AOK-Forderung:
Streit um Ruf nach Werbeverbot für Dickmacher
Einer Studie zufolge sehen Kinder im Schnitt 15 Mal pro Tag Werbung für ungesundes Essen. Ein Bündnis aus Wissenschaftlern, Kinderärzten und AOK-Bundesverband fordert ein Werbeverbot.

Foto: AOK Bundesverband
Zwischen 8 und 22 Mal pro Tag wird das Durchschnittskind pro Tag mit Werbung von Lebensmittelherstellern berieselt, die meisten der beworbenen Produkte sind für gewöhnlich alles andere als gesund. Das ist eines der Ergebnisse der vom AOK-Bundesverband unterstützten Studie "Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV" der Universität Hamburg. Auf Basis dieser fordert ein Bündnis aus AOK, Wissenschaftlern und Kinderärzten nun ein Verbot des Kindermarketings für solche Produkte in allen Medienarten. Das sei, so die dpa in einer aktuellen Meldung, in vielen Ländern bereits Standard. Die Daten der Untersuchung der Universität Hamburg stammen noch aus der Zeit vor der Corona-Pandemie und beziehen sich auf Fernsehen und Internet. "Gegenüber Ende 2007 ist die auf Kinder gerichtete Werbeintensität um 29 Prozent angestiegen", lautete ein Ergebnis zu TV-Spots. "Die Unternehmen haben den Werbedruck auf Kinder bewusst erhöht", kritisierte Sigrid Peter, stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. "Die schädlichen gesundheitlichen Folgen davon sehen wir täglich in unseren Praxen."
Strikte Einschränkungen gefordert
Die Forderung nach einem Verbot des Kindermarketings ist nicht neu. Im Februar forderte beispielsweise die Stiftung Kindergesundheit, an Kinder und Jugendliche gerichtete Lebensmittelwerbung im Fernsehen und auch in den sozialen Medien strikt einzuschränken. "Die in den Medien angepriesenen Fertigprodukte und das in Schnellrestaurants angebotene Essen haben weitaus mehr Kalorien pro 100 g als unsere durchschnittlichen Mahlzeiten zuhause", erläutert der Stoffwechselexperte der Universitätskinderklinik München und Vorsitzende der Stiftung Kindergesundheit Prof. Dr. Berthold Koletzko. "Zahlreiche Studien zeigen, dass die an Kinder gerichtete Werbung der Lebensmittelindustrie den Verzehr ungesunder Produkte erhöht und mit der Zunahme von Adipositas und ihrer gefährlichen Folgen verbunden ist," so Koletzko weiter.
ZAW: Verbote sind wirkungslos
Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) weist die Forderungen nach Einschränken oder gar Verboten des Kindermarketings dagegen zurück. Die Studie "vermittele den unzutreffenden Eindruck, das Problem von Übergewicht und Adipositas bei Kindern ließe sich durch Werbeverbote lösen." Dabei verkenne die Studie, dass die Verantwortung für Ernährung, Bewegung, Bildung und Medienkonsum von Kindern primär bei den Eltern und dem sozialen Umfeld läge. Zudem wurde in der Studie die Gruppe der 3- bis 13-jährigen betrachtet, die aber laut Nutzungsbedingungen ohne elterliche Freigabe weder Youtube, noch Facebook, Instagram oder TikTok nutzen dürfen.
Erfahrungen aus anderen Ländern Europas, aus UK, Norwegen oder Südkorea zeigen laut ZAW darüber hinaus deutlich, dass Verbote von Lebensmittelwerbung gegenüber Kindern den Anteil übergewichtiger Kinder nicht senken konnten. Im Gegenteil: In Südkorea stieg die Zahl sogar, und das trotz eines Werbeverbots. Weiterhin bemängelt der ZEW einige methodische Unzulänglichkeiten wie etwa die Verwendung von Ad-Impressions, die nicht beweisen, dass die fragliche Anzeige überhaupt gesehen wurde. Auch das Ausklammern werbefreier Fernsehkanäle wie KIKA aus den Berechnungen führt laut ZEW zu einer Verfälschung der Ergebnisse. Fazit: Der ZEW sei bereit, ein aktiver Teil der Lösung zu sein, lehnt eine Politik im "einseitigen Verbotsmodus wider die Fakten" aber entschieden ab.
Medienkompetenz statt Verbote
Ins gleiche Horn bläst wenig überraschend auch der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI). Der ließ verlauten, ein Verbot von Süßwarenwerbung sei nicht geeignet, um einen Beitrag zur Lösung des gesamtgesellschaftlichen Problems des Übergewichts und damit verbundener Folgekrankheiten zu leisten. "Niemand wird durch einen Verzicht auf Werbung für Süßwaren schlanker oder gesünder", sagt Dr.Carsten Bernoth, Hauptgeschäftsführer des BDSI. Stattdessen müssten Politik und Gesellschaft gezielt die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen stärken, denn Werbeverbote seien, so Bernoth, "reine Augenwischerei".
Süßwaren brächten Genuss und kleine Freuden in den Alltag und hätten durchaus ihren Platz in einer ausgewogenen Ernährung. Und weil die Entstehung von Übergewicht auch auf viele andere Faktoren wie etwa Bewegungsmangel, genetische Veranlagung oder sozioökonomische Aspekte zurückzuführen sei, löse ein Werbeverbot das Problem nicht. Letztlich weiß der Verband auch auf die Selbstkontrolle hin, die sich die Wirtschaft auferlegt habe, sowie auf die Verhaltensregeln des Deutschen Werberates, welche detaillierte Vorgaben und Einschränkungen für die gezielte Werbung an Kinder enthalten.