen. Nein, Herr Noller, die Aufgabe von Werbung ist es nicht, zu nerven.

So ist Online keine Gefahr

Bei der Frage nach geeigneten Lösungen kommt das Gespräch auf die Unterbrecherwerbung. Noller: "In einer Marktwirtschaft ist Werbung nun einmal kein Freund des Konsumenten." Und:  "Es gibt in unserer Branche eine Reihe kluger Köpfe, die sagen: Wir brauchen Formate, die noch stärker unterbrechen." Clasen schlägt daraufhin die Hände über dem Kopf zusammen, ringt nach Luft und entgegnet: "…seid nicht so arrogant, auf eure Stör-Mechanismen noch einen draufzusetzen." Er wünscht sich stattdessen Werbung, die interessiert, in einer Dosis, die nicht nervt, in einem Format, das sich auch einmal ignorieren lässt. Jedes Versperren von Inhalten, insbesondere auf dem Handy, führt in seinen Augen in die Sackgasse. Ganz im Gegensatz zu Noller, der großformatige Anzeigen auf dem Handy, die "nach einer Weile" von selbst wieder verschwinden, für zumutbar hält.

Spätestens jetzt dürfen sich die Medien-Wettbewerber, allen voran TV und Print, in aller Gelassenheit wieder zurücklehnen. Online ist keine Gefahr für sie und ihre künftigen Werbeumsätze. Wenn Online das, was wir derzeit erleben, für gut befindet und den Stör-, Unterbrecher- und Nerv-Faktor sogar noch weiter in die Höhe treibt, dann treiben sie die Werbekunden zurück in die etablierten Medien und/oder endgültig in die Hände von Google und Facebook. Dann brauchen wir über Online als Branding-Medium nicht weiter zu philosophieren - und wenden uns digital doch besser wieder den Themen Search und E-Commerce zu.

Leider kommt die Debatte nicht auf mein Lieblingsthema, auf die Funktion von Medien. Darauf hätte Noller - in seinem festen Glauben, man könne Marken branden, indem man die Onlinenutzung stört - wohl eine ebenso verstörende Antwort geliefert. Dafür spricht man jedoch über den Online-Werbeanteil. brand einsstellt fest, dass die Onlinewerbung erst bei neun Prozent der Nettoerlöse angekommen sei. Was allerdings leicht übertrieben ist, denn laut der jüngsten ZAW-Erhebung (nur sie liefert Nettoerlöse) besaß Online 2013 einen Anteil von erstmals 7,5 Prozent . Noller erwidert dennoch bockig, Online sei inzwischen das zweitstärkste Medium hinter Fernsehen.

Das bedarf einer folgenschweren Richtigstellung. Nach ZAW ist Online - hinter TV, Tageszeitungen, Anzeigenblättern und Zeitschriften - das derzeit fünftstärkste Werbemedium in Deutschland. 2013 gelang es Online immerhin erstmals die Verzeichnismedien (der Volksmund sagt dazu Telefonbücher) zu überholen. Die Überheblichkeit der Onliner und ihre Forderung, als Leitmedium zu gelten, rührt also daher, dass sie über nur rudimentäre Kenntnisse unserer Medienlandschaft verfügen. Daher bittet sie auch niemand, Leitmedium zu werden: Weil sie von den übrigen 92,5 Prozent des Werbemarktes nur sehr wenig verstehen.

Auf die in Brand Eins angesprochene Transparenz der Online-Leistung einzugehen, ist an dieser Stelle müßig. Die Onliner halten sich für das transparenteste Medium unter der Sonne. Alle anderen sehen das umgekehrt. Hierzu verweise ich gern auf meinen Beitrag "Alles Murks!" in der "Absatzwirtschaft".

Online auf verlorenem Posten?

Dafür sind die Antworten auf die Frage nach der Onlinewerbung im Jahr 2020 lesenswert. Noller glaubt zu Recht an die digitale Auslieferung der Werbung, an Algorithmen und intelligente Daten-Tools. Aber auch an Sensoren, die übermitteln in welcher Stimmung der User sich befindet. Clasen, siehe oben, hofft einfach auf Werbung, die nicht nervt. Und gibt eine Anekdote zum Besten. Auf der Re Publica klagte ein Redner: "Bitte hört auf, mir Werbung für Nierenreinigungstabletten zu schicken. Und für Antidepressiva und Onlinekredite ohne Schufa-Auskunft. Nur weil ich vor drei Monaten meinen Job gekündigt habe und jetzt freiberuflich arbeite."

Lieber Herr Noller, die Idee mit den Sensoren ist ja ganz nett. Aber abgesehen davon, dass ich euch nicht in mein Gehirn hineinlasse, habe ich berechtigte Angst, dass die Onliner - wenn sie auch noch Zugang zu meinen Gemütszuständen bekommen - die Sache richtig verbocken. Weil sie von Werbung nichts verstehen. Und noch viel weniger von Menschen.

Was lernen wir nun aus diesem Streitgespräch? Dass Online-Werbung deshalb nicht funktioniert, weil sie sich nicht an die Regeln hält, die für Werbung gelten. Sie will hässlich und nervig sein. Sie will belästigen, stören und stärker unterbrechen als jede andere Werbeform. Sie will nicht Freund, folglich also Feind der Konsumenten sein. Sagt Noller - und weiß "eine Reihe kluger Köpfe" hinter sich. Das erklärt natürlich auch, warum Online-Branding bislang nicht funktioniert.

Angenommen, Online würde es umgekehrt machen, sich also zum Freund des Konsumenten erklären und ihn verstehen wollen: Verführerisch, schön und unterhaltsam sein. Wie die Preisträger der diesjährigen New Media Awards. Dann würde auch das Branding in digitalen Medien endlich funktionieren. Wir müssten nur eins tun: Den Onlinern, die die digitalen Kanäle verschandeln, die Werbung wegnehmen.

Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, Wirtschaftswoche-Kolumnist, Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt für W&V. Er ist "Mr. Media".


Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.