
Samara:
So arbeitet das Designstudio von Airbnb
Airbnb hat sich mit dem Erfolg immer weiter vom eigentlichen Markenversprechen entfernt. Höchste Zeit, umzudenken. Jetzt soll das hauseigene Designstudio Samara die Community neu beleben.

Foto: Samara/Edward Caruso Photography
Eine Luftmatratze hat das Leben der ehemaligen Mitbewohner und Designkommilitonen Brian Chesky und Joe Gebbia auf den Kopf gestellt. Dass aus ihrer Idee eine der größten Communitys der Welt wachsen würde, daran glaubten zuerst nur sie selbst, die Gründer der Übernachtungsplattform Airbnb.
Die beiden sollten recht behalten: Nächstes Jahr feiert das Unternehmen sein Zehn-Jahres-Jubiläum. Mit einer Bewertung von 31 Mrd. Dollar am Risikokapitalmarkt ist Airbnb kein gewöhnliches Startup, sondern ein Einhorn, das 2016 erstmals schwarze Zahlen geschrieben hat.
Von Anfang an wollten Chesky und Gebbia das Reisen einem größeren Publikum zugänglich machen. Inzwischen bieten Privatpersonen in mehr als 34 000 Städten Fremden ihre Unterkünfte an, darunter spektakuläre Nachtlager wie Iglus, Baumhäuser oder Leuchttürme.
Kein Zweifel, die Community ist riesig. Abgesehen von zahlreichen Auseinandersetzungen mit Städten wie New York, London oder Berlin, läuft es. Steigende Mietpreise in den Innenstädten nehmen die Kunden billigend in Kauf. Hauptsache, Sie müssen in keinem 08/15-Hotel übernachten.
Doch eine Frage drängt sich den Investoren langsam auf: Wie geht es weiter? Denn von der eigentlichen Idee der Gründer, überall auf der Welt in das lokale Leben ihrer Bewohner einzutauchen, ist immer weniger übrig. Airbnb gerät in Zugzwang, will das Unternehmen nicht riskieren, seine Glaubwürdigkeit zu verspielen.
Lange wurde spekuliert, ob die Gründer eigene Hotels eröffnen würden. Schließlich seien die Grenzen zwischen privatem und gewerblichem Wohnraum ab einer gewissen Anzahl an Übernachtungen fließend. Das lehnen Chesky, Gebbia und ihr Mitgründer, der Programmierer Nathan Blecharczyk, weiterhin ab; Hotels passen nicht zum USP der zwischenmenschlichen Begegnung. Ihnen schwebt etwas anderes vor: Sie wollen den Markenkern "Community" auf neue Bereiche jenseits der Vermittlung von Zimmern übertragen, etwa auf Architektur oder Softwarelösungen. Dafür haben sie vergangenen August ein eigenes Designstudio gegründet: Samara.
Die ersten Schritte der Markenerweiterung waren klein und leise. Man könnte auch sagen, der Start des Airbnb-Ablegers lief ohne nennenswerten Medientrubel ab. Auch ein halbes Jahr nach der Gründung ist es um das Projekt noch ziemlich ruhig.
Ende März sendete Samara dann ein Lebenszeichen via Twitter: Gesucht werde ein Industriedesigner, der bereit sei, „kulturelle Stereotype“ infrage zu stellen. Bevorzugt würden Kandidaten, die Erfahrungen im Bereich Consumer Electronics, Automobil, Luftfahrt oder "Human Factors Research" (Arbeitswissenschaft) mitbringen.
Aus dem sogenannten "Bélo" – wie Airbnb das Logo in Anspielung auf das englische Verb "belong" selbst bezeichnet – ist auch das Design von Samara entstanden. Grafisch unterscheidet es sich durch einen einzelnen Punkt, der die geschwungene Form im rechten Schenkel unterbricht. Der Name "Samara" indes kommt aus der Botanik: So werden die Samen verschiedener Laubbäume wegen des häutigen Saums ihrer Frucht als "Flügelnüsse" oder auch als "Samara" bezeichnet.
Samara soll die Glaubwürdigkeit von Airbnb retten
Was also hat Airbnb mit dem Venture vor? "Nach mehr als 100 Millionen Gästen haben wir genug Erfahrung gesammelt, um ein paar verrückte Fragen zu stellen", sagt Mitgründer Joe Gebbia, der das Designstudio in San Francisco verantwortet. "2015 haben wir beschlossen, dass es eine Instanz geben sollte, die diese Fragen beantwortet und neue Gedanken pflanzt. Samara ist unsere Antwort."
Dass es ein Weilchen dauern könnte, bis sich bei Samara etwas tut, davon war auszugehen. Das hatte das Studio bereits im August 2016 auf seiner Website angekündigt. Ein Launch inklusive Vorwarnung: Einstellungen ändern sich eben nicht über Nacht – egal, wo man schläft.
Das Ziel von Samara blieb davon unberührt: War Airbnb in den Worten von Gebbia gestartet als "simple act of hospitality, an act of generosity, an act of trusting strangers", soll Samara die zentralen Werte – Teilen und Vertrauen – im täglichen Leben verankern. Und damit neue Zielgruppen erreichen.
