Und Sacha Reeb?
Wir laufen beide. Aber nicht zusammen. Wir müssen so schon viel Zeit miteinander verbringen.

Das ist also Ihre persönliche Strategie. Aber wie läuft das Ideenmanagement in der Agentur? Wie fördern Sie als Chefkreative Ihre Mitarbeiter?
Das Wichtigste ist, den Leuten so viel Input wie möglich zu liefern. Von Kreativstrategien – man sitzt um den Tisch und verteilt komische Karten – halte ich persönlich wenig. Ein Chef, der hungrig ist auf neue Ideen und diese auch vorantreibt, ist wichtiger als ein merkwürdiger Koffer, den ich öffnen muss, um Ideenfindung zu moderieren. Wir beschäftigen uns sehr damit, dieses neue Denken hier hereinzutragen. Am Ende des Tages ist es doch das unfaire Talent, das manche Menschen damit ausstattet, Ideen zu haben und andere eben nicht. Ideenhaben ist nichts, was man sich morgens zwischen 11 und 12 oder zwischen 16 und 17 Uhr in den Kalender einträgt. Sie brauchen dafür ein Grundmurmeln im Kopf. Das darf ich nicht als Belastung empfinden, sondern immer als eine Lust.

Und wie fördern Sie diese Lust?
Es ist unsere Aufgabe, die Leute mit allen möglichen Inspirationen vollzupumpen. Wir schicken sie zu Ausstellungen, wir haben fest institutionalisiert ein- bis zweimal die Woche Veranstaltungen mit Externen, die in irgendeiner Form die Leute befeuern, sei es filmischer Art, sei es technischer Art oder musikalischer Art. Wir gehen das Thema Kreativität damit auf eine ganz andere Art an. Die Leute müssen spüren, dass die totale Lust auf Ideen bis ganz nach oben ins Management reicht. Diese Lust auf Ideen muss man trainieren. Das ist auch eine unserer neuen Maßnahmen. Wir veranstalten regelmäßig Workshops, in denen die Mitarbeiter ihre Ideen vor einer größeren Gruppe vorstellen und begründen müssen. Und sich dort auch der Kritik stellen.

Also eine Idee haben ist eine Sache, die Idee verkaufen eine ganz andere.
Genau. Das lernen unsere Mitarbeiter intern. Wir bieten auch regelmäßig sehr exklusive, sehr unterhaltsame Schulungen mit einem bekannten Hamburger Präsentationscoach.

Wie wichtig sind Awards?
Awards gehören mit zur Fortbildung, deshalb fordern wir alle Kreativen auf, sich damit auseinanderzusetzen. Cannes ist das inspirierendste Werbefestival überhaupt. Dorthin schicken wir so viele Mitarbeiter wie möglich, damit sie Blut lecken in dieser tollen Atmosphäre. Auch als Belohnung für diejenigen, die etwas gewonnen haben, die Karotte, um auch im nächsten Jahr wieder dabei zu sein. Ich kann nicht immer nur verlangen von den Mitarbeitern, sondern muss auch etwas bieten.

Wie haben Sie Cannes empfunden?
Cannes entwickelt ja einen Großteil seines Reizes, wenn man es wirklich erlebt und nicht nur aus der Ferne verfolgt. Die Bühne in Cannes ist großartig, die mächtige Zuschauerkulisse, das ist purer Rock n‘ Roll. Das ist sehr inspirierend. Und macht auf angenehme Weise ein bisschen süchtig. Dort gibt es auch weniger Neid, sondern mehr die große Begeisterung für Ideen. Auch das ist wichtig. Einer meiner absoluten Favoriten in Cannes im letzten Jahr war die Gatorade-Kampagne von Replay, die einen Grand Prix gewonnen hat. Die haben Menschen verstanden. Totale Bewunderung! Ich freue mich über gute Ideen, auch wenn sie jemand anders hat.

Es ist sicherlich etwas anderes, für eine große, integrierte Kampagne eine Leitidee zu entwickeln, als eine Geburtstagsanzeige für den BVB zu kreieren. Wie fördern Sie das?
Eine unsere Hauptaufgaben ist es, die Lust zu schüren auf Kampagnen mit vielen Touchpoints. Die im Idealfall sogar im Zentrum eine ganz neue Mechanik, Technologie oder Sichtweise bietet. Nur über einen Film nachzudenken, ist ja eine sehr hoffnungsvolle Herangehensweise. Wir suchen, was in verschiedenen Bereichen gerade Neues entsteht und lassen uns davon inspirieren. Deshalb ist es für uns so wichtig, immer wieder Leute ins Team zu holen, die an neuen Technologien basteln. Damit bin ich dann sofort einen Meter weiter vorn, kann etwas besonders Interessantes schaffen. Damit hebe ich mich aus der Masse von Bewerbern beim Kunden oder beim Award wieder heraus. Sie brauchen auch Ideen, wie man mit dem Kunden zusammenarbeitet, wie man neue Kunden gewinnt. Das Ideentreiben und Ideenfinden ist etwas, was jeden in der Agentur beschäftigt.

