
Lukas Cottrell über das Apple-Design:
Warum Apples Vergangenheit kein Maßstab für die Zukunft sein kann
"Apple zerstört das Design", so lautet das harsche Urteil zweier Ex-Mitarbeiter. Lukas Cottrell von der Peter Schmidt Group analysiert für W&V, ob die beiden Designer recht haben.
"Apple zerstört das Design", so lautet die provokative Einschätzung zweier Ex-Mitarbeiter. Lukas Cottrell analysiert für W&V, ob die beiden Designer recht haben.
Er war einer die meistbeachteten Artikel im vergangenen Monat: Die beiden Designer Don Norman und Bruce Tognazzini veröffentlichten auf Co.Design die These, dass ihr ehemaliger Arbeitgeber nicht mehr den Nutzer in den Mittelpunkt der Gestaltung stelle, sondern nur noch nach vordergründiger Schönheit strebe. So sei er letztlich Totengräber für gutes Design. Das Unternehmen, das die beiden kritisierten, war kein geringeres als Apple. Ein Konzern also, dessen Produkte der öffentliche Mainstream nahezu durchgängig als gut designt assoziiert. Zwischen Innensicht und Außenwahrnehmung klafft also eine gewaltige Lücke. Und wer hat nun Recht?
Durchaus relevant ist, von wem die Kritik kommt: Als ehemalige Mitarbeiter wissen Norman und Tognazzini, wovon sie sprechen. Zumindest kennen sie die wesentlichen strategischen und gestalterischen Entwicklungen bei Apple besser, als jeder Außenstehende sie beurteilen kann. Ihre Meinung hat also Gewicht. Für ihre These, Apple würde sich vom Grundsatz des "User Centered Designs" verabschieden und stattdessen eine Gestaltung zelebrieren, die gut aussieht, aber nicht immer gut funktioniert, findet man zudem viele treffliche Belege. So darf man gerne darüber streiten, wie ernst Apple seine eigenen Human Interface Guidelines nimmt – und genüsslich die Headline eines Forbes-Artikel zitieren, wonach in iOS neun 25 phantastische Features versteckt seien: Wer hilfreiche Funktionen so tief in seinem Betriebssystem vergräbt, dass man sie nicht intuitiv findet, nimmt es offensichtlich nicht allzu ernst mit der Nutzerfreundlichkeit.
Die Frage ist nur: Ist das alles wirklich so schlimm? Hierauf gibt es zwei Antworten: Ja – wenn man glaubt, dass die Nutzerperspektive das wichtigste Merkmal ist, an dem sich Apple messen lassen muss. Oder aber "Nein", wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass Markenerlebnisse nun einmal holistisch definiert werden. Apple – und seine Kunden! – sind über den ursprüngliche Kern der Marke hinaus gewachsen. Längst geht es dem Unternehmen nicht mehr um die "Human Interface"-Ideale der Anfangszeit, sondern darum, aus einer genialen Ursprungsidee ein umfassendes Marken-Ökosystem zu entwickeln. Zu diesem Erfolgsmodell gehört es, mit den eigenen Produkten emotionale Begehrlichkeiten zu wecken – und das funktioniert über die Ästhetik der Gestaltung in der Breite globaler Märkte nun einmal besser, als über das hochindividuelle Usability-Ideal: Wer heute ein iPhone sechs kauft, tut dies eher aus Statusgründen und nicht, weil die Benutzerführung so überzeugend wäre.
Die Kritik von Norman und Tognazzini läuft also ins Leere, denn sie macht die Vergangenheit der Marke zum Maßstab und nicht deren Zukunft. Die wichtigere Herausforderung für Apple in den kommenden Jahren ist es eben nicht, die User Experience zu verbessern, sondern einen Weg zu finden, um trotz schwindender Exklusivität begehrlich zu bleiben. Es sind nicht mehr die Fragen eines Computerherstellers, die den Konzern umtreiben – sondern die einer Lifestyle- und High-Fashion-Brand.
Der Autor:
Lukas Cottrell ist General Manager der Peter Schmidt Group und leitet deren Frankfurter Standort. Die Branding- und Designagentur gehört zu BBDO.