Übernachten im "Cedar House" in Yoshino
Mit dem sogenannten "Cedar House" fiel im Oktober 2016 der eigentliche Startschuss. Nach einem Zwischenstopp auf der "House Vision", einer Ausstellung in Tokio, steht das Haus nun im japanischen Yoshino, einer Kleinstadt in der Präfektur Nara. Gebaut aus Zedernholz der umliegenden Wälder, bietet es Platz für vier Gäste: Zwei schlafen im Sunrise, zwei im Sunset Room. Mittlerweile gibt es sieben Bewertungen, wobei sie alle aus März und April dieses Jahres stammen. Fast durchgängig erhält die von Architekt Go Hasegawa entworfene Blockhütte die volle Punktzahl: fünf Sterne.
Wer will, kann während seines Aufenthalts den angrenzenden Fluss genießen, in Kakiblätter gewickeltes Sushi essen oder einfach nur die Kirschblüte bestaunen. Gleichzeitig dient das Cedar House der einheimischen Bevölkerung, denn von den Mieteinnahmen profitieren alle Einwohner Yoshinos.
Was es nicht sein soll – und hier wird deutlich, dass Airbnb nicht in die Breite, sondern in die Tiefe wachsen möchte –, ist ein Vorstoß hin zu einer Hotelkette. "Die Menschen verlangen alle möglichen Optionen, wenn sie verreisen. Neben Homesharing auch traditionelle Unterkünfte", sagt Gebbia. Die moderne Interpretation des japanischen Stils beim Cedar House in Yoshino passt da gut ins Bild.
Aber der Designunternehmer will nicht ausschließen, dass sich daraus ein skalierbares Geschäftsmodell entwickeln könnte. Als Testballon gestartet, werde man auf Basis des Erfolgs dieser Initiative entscheiden, ob man das Konzept in andere Städte und Länder erweitere.
Es geht darum, die Community zu vernetzen
Mit jedem der Projekte oder auch einer neuen Idee sucht Samara eine Antwort auf die Frage, wie man die Airbnb-Community noch besser vernetzen kann, damit einzelne Mitglieder sich gegenseitig unterstützen können. Gebbia denkt etwa darüber nach, aufstrebende Designer und Macher ihre Lieblingsstädte beleuchten zu lassen. Oder an soziale Projekte wie das Yoshino Cedar House.
Das Team, das an der Markenerweiterung von Airbnb bastelt, ist multidisziplinär aufgestellt: Designer, Ingenieure und Autoren arbeiten in einer Umgebung, die auf Zusammenarbeit setzt. Mit einem Unterschied: "Wir funktionieren nicht wie ein typisches Designstudio, das mit konkreten Zielen oder Aufträgen arbeitet. Wir probieren Ideen an uns selbst aus und sind alle gleichermaßen stark dem Erfolg jedes Projekts innerhalb des Teams verpflichtet." Jeder Mitarbeiter bringt andere Talente mit – kreative Visionen, "Killer Coding" oder Erfahrung in Produktdesign. Hier wird der Community-Gedanke wieder großgeschrieben.
Samara ist nicht einfach nur eine Spielerei von Joe Gebbia. Aus den Daten, die im Besitz von Airbnb sind, lässt sich schließen, dass eine kritische Masse bereits ihre Einstellung bezüglich Teilen und Vertrauen verändert hat. War es vor zehn Jahren noch kaum denkbar, sein Zuhause wildfremden Leuten zur Verfügung zu stellen, "übernachten allein heute Nacht mehr als eine Million Menschen bei jemand anders in der Wohnung", sagt der Samara-CEO. Jetzt gehe es darum, welches Problem man als Nächstes lösen wolle. Mehr ins Detail geht er nicht.
Nur so viel: Alle Projekte, die Samara anstößt, sollen der Airbnb-Community zugutekommen.
Designer sind die wahren Problemlöser
Heißt das nun, dass Samara die Zukunft von Airbnb ist, oder ist es bloß ein nettes Beiboot? "Design war in meinem Leben schon immer die treibende Kraft", sagt Gebbia.
Design ist die Linse, durch die ich die Welt erlebe.
Sein Leben habe sich schon immer um Design und Unternehmertum gedreht. Deswegen sei es so natürlich gewesen, Airbnb zu gründen. Und jetzt sei es eben offensichtlich gewesen, dass Airbnb ein Team brauche, das sich konzentriert damit beschäftigt, neue und aufregende Wege zu finden, die Community miteinander zu verbinden. Samara ist für Gebbia deshalb schlicht "eine Verlängerung".
Entwickelt sich aus dem – böse gesagt – Hobby von Joe Gebbia die Lösung des Dilemmas, in dem Airbnb steckt? Die Rückbesinnung auf den Designgedanken könnte tatsächlich der entscheidende Schritt für Airbnb zu mehr Community und damit mehr Glaubwürdigkeit sein.