
Gastbeitrag:
Post Pandemic Retail: Do's & Dont's im Einzelhandel
Die Coronakrise hat deutlich gemacht, dass ein "Weiter so" nicht infrage kommt. Retail-Experte und #Showrooming-Gründer Ayhan Yuruk gibt Tipps, wie Marken sich jetzt perfekt in Szene setzen können.

Foto: #Showrooming
Die gute Nachricht vorweg: Grundsätzlich gibt es nach wie vor ein ungebremstes Potential und Wachstum im Handel. Das sollte Mut machen, jetzt nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern die Situation als Chance zur Veränderung zu begreifen. Wer sich jetzt nicht an die Erwartungen der Kunden anpasst und sich und seine Marke revolutioniert, wird schon bald Geschichte sein.
Nachfrage nach Stores nutzen
In Folge der Covid-Ausgangsbeschränkungen und der staatlich angeordneten Schließungen der Geschäfte stieg die Zahl der Online-Käufer, während der stationäre Einzelhandel massive Verluste erlitten hat. Laut einer im Juni und Juli 2019 von SCB Partners durchgeführten Umfrage, bei der über 15.000 Konsumenten aus zehn europäischen Ländern befragt wurden, steigt zudem gleichzeitig der Wunsch bei Kunden nach Stores von rein digitalen Unternehmen wie Netflix oder Spotify. Diese Nachfrage sollten die Online-Retailer nutzen und die freiwerdenden Stores in Toplage besetzen. Das schafft Kundennähe, dient der Zielgruppenerweiterung und gibt den Retailern die Möglichkeit, mit überraschenden Markenerlebnissen zu begeistern.
Bequeme Bezahlmöglichkeiten, flexible Retourenlösungen, schnelle Lieferung
Dabei müssen die veränderten Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden auch in der Offline-Welt erfüllt werden. Welche das sind? Bequeme Bezahlmöglichkeiten, flexible Retourenlösungen, schnelle Lieferung von Produkten, die nicht am Lager sind … – nur um einige Beispiele zu nennen. Und das ist längst keine Theorie mehr: Die Autoindustrie hat die Entwicklung erkannt und lässt zum Beispiel mittels Virtual Reality das neue Wunschauto direkt im Geschäft konfigurieren.
Nike in New York City individualisiert Sneaker, die dann per Express-Checkout ohne lästiges Schlangestehen abgeholt werden können. Französische Sephora-Stores ermöglichen "Virtual Makeovers", bei denen der Kunde sehen kann, wie die Produkte an ihm aussehen werden. Ist das auch für Marken möglich, die keine haptischen Produkte anbieten? Aktuell setzt Vattenfall auf eigens für die Marke konzipierte Erlebniswelten und inszeniert sich so komplett anders und neu. Ein weiteres sehr gutes Beispiel ist die "Quartier Zukunft" Filiale der Deutschen Bank in der Friedrichstraße in Berlin. Bereits seit November 2016 vereint sich dort im Q110 das Thema Community mit Startup-Mentalität und Event-Showroom - und das immer wieder aufs Neue.
Retail Space 6.0: Die Zukunft des Einzelhandels
Alte Shop-Layouts, Floor Plans und Zonings haben ausgedient. Neue Ideen rund um das Markenerlebnis sind vor allem im Retail gefragt. Die Zahlen des kürzlich veröffentlichten #SHOWROOMING Whitepapers zeigen es deutlich: Für 80 Prozent der Verbraucher ist Erlebnis beim Einkauf genauso wichtig wie das Produkt der Begierde. 74 Prozent kommen mit einer neuen Marke zuerst offline in Berührung. Zwei von drei Kunden würden für nachhaltige Produkte mehr zahlen, jeder zweite Kunde wünscht sich mehr regionale Marken. Der Store der Zukunft wird in folgenden sechs Feldern brillieren müssen, wenn er reichweitenstark werben möchte:
- Sales Excellence. Der stationäre Store ist und bleibt der stärkste Umsatzkanal (siehe Grafik). Durch erweiterte Technologien, z.B. neue Bezahlmethoden und Anknüpfung an globale Marktplätze, wie Zalando oder Farfetch, werden für den Store ganz neue Absatzmöglichkeiten geschaffen, die den Umsatz kanalübergreifend steigern können. Gerade jetzt in der Krise haben sich zahlreiche Retailer mit Big Playern wie Zalando oder Farfetch verbunden, wodurch sie quasi zu dezentralen Mini-Lagern und Logistikzentren wurden und globale Anfragen von Kunden bedienen konnten! Kooperation kann so zu beiderseitigem Profit führen.
