Und das ist nur das Ergebnis einer kurzen Recherche; vermutlich feuert Temu noch eine weitere Marketing-Raketen ab. Das zeigt, mit welcher Vehemenz Pinduoduo seine Tochter in den europäischen Markt drücken will.

Temu wird alle Marktteilnehmer Umsätze kosten

Der Vorstoß von Temu kommt nicht nur für die großen Plattformen Amazon, eBay, Zalando oder About You zu einem ungünstigen Zeitpunkt, sondern für den ganzen europäischen Handel. Die Konjunktur schwächelt und die Kauflaune geht geradewegs den Bach hinunter. (Laut HDE-Konsumbarometer schwimmen die KundInnen zwar lächelnd über den Wasserfall, aber das hilft uns auch nicht weiter.)

Und genau jetzt drückt ein chinesischer Gigant einen Billigmarktplatz in den Markt, und schöpft damit Umsätze im Niedrigpreissegment ab. Damit wird Temu aber auch Umsätze in anderen Kategorien beeinflussen, weil Spontankäufe an anderer Stelle durch den Konsum bei Temu ersetzt werden. Schmerzhafte Umsatzabwanderungen sind also nicht nur wahrscheinlich, sondern ziemlich sicher.

Temu zeigt, wie Discovery Based Shopping geht

Handelsexperte Alexander Graf hebt in seinem Kommentar auf Linkedin besonders den Punkt „Discovery Based Shopping“ hervor und nennt es ein Erfolgsrezept: “Temu bespielt TikTok - ähnlich wie Shein - viel besser als die Etablierten. Und sobald man die Temu-App öffnet, wird man in einen Strudel aus Angebot gezogen. Verbunden mit permanenter Gamification (Rabatt-Glücksrad und andere Gewinnspiel-Logiken) und Schneeball-Prinzipien (Überzeuge jetzt 5 Freunde von diesem Angebot und spare nochmal 50%)“.
 
Im klassischen E-Commerce ist "Discovery Based Shopping" bisher kein großes Thema und kaum zu entdecken. Wir sind zwar im Zeitalter des digitalen Handels, aber offensichtlich immer noch in der Beschaffungsmentalität stecken geblieben. Das ist zwar praktisch, aber unsexy.

Temu wird eher langfristig als mittelfristig zum Problem

Dass Temu der E-Commerce-Landschaft Schwierigkeiten bereiten wird, steht ziemlich fest. Umsatzabwanderungen sind immer problematisch und besonders der Werbedruck von Temu und der lange Atem der Muttergesellschaft stellen eine Gefahr da. Die großen Marktplätze und Händlerinnen wird Temu in den nächsten Jahren Geld kosten, mittelfristig aber nicht gefährden.
 
Temu donnert zwar geradezu durch die App-Stores, aber Downloads sind nicht alles. Die Bewertungen der App sind in Deutschland miserabel, das Image eines Ein-Euro-Shops hat Temu bereits weg. Zitat aus einer Bewertung im deutschen Apple-App-Store: "Der Shop verkauft nur Plastikmüll, der sowieso auf der Deponie landet“.

Temu müsste ein extremes Momentum entwickeln, damit Marken ihre Produkte neben der Masse an Ramsch präsentieren, der dort aktuell die Kategorien dominiert. Mittelfristig ist Temu damit eher keine Gefahr für die HändlerInnen, die mit dem aktuell vorherrschenden "Beschaffungs-E-Commerce" ihr Geld verdienen. Der wird erstmal auf Temu nicht stattfinden.
 
Aber Temu verankert eine neue Art einzukaufen in den Köpfen der nächsten Generationen - eben das, was Graf als "Discovery Based Shopping“ bezeichnet. Langfristig wachsen so neue Käuferschichten heran, denen der staubtrockene Beschaffungs-E-Commerce nicht mehr ausreicht. Und darauf müssen Marktplätze und HändlerInnen eher heute wie morgen eine überzeugende Antwort finden.

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Autor: Jochen G. Fuchs

Jochen G. Fuchs, a.k.a. E-Fuchs, betreut das Themenfeld Commerce bei W&V und ist Kurator der CommerceTECH Conference. Der Journalist, Autor und Verleger ist seit 1999 in wechselnden Rollen im digitalen Handel tätig gewesen und schreibt seit mehr als 10 Jahren über Digital Commerce. Sein Interesse gilt vorwiegend den Themen CommerceTECH (ShopTech, RetailTech), Customer Experience und Nachhaltigkeit im digitalen Handel.