Die "Rhein-Zeitung" wagt es also, wieder Geld für ihre Dienste zu verlangen. So wie es die Zeitungen Jahrhunderte lang taten. Zumindest bis das Internet aufkam und die Verleger plötzlich beschlossen, auf digitale Vertriebserlöse zu verzichten, dadurch Print-Leser verloren - und mit ihnen gleich substanzielle Teile ihres Anzeigengeschäfts.

Der Ausweg, das dürfte den Verlegern inzwischen klar sein, ist die Paywall. So überrascht nicht, dass immer mehr Zeitungen, nach "Bild" zuletzt auch die "Süddeutsche Zeitung", mit verschiedenen Modellen experimentieren. Doch die meisten dieser Experimente erscheinen wie erste Gehversuche am Krückstock in der Sprint-Disziplin.

Der Leser ist selbstverständlich bereit, für hochwertigen und einzigartigen Zeitungs-Content zu zahlen. Die Konsumausgaben für Medien steigen seit Jahrzehnten - und sie werden weiter steigen. Es ist, als würde der Leser sein Geld am ausgestreckten Arm hinhalten und die Verleger antworten: "Ach, lass mal stecken, hier hast du alles umsonst."

Paid Kotelett 

Natürlich macht es im Zeitungs-Wettbewerb keinen Sinn, dem Esel unterschiedliche Möhren-Angebote hinzuhalten: Mal ein ganzes Bündel, andere nur eine Möhre und wieder andere überhaupt keine Möhre. Natürlich nimmt der Leser das Bündel und rennt damit schnell davon. Daraus werden die Verleger irgendwann lernen, dass es nur ein Modell geben kann, will man den Leser zum Bezahlen zurückerziehen: Paid Content, kompromisslos schon beim ersten Artikel. Und kompromisslos von allen Zeitungen gemeinsam getragen. Bei Twitter brachte es @geruchtekellner auf den Punkt:

Wer daran nicht glaubt, glaubt auch nicht daran, dass sein Content werthaltig und attraktiv ist. Oder hat erkannt, dass sein Angebot inzwischen aus austauschbarem Text-Müll besteht. Dem sei empfohlen, seinen Verlag baldmöglich zur Müllentsorgung freizugeben, bevor die schmerzhafte Entwicklung ihren unausweichlichen Lauf nimmt.

Natürlich ist es für kleine, regionale Zeitungen aussichtslos mit einem Kommentar zu den Krisenherden der Welt im Wettbewerb um zahlende Leser gegen die Schreib-Ikonen von "FAZ", "Süddeutsche", "Welt" oder "Zeit" antreten zu wollen. Es kann auch kaum darum gehen, mit einer Meldung erster zu sein, denn irgendeiner ist immer schneller.

Was also war noch der USP der regionalen Abo-Zeitung? Stimmt, der Lokaljournalismus. Betonung auf "war", denn ausgerechnet an der Stelle hatte man dummerweise Stellen abgebaut. Das wird sich als drittgrößter Fehler der Zeitungen erweisen. Keiner schafft es, hintereinander weg so viele Fehler anzuhäufen wie die Zeitungsverleger. Von ihnen lernen, heißt Verlieren lernen…

Dass es richtig ist, sich auf seine lokalen Leser zu konzentrieren, hat  die "Rhein-Zeitung" erkannt. Und das hat nun auch Folgen für die Vermarktung ihrer Online-Werbung. Man hat die Kooperation mit dem nationalen Online-Vermarkter OMS kurzerhand aufgekündigt und will künftig wieder selbst und vor allem lokal vermarkten. Die Werbung auf der Website soll - hört, hört - weniger, aber wertiger werden. Man werde die Zahl der Online-Werbeformate "deutlich reduzieren und digitale Werbung .... attraktiver machen". Lindner begrüßt den Schritt: "Jetzt ist der Weg frei, den Auftritt von Rhein-Zeitung.de völlig neu zu denken und aus dem Würgegriff von Marginalspalte und Wallpaper zu befreien."

Lange haben wir auf diese Erkenntnis warten müssen. In Koblenz folgt man künftig einem altbekannten Gesetz des Marktes: Nur was eingeschränkt verfügbar ist, wird wertgemäß bezahlt. Man darf gespannt sein, wie lange es dauert, bis sich das in der gesamten Online-Welt herumspricht. Spätere Generationen werden vom "Koblenzer Manifest" sprechen.

Wut macht keine Umsätze

Derweil machen alle übrigen Zeitungen anderweitig auf sich aufmerksam: Sie schäumen vor Wut. ProSiebenSat.1 will nämlich regionale TV-Werbung vermarkten. Gegen das ursprünglich geplante Vermarktungsverbot zum Schutz der regionalen Zeitungen gab es nun überraschenderweise eine Blockade - ausgerechnet seitens des Freistaats Bayern. Der Zeitungsverlegerverband spricht davon, dass die Politik "einmal mehr völlig unnötigerweise die Axt an die wirtschaftlichen Grundlagen der Verlage" lege.

In einer digitalisierten Medienwelt ist nun einmal wenig Platz für Reglementierungen. Regionale (und lokale) Bewegtbildwerbung wird den Werbemarkt über kurz oder lang vorantreiben. Den Zeitungsverlegern wird Besseres einfallen müssen als nach dem Gesetzgeber zu rufen und selbst Axt im Wald zu spielen. Sie werden dieser Entwicklung ihre einzigartige Medienqualität entgegensetzen und dem Spiel von Angebot und Nachfrage ausliefern müssen. Ihnen und uns bleiben die Spots lokaler Automobilhändler und Möbelhäuser nach amerikanischem Muster und in "Seitenbacher"-Qualität wohl nicht erspart.

Wut, verehrte Verleger, macht keine Umsätze. Wohl aber Besinnung auf die eigenen Qualitäten und Attribute. Und neue, frische Ideen wie die aus Koblenz. Viel Erfolg also, Herr Lindner!

* Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, "Wirtschaftswoche"-Kolumnist, Buchautor und Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt seit 2013 für W&V. Er ist "Mr. Media".


Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.