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Verschwörungstheorie:
Wie die "Zeit" auf dem Geschichts-Boulevard ausrutscht

Mögen Sie Verschwörungstheorien? Dann sollten Sie jetzt eine Zeitung lesen, die Sie bisher immer für einen Teil des publizistischen Establishments gehalten haben. W&V Online dokumentiert einen peinlichen Boulevard-Ausflug der "Zeit".

Text: W&V Redaktion

1. Oktober 2012

Mögen Sie Verschwörungstheorien? Glauben Sie, dass Elvis lebt, Hitler seinen Lebensabend in Südamerika verbracht hat, die erste Mondlandung in einem Hollywood-Studio stattfand und Paul McCartney 1966 bei einem Autounfall ums Leben kam und seitdem durch einen Doppelgänger ersetzt wird? Dann sollten Sie öfter mal eine Zeitung lesen, die Sie bisher immer für einen Teil des publizistisches Establishments gehalten haben: die "Zeit". Dort erfahren Sie, dass die Tochter des französischen Königspaares Ludwig XVI. und Marie Antoinette 30 Jahre lang inkognito in Thüringen gelebt hat, getarnt mit einer grünen Sonnenbrille.

Die "Zeit" ist eine der angesehensten Medienmarken Europas. Ihr Ressort "Geschichte" (früher hieß es "Zeitläufte") genießt einen entsprechenden Ruf und der frühere Ressortleiter Karlheinz Janßen ist selbst ein Historiker von Rang und Namen. Aber das ist alles "Zeit"-Geschichte. Mittlerweile hat die große Hamburger Wochenzeitung einen großen Schritt in Richtung Geschichts-Boulevard gemacht. Nachzulesen ist das im Artikel "Das Grab im Wald", der in der vorletzten Woche in der gedruckten "Zeit" und am Wochenende auch auf Zeit Online veröffentlicht wurde. Die Geschichte ist schnell erzählt: Es gab die Französische Revolution, es gab ein französisches Königspaar, das während der Revolution umkam, und es gab eine Tochter, die einige Jahre im Gefängnis saß, ehe sie zu ihren Verwandten ins Exil ausreisen durfte und einen Vetter heiratete. So weit die Fakten. Und jetzt das Gerücht: Die Prinzessin sei vor ihrer Ausreise gegen eine Doppelgängerin ausgetauscht worden, kam dann irgendwie nach Thüringen und lebte dort als geheimnisvolle "Dunkelgräfin" in einem Schloss, getarnt durch Schleier und die schon erwähnte grüne Sonnenbrille. Mehr muss man an dieser Stelle nicht wissen, nur das Eine: Es gibt für diese "These" kein einziges schlüssiges Indiz, geschweige denn einen Beweis. Die Geschichte mag theoretisch möglich sein, aber sie ist genau so wahrscheinlich wie die Vermutung, dass Harald Juhnke und John F. Kennedy denselben Vater hatten, weil sie beide ja irgendwie Berliner waren.

Genau diese "Dunkelgräfin"-These steht nun aber ernsthaft in der "Zeit". Es gibt keine neuen Fakten oder Indizien, aber die "Zeit" glaubt immerhin an eine "Spur", die vom thüringischen Hildburghausen "ins Paris der Revolution" führt. Es werden  ziemlich viele Briefe erwähnt, die angeblich etwas "eindeutig belegen". Handfeste Zitate bringt die "Zeit"-Autoren aber nur, wenn sie von Personen stammen, die mehrere tausend Kilometer weit vom Ort des Geschehens entfernt weilten und wichtige handelnde Personen noch nie in ihrem Leben gesehen hatten. Selbst der zum Zeitpunkt der angeblichen Vertauschung eindeutig pränatale Schriftsteller Victor Hugo, der auch sonst nichts mit dem Fall zu tun hat, muss noch mit einem O-Ton herhalten: "Aber wie sagte Victor Hugo? Es gibt zwei Arten von Geschichte: die offizielle, lügenhafte Geschichte und dann die geheime, wo die wahren Ursachen der Ereignisse liegen." Die Geschichte der Tochter Marie Antoinettes sei  "dafür ein vollendetes Beispiel", fabuliert die "Zeit" weiter. Das Killer-Argument hebt sich die Wochenzeitung, deren Herausgeber Helmut Schmidt neulich erst mehr Geschichtskenntnisse für die jüngere Generation wünschte, für den zweiten Teil auf: "Alle an der Vertauschung Beteiligten waren Freimaurer."

