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Pro & Kontra: Strengere Regeln für Lebensmittelwerbung?
Agenturchef Stefan Kolle hat in einem "Spiegel"-Interview manipulative Lebensmittelwerbung beklagt und ein stärkeres Eingreifen des Gesetzgebers gefordert. Im W&V-Agenturressort gibt es dazu zwei widerstreitende Meinungen: Pro & Kontra.

Foto: Privatmolkerei Bauer
Stefan Kolle, Mitgründer und Kreativchef der Hamburger Agentur Kolle Rebbe, hat in einem "Spiegel"-Interview zuletzt manipulative Lebensmittelwerbung beklagt und ein stärkeres Eingreifen des Gesetzgebers gefordert.
Im W&V-Agenturressort gibt es dazu zwei widerstreitende Meinungen. Conrad Breyer (Ressortleiter Agenturen) findet, es sei nicht Aufgabe des Staates, für bessere Werbung zu sorgen. Seine Kollegin Daniela Strasser gibt Stefan Kolle dagegen Recht.

W&V-Redakteurin Daniela Strasser (Foto: W&V/Achim Kraus)
Maßhalten beim Kreieren von Scheinwelten
(Kommentar Pro von Daniela Strasser)
Stefan Kolle hat dem „Spiegel“ ein viel beachtetes Interview gegeben. Es geht darin eigentlich um sexistische Werbung, zum Schluss thematisiert Kolle allerdings noch einen anderen Bereich: die Lebensmittelwerbung. Im O-Ton sagt Kolle: „Im Lebensmittelbereich müsste man meiner Meinung nach strenger durchgreifen.“ Werbung suggeriere, dass es okay sei, einem Schulkind zwei Bifi und drei Liter Fanta mitzugeben. Und am nächsten Tag Sprite und Milchschnitte. Der Mitgründer und Kreativchef der Hamburger Agentur plädiert dafür, die Hersteller zu drängen, die tatsächlichen Inhaltsstoffe ihrer Produkte offenzulegen – und macht damit alles richtig.
Kolle gilt als einer der schlauesten, vertrauenswürdigsten Vertreter seiner Zunft, und es ist gut, dass er sich traut, sensible Themen anzusprechen. Fällt er damit seinen Kollegen ins Kreuz, die sich täglich bemühen, Fanta, Bifi und Sprite kommunikativ zu inszenieren? Mitnichten. Kolle argumentiert für einen dringend nötigen Richtungswechsel in der Kommunikation: Ehrlichkeit statt Suggestion. Es ist an der Zeit, dass Marken auch sagen, was sie nicht sind, gerade in der Lebensmittelwerbung. Nicht umsonst erfreut sich etwa der „Goldene Windbeutel“, wie kritisch man den Negativpreis auch sehen mag, doch höchsten Verbraucherzuspruchs.
Der Bauersche Fruchtjoghurt – um ein Beispiel zu nennen, auf das sich Kolle beruft – hat nun mal nicht genau so viele Vitamine wie ein Apfel. Klar darf Werbung Scheinwelten und Markenwelten generieren, das soll sie auch. Es ist ihr Daseinszweck. Aber im richtigen Maß. Sie kann Markenerlebnisse schaffen, Geschichten erzählen, Content streuen. Aber sie sollte moderner werden, und das heißt vor allem: authentischer. Da darf der Staat im Zweifelsfall auch klare Grenzen vorgeben. Es braucht mehr Vordenker wie Kolle.

Conrad Breyer ist Ressortleiter Agenturen (Foto: Thomas Dashuber/W&V)
Für gute Werbung kann nicht der Staat sorgen
(Kommentar Kontra von Conrad Breyer)
Natürlich ehrt es Stefan Kolle, dass er seine eigene Arbeit hinterfragt. Es hat Größe, wenn einer der profiliertesten Agenturchefs des Landes zugibt, dass Werbung die Macht hat, das Denken der Menschen zu prägen; der Gesetzgeber müsse deshalb den Rahmen vorgeben – speziell bei Lebensmitteln. „Wer glaubt, dass ein Kilo Rinderhack für 1,99 Euro eine gute Sache wäre, der irrt“, sagt er. Und Kolle hat recht. Aber seine Argumentation greift zu kurz. Nicht nur der Staat muss Verantwortung übernehmen, an erster Stelle sind Agenturen und ihre Kunden gefordert.
Es wirft ein düsteres Licht auf die Branche, wenn einer ihrer prominenten Vertreter eingesteht, dass Agenturen bis heute Menschen zu Dingen verführen, die so gar nicht gesund sind für sie. Essen Bifi, trinken Fanta und wundern sich, dass sie dick werden. Klar: Der Verbraucher ist mündig und entscheidet selbst, was gut für ihn ist. Trotzdem muss man sich fragen, warum Agenturen noch immer so werben. Weil sie mit den Kunden gutes Geld verdienen? Weil sie kein Rückgrat haben? Der Staat allein kann das nicht regeln.
Lebensmittelwerbung kann erfrischend anders sein. Das hat die Agentur Thjnk dieser Tage erneut mit der Limo-Kampagne für Granini bewiesen. Die Limonade inszeniert das Unternehmen nicht als gesunden Drink für zwischendurch. Mit den Testimonials Joko und Klaas gibt sich die Marke selbstironisch.
Seit Jahren klagen Agenturen über Nachwuchsmangel. Die Jungen wollen nicht mehr in der Werbung arbeiten, weil es mit dem Image nicht zum Besten steht. Das mag an den niedrigen Einstiegsgehältern liegen, an den vielen Überstunden, vielleicht auch an den überzogenen Erwartungen der Leute selbst. In jedem Fall aber liegt es auch an einer Werbung, die die Verbraucher für dumm verkauft. Davon brauchen wir weniger.
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