
Interview: Torsten Rehder:
Trendforschung: "Wo unsere Scouts sitzen, ist uns ziemlich egal"
Torsten Rehder ist Director Innovationen Services bei der Hamburger Agentur Trendone. Im Interview mit W&V spricht er über moderne Trendforschung, Vernetzung, Kommunikationskanäle und das Internet der Dinge.
Torsten Rehder ist Director Innovationen Services bei der Hamburger Agentur Trendone. Im Interview mit W&V spricht er über moderne Trendforschung, Vernetzung, Kommunikationskanäle und das Internet der Dinge.
Ihr neuestes Werk heißt "Trendbook 2018". Warum blicken Sie ausgerechnet drei Jahre in die Zukunft?
Trends sind dynamisch, verbreiten sich aber unterschiedlich schnell. Der Zeithorizont ist aus unserer Erfahrung geboren: Was wir heute als Trends beschreiben, steht bei Unternehmen in etwa drei Jahren auf der Agenda. Deswegen ist heute schon wichtig, erste Maßnahmen zu initiieren.
Mega, Macro, Micro: Welche Ebene ist für Handlungsableitungen denn nun wirklich relevant?
Megatrends sind so etwas wie die Blockbuster der Trendforschung. Wer als Unternehmen den demografischen Wandel oder die Digitalisierung nicht auf dem Schirm hat, ist auf beiden Augen blind. Außerdem ist auf dieser Ebene die Veränderungsdynamik weniger stark ausgeprägt. Wir arbeiten mit unseren Kunden meist auf der Macroebene, weil man dort Ausprägungen identifizieren kann, die branchenspezifisch sind. Microtrends sind die Indikatoren des Wandels, die konkreten Beispiele. Streng genommen sind sie gar keine Trends. Erst wenn sie Gemeinsamkeiten aufweisen, kann man Cluster erkennen.
Ist das dann gut beobachtet oder selektive Wahrnehmung?
Für einen Trendscout ist es immer wichtig, seine persönliche Bewertung zurückzustellen. Wenn aber hundert Scouts ähnliche Phänomene beschreiben, dann steckt mehr dahinter.
Sie arbeiten mit mehr als 80 Korrespondenten zusammen. Gibt es denn eine Stadt, in der diese Indikatoren früher sichtbar sind?
Technologie war schon immer ein Treiber für Wandel. Jetzt erleben wir, dass Technologie sich exponentiell potenziert. Das Silicon Valley, als Technologiehub, ist deshalb gleichzeitig auch der Ort, an dem die meisten Innovationen entstehen. Wobei man sagen muss: Wo unsere Scouts sitzen, ist uns ziemlich egal. Die heutige Trendforschung hat mit der von vor 20 Jahren nichts mehr zu tun. Wir scouten heute ausschließlich in digitalen Quellen. Inzwischen geht es darum, die Sprachbarrieren und nicht mehr die Ländergrenzen zu brechen.
Hat Social Media das "In-die-Zukunft-schauen" vereinfacht?
Unbedingt. Vor allem, weil es für Innovatoren wesentlich einfacher geworden ist, ihre Zwischenergebnisse zu kommunizieren, ohne groß Kommunikator sein zu müssen. Das sieht man gut an den Research Labs der Universitäten. Früher musste man hochgradig vernetzt sein, um zu wissen, an was das MIT forscht.
Welche Trends sind im Hinblick auf die Kreativbranche besonders spannend?
Alles, was mit Kommunikationskanälen und Touchpoints zu tun hat, Stichwort: Internet der Dinge. Remy Martin vertreibt in China etwa Flaschen mit eingebautem NFC-Chip. Der Konsument kann so verifizieren, ob es sich um ein Originalprodukt handelt – in China sind Plagiate durchaus ein Problem. In Deutschland hat man andere Bedürfnisse, zum Beispiel nach Unterhaltung.
Immer mehr Screens, immer mehr Informationen. Womit kann man als Marke in Zukunft überhaupt noch auffallen?
Bei den jungen Marketingverantwortlichen hat es sich durchgesetzt, nicht mehr so stark in Zielgruppen zu denken. Die Technologie macht es einfacher, Qualität und Quantität zu verzahnen. Man muss nicht mehr jeden einzeln ansprechen, das passiert automatisch. Netflix etwa hat inzwischen 70000 Subgenres. Bei aller analytischen Überlegenheit, die Maschinen über uns haben, noch können nur Kreative Emotionen erzeugen und Empathie aufbauen.
Das Internet dringt in unseren Alltag ein. Was kommt im Outernet alles auf uns zu?
Google Now, das Assistenzsystem von Google, ist ein schönes Beispiel. Wenn ich zulasse, dass es auf meinen Kalender zugreift, gibt mir Google Now etwa proaktiv Bescheid, wenn es einen Stau gibt, damit ich rechtzeitig zum Flughafen losfahre. Das Assistenzsystem denkt nicht erst, wenn ich es ihm sage; es denkt voraus und gibt uns sogar Informationen, von denen wir noch nicht einmal wussten, dass wir nach ihnen fragen wollten. Anderes Beispiel: Nike schafft um seinen Turnschuh ein kommunikatives Ökosystem, durch verschiedene Applikationen und die angeschlossenen Communities. Das gibt der Marke Relevanz.
Die Leadagenturen und Marketingchefs der Zukunft sind Dirigenten eines großen Orchesters. Sie müssen die Marketingaktivitäten synchronisieren. Das ist eine hochkomplexe Aufgabe.
In Ausgabe Nr. 12 widmet sich W&V der Trendforschung und wie sie sich durch technische Entwicklungen grundlegend verändert. Redakteurin Christa Catharina Müller hat mit fünf Experten über die Zukunft der Bildsprache, der Farbe, des Handels, der Arbeitswelten und des Marketings gesprochen.