
Kommentar:
Warum sich Kreativität nicht nur an Löwen zeigt
Benedikt Holtappels, CEO von GGH Mullen Lowe, freut sich über Cannes - aber er weiß, dass es auch anderswo Kreativität gibt. Direktmarketing zum Beispiel kann sexy sein.

Foto: GGH Mullen Lowe
Kreativität gibt es auch abseits von Cannes und den Löwen-Shows. Zum Beispiel kann Direktmarketing recht sexy sein und eine hohe Kunst, sagt Benedikt Holtappels, CEO von GGH Mullen Lowe.
Gerade ging in Cannes das Festival zu Ende, dass uns in Sachen Kreativität immer wieder zum Staunen bringt. Völlig zu Recht, denn gerade von den internationalen Arbeiten können wir uns als deutsche Agenturen inspirieren und anspornen lassen, noch besser zu werden. Was allerdings rund um Cannes oder andere wichtige Award-Festivals vergessen wird, ist, dass es auch eine ganz andere Form von Kreativität gibt. Abseits der Löwen und Nägel. Die zu Unrecht ein Schattendasein führt, obwohl sie genauso wichtig für unsere Arbeit für Kunden ist wie jene Kreation, die Preise einheimst und manchmal sogar das Lob unserer Wettbewerber.
Was jedoch Kreativität auch sein kann, zeigt sich zum Beispiel am smarten Umgang mit Direktmarketing. Oje, wie langweilig, höre ich den einen oder anderen Leser schon rufen. Klar, auf den ersten Blick null sexy und scheinbar auch nicht kreativ. Was aber nur die gängigen Vorurteile sind. Denn CRM ist alles andere als blutleer und mechanisch und besonders für Retail-Kunden hochrelevant. Um komplexe CRM-Programme zu steuern, braucht es nicht nur Intelligenz, sondern auch Einfallsreichtum. Und einen spielerischen Umgang, um etwa Insights und Informationen von Kunden zu generieren, mit denen man passgenauere und relevante Angebote machen kann, die sich unmittelbar am Umsatz ablesen lassen. Zugegeben, das ist nach außen oft nicht sichtbar, schwieriger zu erzählen, aber ohne eine gehörige Portion Kreativität lässt sich auch in diesem Bereich kaum etwas erreichen.
Für mich ist Customer-Relationship-Marketing im Grunde die hohe Kunst des Beziehungsmanagements. Und funktioniert, wenn CRM gut gemacht ist, in etwa so wie ein italienisches Restaurant, wo der Padrone mich mit Handschlag begrüßt, mir gleich meinen Lieblingswein hinstellt oder mir einen neuen empfiehlt, der aber meinem Geschmack entsprechen könnte. Der bedauert, dass es zwar heute keine Dorade gibt, dafür aber einen hervorragenden Seeteufel oder aber genau die Pasta, die ich sonst auch gerne esse. Und sollte kein Platz frei sein, spendiert mir der Restaurantchef ein Glas an der Bar und rät mir, das nächste Mal kurz vorher anzurufen.
Wie beim Italiener kennt ein gutes CRM-Programm die Vorlieben der Kunden, lernt ständig dazu, sodass man eben Angebote machen kann, die zum Geschmack oder Lifestyle des Konsumenten passen.
Natürlich freuen wir uns bei GGH Mullen Lowe auch total über Awards, das will ich gar nicht abstreiten. Aber wir sind eben auch aus dem Häuschen, wenn wir Antwortquoten von über 20 Prozent kreieren oder den Umsatz pro Bon kräftig ankurbeln können. Und das innerhalb einer ziemlich kurzen Zeitspanne. Kreativität beschränkt sich für uns eben nicht auf das Gewinnen von Preise mit Arbeiten, die Jurys toll finden, sondern auch das schlaue Lösen von Kundenproblemen im Hintergrund.
Was auch bedeutet, dass es bei uns in der Agentur keine Zweiklassengesellschaft gibt. Wir sind stolz auf alle, die mit ihren Arbeiten preisgekrönt werden, aber sie sind eben nicht wichtiger als jene Mitarbeiter, die richtig schlau und einfallsreich komplexe Aufgaben lösen, ob nun durch CRM, über digitale Touchpoints oder mit knallharten Abverkaufsmaßnahmen, die zwar bei Wettbewerben nicht scoren, aber für Kunden hochrelevant sind.
Der englische Modedesigner Paul Smith hat einmal gesagt: "You Can Find Inspiration In Everything. And If You Can’t, Look Again." Genauso ist es mit Kreativität. Manchmal müssen wir eben nur genauer hingucken.
Über den Autor:
W&V-Kolumnist Benedikt Holtappels ist Mitgründer und CEO der Hamburger Werbeagentur GGH Mullen Lowe.