- Marketing Tool. In keinem anderen Kanal kann eine Marke besser ihr volles Potential nutzen als im Store, um den Kunden multisensorisch und emotional zu begeistern und zu faszinieren. Visa, Instagram und Netflix zeigen, wie effektiv Marken-Pop-Ups zum Beispiel auf Festivals sind, um näher am Abnehmer zu sein und dadurch in Kontakt mit dem realen Kunden zu treten oder ganz neue Kunden für sich zu gewinnen. Gerade für Online-Unternehmen oder solche ohne physische Produkte sind Stores als Marketing- und Kommunikationskanäle die erlebbare Alternative zum Online-Marketing.
- Content Factory. Der Store von morgen wird mit neuen Stories und permanent wechselnden, überraschenden Erlebniswelten begeistern müssen, um beim Kunden relevant zu bleiben. Der Store wird zum “Real-Life-Instagram”. Vattenfall ist hier beispielhaft: Im Rahmen eines Aktivitätskalenders wird jede Woche eine andere Aktion in den Vattenfall-Stores umgesetzt, um potentielle Kunden in das Geschäft zu ziehen. Dazu gehören Aktionen wie "MeinKiez", wo Influencer ihre Communities auf Tagesausflüge zu ihren Lieblingsorten mitnehmen und zum Schluss im Vattenfall Store zusammenfinden. Und wie in der virtuellen Welt auch, kann der Kunde ganz schnell den "Unfollow Button" klicken und bei Mißfallen den Store nie wieder betreten.
- Community Center. Der Store wird so zur lokalen Plattform der Markenliebhaber und ermöglicht den Austausch von Gleichgesinnten. Lokale Designer oder Künstler werden mit dem Kunden zusammengebracht, wodurch ein interaktives Netzwerk entsteht, bei dem aktuelle, markenübergreifende Themen wie Nachhaltigkeit oder Diversity adressiert werden können. Peloton, Anbieter von Live Cardio Trainings für zuhause, hat beispielsweise in Berlin einen Store eröffnet, um eine Community aufzubauen und den Besuchern gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, die Geräte auszuprobieren und ein Gefühl für das Abo-System zu erhalten. Während der Sportbekleidungshersteller lululemon athletica punktuell auf Festivals und Retreats anwesend ist. Über die regulären Online-Klassen hinaus bietet er zudem stets wechselnde lokale Events oder Yoga Classes mit ortsansässigen Brand Ambassadors in seinen Stores an. Eine gesunde und wachsende Brand-Community wirbt so von alleine für die Marke. Apple zeigt uns das seit Jahren.
- Co-Creation Lab. Der Kunde ist nicht nur Konsument, sondern Mitgestalter der Marke. Dank direkter Kundenbewertungen bzw. Input der Kunden können Produkte und Prozesse optimiert werden. Im Gegenzug kann der Kunde beispielsweise Einladungen zu Community Events erhalten. Ähnlich wie bei den Auswertungen mit Hilfe von Google Analytics beim E-Commerce gibt es auch für den stationären Handel zahlreiche technische Möglichkeiten, um das Kunden-Engagement zu messen. 3D-Sensoren können Bewegungsabläufe, Aufenthaltsdauer, Alter, Geschlecht, Zufriedenheit, Wiederkehrraten und sogar die Zeit, die eine Person vor dem Schaufenster verbringt, abbilden. Gleichzeitig kann aber auch festgestellt werden, ob der Kunde wegen des Schaufensters in das Geschäft hineingekommen ist.
- Brand Stage. Der Store wird zur Bühne einer Marke, ein Botschafter der Markenphilosophie. Wenn Kassenbereiche und Lagerflächen dank smarter Technologie wegfallen, entsteht mehr Raum für Innovation und Erlebnisse! Hier muss vor allem überdacht werden, warum ein Kunde in den Store kommen sollte. Wie gliedere ich das Geschäft? Was für Zonen werden präsentiert? Im besten Fall sollte der Kunde hier - genauso so wie auf den Social Media Kanälen redaktionell durchgetaktet - immer wieder neu angesprochen und mit kreativen Ideen überrascht werden. Ein Store ist auch kein fixer Ort mehr, sondern überall da, wo die Zielgruppe ist. Das kann in der Straße, am Bahnhof oder auf Festivals sein – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, Kreativität ist hier gefragt.
Fazit
Die beste Ressource für erfolgreiche Markenwerbung ist und bleibt der Kunde. Glückliche Kunden bleiben ihren Marken treu und werden zum besten Markenbotschafter. Deshalb gilt es für Unternehmen jetzt darum, nicht länger nur zu reden, sondern die Gelegenheit zu nutzen, neue Wege zu gehen, die Zukunft aktiv zu gestalten und endlich wieder Erlebnisse zu schaffen.
Autor:
Ayhan Yuruk ist Gründer und Managing Director der in Berlin ansässigen NewRetail Agency #SHOWROOMING.