Meinen Sie mit neuen Technologien vor allem den Digitalbereich?
Vieles ist digital angetrieben, aber das können auch neue Publikationen sein, bei denen wir so involviert sind, dass wir rechtzeitig mit dabei sind. Oder neue Publikationen, die man anstößt. Auch ein altes Medium wie das Buch lässt sich ganz neu interpretieren.

Sie haben viel gesprochen von der Lust an Ideen. Kennen Sie auch den Frust und Blockaden? Haben Sie das schon erlebt und Tipps, wie man diese überwindet?
Nein. Das habe ich bisher noch nicht erlebt. Aber Axel Hacke schreibt so schön im "Süddeutschen Magazin“, wie er seine Schreibblockaden überwunden hat, als er das erste Streiflicht schreiben musste: Mit Paternoster-Fahren.

Den gibt es aber nicht mehr im Süddeutschen Verlag.
Sehen Sie, dann ist auch noch die letzte Chance, eine Blockade zu überwinden, dahin. Dann hilft nur noch Laufen.

Wie sehen Ihre Agenturräume aus? Gibt es Denkzellen, bestimmte Farben, die motivieren sollen?
Eigentlich ist das egal. Viel wichtiger ist eine tolle Umgebung. Wir haben ein richtiges Campus-Gefühl, weil wir den Luxus genießen, einen ganzen Komplex prägen zu können. Hier kommen ein paar Hundert kreative Menschen zusammen. Das ist schon einzigartig. Es gibt nie Stillstand, wir sind dabei, die Agentur ständig zu verändern. Denn Veränderung ist immer ein Treiber. Wir haben auch sehr viel Neugeschäft und sind in der glücklichen Lage, das viel los ist. Was ja auch sehr inspirierend ist.

Bei der Ideenfindung ist bestimmt auch das Produkt entscheidend. Es gibt ja einen Unterschied zwischen Kampagnen für Mercedes und einem, sagen wir, Bürodrucker.
Ich habe immer sehr gerne für Autos gearbeitet. Natürlich ist es inspirierender, für ein Produkt zu arbeiten, das man selbst attraktiv findet. Trotzdem ist es nicht unmöglich, für ein Produkt zu arbeiten, das im eigenen Leben vielleicht keine so große Rolle spielt. Aber wenn Porsche morgen anruft, dann können Sie mir glauben, dass dies sehr inspirierend auf mich wirkt.

Fahren Sie Porsche?
Noch nicht (lacht). Ich fahre einen alten Mini. Porsche ist eine der wunderschönsten Marken, auf denen ich bei Autos noch nicht gearbeitet habe. Das steht noch aus.

Wenn Sie an Ihre Anfänge zurückdenken? Verliebt man sich manchmal regelrecht in die eigene Idee? Wie schwierig ist es und wie weh tut es, wenn man der einzige ist?
Das ist natürlich fürchterlich. Deshalb muss man zwei Dinge können: Das Verlieben sollte nach wie vor stattfinden, diesen großen Moment muss man spüren. Das Loslassen trainiert man mit der Zeit. Wenn ich vom Laufen zurückkomme ins Büro, völlig begeistert von meiner Idee berichte, und es dann heißt: 'Geh mal lieber nochmal laufen!‘, dann darf ich nicht drei Tage mit schlechter Laune herumrennen. Das Schöne ist, dass man mit der Zeit lernt, immer weiterzumachen. Der ewige Glaube daran, dass immer noch eine bessere Idee kommen kann.

Und wie fühlt er sich an, der große Moment?
Das weiß man einfach. Irgendwann hat man die Erfahrung und weiß, was funktioniert. Ich laufe dann vielleicht ein bisschen schneller, weil ich meine Idee unbedingt jemandem erzählen muss. Ideen muss man teilen, das ist das Schöne daran. Und das ist dann die erste Form der Präsentation.

Sie waren schon in einigen Agenturen. Wie wichtig ist die Umgebung und das Team für Ihre Ideenfindung?
Für mich sind Wechsel inspirierend, die auch wirklich einen Wechsel bedeuten. Zum Beispiel von der Klassik in eine Digitalagentur. Oder ins Ausland. Ein neues Land ist inspirierend, aber als ich das erste Mal in einer Digitalagentur war, da krachten zwei Welten aufeinander. Neugierde ist in allem die treibende Kraft.


Autor: Frauke Schobelt

koordiniert und steuert als Newschefin der W&V den täglichen Newsdienst und schreibt selber über alles Mögliche in den Kanälen von W&V Online. Sie hat ein Faible für nationale und internationale Kampagnen, Markengeschichten, die "Kreation des Tages" und die Nordsee. Und für den Kaffeeautomaten. Seit 2000 im Verlag W&V.