Streaming-Allianz:
Warum der FC St. Pauli mit Deezer kooperiert
Der FC St. Pauli und der Musikstreamingdienst Deezer machen gemeinsame Sache. In einer App will man die gesamte Audio-Welt des Kiez-Clubs präsentieren. W&V sprach mit den Verantwortlichen im Stadion am Millerntor.
Der FC St. Pauli und der Musikstreamingdienst Deezer machen gemeinsame Sache. In einer App will man die gesamte Audio-Welt des Kiez-Clubs präsentieren. W&V traf die Verantwortlichen im Stadion am Millerntor.
Totenköpfe, stramm linke Fan-Szene, Reeperbahn: Das ist der FC St. Pauli, kleiner aber kultiger Stadtrivale des Bundesliga-Dinos Hamburger SV. Manche würden Erzfeind sagen. Ein Verein, der einerseits längst Kultmarke ist, nachdem sich in den Neunzigern etwa Totenkopf-Flaggen im Stadionbild etabliert haben, der andererseits aber auch stark polarisiert, was an der linkspolitischen Ausrichtung des Vereins und seiner Fans liegt. Antikapitalismus und Marketing: nicht das ideale Paar.
Séparées, nicht "Logen"
Martin Drust, Marketingchef des Kiez-Clubs, und Michael Krause, Vice President Central and Eastern Europe bei Deezer, empfangen W&V im ersten Stock der Geschäftsstelle, die an das Stadion am Millerntor angedockt ist. Der Fußballverein und das Musikstreaming-Unternehmen machen ab sofort gemeinsame Sache. Eine App, die in Deezer integriert ist, und die "ganze Welt" des FC St. Pauli präsentieren soll. Podcasts von Fans, Playlisten der Spieler und einiges mehr.
Die Reeperbahn ist, um im Duktus zu bleiben, nur einen Steinwurf entfernt. Am Treppenaufgang hängt ein überdimensionales Schild: "Spendierhosen" steht da. Darunter die Logos der Sponsoren. Im Aufzug fahren wir für das Gespräch (das gesamte Interview lesen Sie in der aktuellen W&V) in den Logen-Bereich. Die VIP-Räume, mit bestem Blick auf das Spielfeld, heißen nicht Logen, sondern Séparées. Soweit kann Image-Pflege gehen.
König Fußball
Der Musikstreamingdienst Deezer richtet seine Angebote an den nationalen Märkten aus und im Land des Weltmeisters regiert bekanntlich König Fußball. "Wenn man als Streaming-Anbieter Fußball mit ins Portfolio aufnehmen will, macht es normalerweise auch Sinn, Kooperationen mit Vereinen einzugehen", sagt Deezer-Mann Krause. Und: "Fußball und Musik sind beides sehr emotionale Themen und haben diverse Schnittmengen. Im Fall vom FC St. Pauli gibt es gefühlt eine Million Lieder, in denen der Verein erwähnt wird." Deshalb sei der Kiez-Club auch der beste Partner für eine solche Kooperation.
Für die bekommt der FC St. Pauli eine bestimmte Summe, die nicht öffentlich kommuniziert wird, und einen gewissen Anteil an Werbevolumen sowie Gratis-Codes für Premium-Mitgliedschaften, die man an die Fans verteilen will. Gleichzeitig hat der Verein das Recht an Testimonials verhältnismäßig preiswert hergegeben, wie Drust sagt. Die nächste Deezer-Kampagne, sollte es eine geben, wird dann wohl mit Spielern des FC St. Pauli daherkommen.
Bring Back Sankt Pauli
Zurück zur Fan-Szene. Es ist durchaus ein Wagnis, wenn der Kiez-Club neue Sponsoren oder Partner akquiriert. Die St.-Pauli-Anhänger, die durch verschiedene Gremien großen Einfluss auf interne Prozesse haben, achten penibel darauf, dass jede Strategie, jede Kooperation zur Marke und – auch das – zu ihrer linkspolitischen Weltanschauung passen. Deshalb gab es 2011 laute Proteste, als von Clubseite angekündigt wurde, die professionelle Vermarktung des FC St. Pauli voranzutreiben. "Bring Back Sankt Pauli" stand auf Protestschildern, Tausende Fans unterschrieben eine entsprechende Petition.
"Damals ging es vor allem um Einzelbeispiele, bei denen man rückblickend auch sagen würde, das ging so einfach nicht", sagt Martin Drust, der damals noch Kreativer bei Thjnk war und der erst vor gut einem Jahr als Marketingchef zum Kiez-Club wechselte. Trotzdem ist Drust vorsichtig, wählt seine Worte sorgfältig, wiegt kritische Formulierungen ab. Er sagt: Der FC St. Pauli sei "natürlich ein Fußballverein, der erfolgreich sein will", aber man verstehe sich auch "als Medienplattform" und suche deshalb "immer Möglichkeiten, nicht allein mit Fußball assoziiert zu werden." Mit Deezer will er "Subkultur und Musik wieder näher an den Verein heranführen".
Digitale Reichweiten auf Europa-League-Niveau
Erst vor wenigen Monaten holte sich der Verein mit dem Kauf der Agentur Upsolut, nach einem jahrelangen Rechtsstreit, seine Merchandisingrechte zurück. Neben der Kooperation mit Deezer will man künftig aber vor allem die digitale Reichweite deutlich ausbauen. Ein neuer Online-Auftritt, auch mit fanbasierten Inhalten, soll dabei helfen. "Wir wollen, was digitale Reichweiten angeht, auf Erstliga-Niveau mitspielen. Das tun wir teilweise heute schon, aber da haben wir noch ganz viel Potential, um uns dauerhaft in so einer Top-5-Liga zu etablieren." Also mindestens auf Europa-League-Niveau. Und diese Reichweiten, so Drust, könne man dann "wieder kapitalisieren".