Kreatitvätsforschung:
Wie Rituale die Kreativität beleben
Wasser macht kreativ. Ein Tisch aber nicht. Und mit manchen Ritualen kann man seinen kreativen Motor regelrecht anschmeißen. Ein Interview mit dem Kreativitätsprofessor Stephan Sonnenburg.
Braucht es ein bestimmtes Ritual, um kreativ in Schwung zu kommen? Stephan Sonnenburg, Professor für Kreativitätsforschung an der Karlshochschule sagt ja. Denn damit lösen wir uns aus dem Alltäglichen und brechen zu neuen Ideen auf. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was Rituale bewirken können und welche besonders gut funktionieren.
Die Neuseeländer Football-Spieler haben ein festes Ritual, das Haka, um sich mit Schenkelklopfen und Drohgebärden auf ihre Spiele einzugrooven. Dazu gehört auch, dem Gegner die Zunge herauszustrecken. Wie wichtig sind derlei Rituale, um unser kreatives Denken auf Hochtouren zu bringen?
Ich würde sagen, Rituale sind entscheidend, um kreativ zu arbeiten und in einen kreativen Flow zu kommen. Wir alle kennen es, dass wir einfach nicht die Motoren hochfahren, immer wieder uns selbst mit Entschuldigungen befreien, nicht mit einem kreativen Projekt zu beginnen. Rituale helfen, einfach loszulegen und in eine kreative Stimmung zu kommen.
Was macht ein Ritual aus wissenschaftlicher Sicht aus?
Rituale,in Anlehnung an Victor Turner, seien es soziale oder individuelle, zeichnen sich durch drei Phasen aus: (1) eine Trennung vom Alltag, (2) ein Übergang, in dem eine Transformation stattfindet, und (3) eine Eingliederung in den Alltag, der durch die Transformation verändert wird. Dies ist ein bewusster Vorgang, was den fundamentalen Unterschied zur Routine darstellt, die eher unbewusst abläuft.
Kann man die Wirksamkeit von Ritualen belegen?
Das Haka ist bereits ein erster Beleg, dass Rituale wirken. Das Team Neuseeland ist 2011 und 2015 Weltmeister im Rugby geworden. Auch bei Rafael Nadal sind dessen persönliche Rituale vor einem Spiel gut dokumentiert. Und dies sind keine Routinen, sondern bewusste Transformationen, um in einen Flow zu kommen.
Haben Sie ein paar Beispiele?
Als Einstieg in kreative Rituale empfehle ich von Mason Currey "Musenküsse: Für mein kreatives Pensum gehe ich unter die Dusche". In seinem Buch beschreibt er die Rituale von Künstlern, Philosophen und Naturwissenschaftlern. Igor Stravinsky hatte ein kurzes Ritual, um Blockaden zu lösen: ein Kopfstand.
Um ins Schreiben zu kommen, entschied sich Agatha Christie immer bewusst, an anderen Orten zu arbeiten. Ihr Ritual war gerade keinen festen Arbeitsplatz zu haben. Der Erfinder Nikola Tesla begab sich in dunkle Räume, um seine Kreativität fließen zu lassen.
Beim Lesen von Ritualen kreativer Menschen ist mir aufgefallen, dass die Rituale eine starke Körper- oder Bewegungskomponente aufweisen. Dies bestätigt, dass Kreativität kein reines Kopf-, sondern ein Kopf-Körper-Phänomen ist.
Wie lang ist idealerweise ein Kreativitätsritual?
Dies ist eine gute Frage und nicht leicht zu beantworten, denn es hängt bereits davon ab, ob wir alleine oder im Team arbeiten. Es mag sein, dass dem einen oder anderen ein Kopfstand genügt. Ich würde aber sagen, dass mindestens fünf Minuten zu investieren sind, um sich vom Alltag zu lösen und in ein transformatives und kreatives Momentum zu kommen.
Gibt es Rituale, die sich gut eignen und welche, die eher die Konzentration auf das kreative Problem stören? Wie wichtig sind Sinneserfahrungen in diesem Prozess?
Alles kann zu einem Ritual werden, allerdings im Berufsalltag und im Team müssen ja die unterschiedlichsten Persönlichkeiten mitgenommen werden. Keiner sollte durch ein Ritual überfordert werden.
Ein gutes Ritual ist es beispielsweise, in Räumen ohne Tische Ideen zu entwickeln. Stühle reichen doch vollkommen aus. Tische absorbieren einfach viel Raum. Sie sind auch belastet, denn sie sagen uns doch: Hier musst Du arbeiten. Und sie stehen auch für die klassischen Arbeitsroutinen, nicht für die kreativen Rituale. Bewegung und Tanz, um Kopf und Körper anzuregen, können auch sinnhafte Rituale sein. Und das nimmt direkten Bezug auf Ihre letzte Frage: Sinneserfahrungen sind entscheidend, um in den kreativen Fluss zu kommen.
Hier stehe ich noch am Anfang meines Nachdenkens über Rituale. Viele Ideen kommen bei einem Ritual, das mit Wasser zu tun hat: in der Badewanne, unter der Dusche, beim Spülen oder Schwimmen. Wasser scheint sich sinnhaft und positiv auf unsere Kreativität auszuwirken. Dies mag daran liegen, dass wir sehr stark mit diesem Element in Resonanz stehen.
In der Kreativität geht es ja darum, althergebrachte Pfade zu brechen und neue Wege zu gehen. Warum sollte man aber in seinen Kreativitätsritualen Kontinuität wahren?
In der Tat, wir brechen mit alten Pfaden und gehen neue Wege. Dies machen wir aber nicht planlos, sondern wir haben uns gewisse Kreativtechniken erarbeitet, sei es auch unbewusst. Kreativitätsrituale dienen wesentlich dazu, Kopf und Körper immer wieder in den Kreativmodus zu schalten. Da ist Konditionierung hilfreich.
Allerdings möchte ich betonen, dass es durchaus sinnhaft sein kann, von Zeit zu Zeit seine Rituale und die Stimuli zu reflektieren. Kreativitätsrituale sollten nicht zu Routinen verkommen.
Und zuguterletzt: Verraten Sie uns Ihr persönliches kreatives Ritual?
Immer wiederkehrend Abba-Lieder anhören, aktuell "Me and I".