Das Problem ist nicht, dass sich die "Zeit" mit abstrusen Verschwörungstheorien beschäftigt. Verschwörungstheorien können sehr lehrreich sein, wenn man die Mechanismen dahinter analysiert. Das Problem ist, dass die "Zeit" eine abstruse Verschwörungstheorie verbreitet, ohne sie zu hinterfragen. Nun könnte man entschuldigend einwenden, dass die "Zeit"-Redaktion selbst daran ja nicht richtig beteiligt war, weil die Autorin des Artikels, Carolin Philipps, gar nicht zur Redaktion oder zum Kreis der ständigen Autoren gehört. Da muss also irgendwas was reingerutscht sein, kann ja mal passieren. Aber das ist das eigentlich Schlimme. Carolin Philipps ist keine Praktikantin, deren Text versehentlich unredigiert ins Blatt gelangt ist. Carolin Philipps ist eine Autorin, die mit genau dieser Verschwörungstheorie Geld verdient, denn sie hat ein Buch darüber geschrieben. Es heißt "Die Dunkelgräfin: Das Geheimnis um die Tochter Marie Antoinettes" und ist im April 2012 als Taschenbuch bei Piper erschienen. Was die "Zeit" auch unbefangen erwähnt. Damit wäre also eine neue Qualität des Verschwörungstheorie-Journalismus erreicht. Bisher konnte man sich ja immer nur zwei Möglichkeiten vorstellen: kritisch oder unkritisch über abstruse Thesen berichten. Die "Zeit" hat jetzt eine dritte Variante eingeführt: Unkritisch schreiben lassen - und zwar von derjenigen, die von der Verschwörungstheorie profitiert.

Im Blatt wird Carolin Philipps, die vor allem als Jugendbuchautorin hervorgetreten ist, als "Historikerin" bezeichnet, offenbar, um dem Text einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Darf man dazu Karlheinz Janßen zitieren? "Einem Journalisten mag es erlaubt sein, unter bestimmten Voraussetzungen Tatsachen ein wenig auszuschmücken oder zu verschönern, damit sie sich leichter und fließender lesen - einem Wissenschaftler hingegen darf man es nicht nachsehen."

Update, 8.10.:

Zum "Zeit"-Artikel gibt es mittlerweile zwei Stellungnahmen. Die "Zeit"-Redaktion lässt über die Pressestelle des Verlages mitteilen:

"Die Dunkelgräfin von Hildburghausen ist ein kleines Rätsel der Weltgeschichte wie Kaspar Hauser, nicht ganz so bekannt vielleicht wie dieser, aber dasselbe Genre. Dazu gibt es manche Theorie, wie immer in solchen Fällen. Eine ist die, die Carolin Philipps in ihrem, im Piper Verlag erschienenen und von uns genannten Buch vertritt. Nachdem nun die „Dunkelgräfin“ exhumiert werden soll, sollte die merkwürdige Geschichte unseren Lesern nicht vorenthalten bleiben. Carolin Philipps hat sie aus ihrer Sicht vorgestellt. Selbstverständlich hat sie auch die andere, quasi offizielle und der Bourbonen-Theorie widersprechende Darstellung ausgeführt."

Thomas Meyhöfer ist Sprecher der privaten Forschungsinitiative "Interessenkreis Madama Royale" und dokumentiert Erkenntnisse und Veröffentlichungen zum Thema Dunkelgräfin akribisch und vorurteilslos. Er schreibt:

"Wir hatten an einigen Stellen durchaus den Eindruck, dass die Autorin zu einem bestimmten Ergebnis kommen wollte. Leider kommt es in der Dunkelgrafen-Literatur immer wieder vor, dass Autoren aus der Literatur ungeprüft Aussagen anderer Historiker übernehmen und Indizien für die Vertauschungstheorie so darstellen, als würde es sich um geschichtswissenschaftliche Beweise handeln."


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