Schmidt: Das sind drei sehr unterschiedliche Ereignisse im Zeitraum von acht Jahren. Während die ersten beiden vor allem tragisch sind, birgt die Opel-Entscheidung die Chance für eine bessere wirtschaftliche Zukunft. Auch wenn wir auf alle drei Themen natürlich keinen kausalen Einfluss hatten, waren wir doch involviert und betroffen. Derartige Momente zeigen, dass die Headlines der Wirtschaftsnachrichten oftmals einen sehr direkten ­Effekt auf unser Geschäft haben. Management in unserer Branche bedeutet, sich immer John Lennons Erkenntnis bewusst zu sein: Life is what happens to you while you’re busy making other plans.

Was hatten Sie beim Flughafen BER vor?

Wir haben fest an dessen Eröffnung Ende Oktober 2011 geglaubt. Unsere Mediaagentur hatte bereits für die gesamte Woche vor dem großen Ereignis den 60-Sekunden-Slot direkt vor der Tagesschau für unseren Film "Willy Brandt begrüßt die Welt" gebucht, der noch heute auf Youtube zu sehen ist. Dass wir damals nicht sechs Wochen, sondern circa zehn Jahre von der Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens entfernt waren, hätten wir niemals geglaubt. Es ist heute noch erschreckend zu sehen, wie lange uns und der gesamten Öffentlichkeit ein BER aufgebunden wurde. Leider hat sich hier ein systemisches Versagen manifestiert, das sich auch bei anderen Großprojekten wiederholt hat und bis heute nicht hinreichend aufgearbeitet ist. Demgegenüber ist unsere nicht geschaltete emotionale Eröffnungskampagne nur eine kleine Fußnote.

Und wie war der Stand bei Air Berlin?

Genauso dramatisch. Wir wollten Mitte August 2017 der Öffentlichkeit die neue Marken-Kampagne vorstellen. In der KW 34 wäre sie angelaufen, wenn Air Berlin nicht eine Woche zuvor Insolvenz angemeldet hätte. Seitdem gibt es ein Stück weniger Wettbewerb im Himmel über Deutschland. Es bleibt die Erkenntnis, dass die Kraft der Kommunikation zu spät kommt, wenn eine fundamentale wirtschaftliche Schieflage eingetreten ist.

Was hatten Sie zu Air Berlin denn konkret geplant?

Darüber haben wir noch nie in der Öffentlichkeit gesprochen.

Also, höchste Zeit!

Wir hatten uns von dem Optimismus unserer Gesprächspartner begeistern lassen und an den Turnaround geglaubt. Mit "Up for more" hatten wir das Motto eines fundamentalen Marken-Relaunches formuliert. Bitter, dass dieser Aufbruch endete, bevor er begann. Eine harte Landung für viele, auch für uns: Eine gute Kundenbeziehung ist in der Startphase abrupt abgebrochen, unsere Relaunch-Kampagne musste am Boden bleiben und in der Kasse fehlte plötzlich ein mehrjähriger Honorarumsatz.

Aber Scholz & Friends konnte das ­verschmerzen.

Wirtschaftlich haben wir den plötzlichen Verlust des Air-Berlin-Etats gut kompen­sieren können. Dennoch geht es nicht nur um die Finanzen. In jeder großen Mar­kenentwicklung steckt so viel Identifika­tion, Leidenschaft und Herzblut, dass es schon schmerzt, wenn das Flugzeug, anstatt abzuheben, für immer am Boden bleiben muss.

Aktuell läuft es doch bei Scholz & Friends gar nicht so schlecht.

Seit Einführung unseres neuen Partner-Systems im Jahr 2015 läuft es sogar ausgezeichnet. Kasse, Kultur und Kreativität haben sich bei Scholz & Friends in der neuen Partner-Ära sehr gut entwickelt. Wir haben zudem unternehmerische Initiativen gestartet, unser Angebot durch neue Kompetenzmarken ­erweitert und die Vernetzung mit der WPP-Welt vorangetrieben.

Wie stark hat sich denn Sir Martin Sorrell eingemischt?

Bei unserem Verkauf an WPP im Jahr 2011 hat Sir Martin uns das Versprechen gegeben, Scholz & Friends und Commarco als un­abhängige und eigenständige Marken zu respektieren, statt uns in eine fremdgesteuerte Network-Logik zu integrieren. Dieses Versprechen hat er bis zu seinem letzten ­Arbeitstag gehalten. Unsere eigenständige Position manifestiert sich auch darin, dass wir über 99 Prozent des Umsatzes unserer Gruppe selbst gewonnen, entwickelt und verteidigt haben und weniger als ein Prozent importiertes Geschäft führen. Das entspricht dem unternehmerischen Charakter unserer Agenturen und der unternehmerischen Kultur des deutschen Agenturmarktes. Wir haben es immer als hilfreich empfunden, dass wir direkt an WPP berichten und nicht den Umweg über die ­Hierarchien eines traditionellen Networks gehen müssen. Das hat uns die Chance eröffnet, WPP als Welt von Möglichkeiten, nicht von Restriktionen, zu erleben.

Wie oft haben Sie Sir Martin ­gesehen?

Regelmäßig einmal im Quartal und unregelmäßig auf Strategie-Konferenzen sowie immer dann, wenn es etwas zu besprechen gab. Das war immer gut im Sinne klarer, konsequenter und schneller Entscheidungen.

Und mit dem neuen Chef Mark Read haben Sie schon korrespondiert?

In der Übergangsphase der vergangenen fünf Monate habe ich mich bereits mit Mark Read ausgetauscht, wenn es um Kunden- und ­Management-Themen ging. Gut, dass nun weißer Rauch aufgestiegen und die Spitze von WPP neu definiert ist. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Mark und bin überzeugt, dass er sein Programm der Erneuerung und Transformation von WPP noch in ­diesem Jahr intern und öffentlich vorstellen und ­damit eine neue Ära einleiten wird.

Was hat sich durch den Übergang jetzt für Scholz & Friends geändert?

Bis dato nichts Fundamentales. Wir bleiben wir und wir bleiben auf Kurs.

Vor gut zwei Jahren haben Sie das Partnersystem eingeführt.

Korrekt. Dabei gab es eine klare strategische Intention: Silos zu überwinden, trotz vieler Einheiten und Standorte Scholz & Friends als eine Firma zu führen, den alten Vorstand durch ein breiter aufgestelltes Partnerboard zu ersetzen, sowie die Partner auf eine neue unternehmerische Reise mitzunehmen.

Wieso ist es eingeführt worden? Hängt das mit dem Rückkauf der WPP-Anteile zusammen?

Nach einem wirtschaftlich schwächeren Jahr 2014 war die Einführung des Partner-Systems zugleich Turnaround-Programm und Zukunftsausrichtung. Der Grundgedanke der neuen Ära ist, Scholz & Friends aus den Wurzeln heraus zu erneuern. Unsere Partner-Kultur ist die Management-Ausprägung der Friends-Kultur. Das Partner-System basiert auf drei Säulen: Kultur, Institutionen und Incentives. In puncto Incentives haben wir zwei Kernwidersprüche aufgehoben, die viele Unternehmen bremsen: den zwischen One-Company-Philosophie und Silo-Incentivierung sowie den zwischen Empowerment-Rhetorik und ­Angestellten-Realität. Unsere Lösung: eine relevante Beteiligung der Partner am Gesamt­erfolg der Scholz & Friends Group sowie echtes exekutives Empowerment der Partner. Philosophie und Incentivierung sind jetzt im Einklang, die wirtschaftliche Entwicklung ist in allen Parametern signifikant positiv und die Freude am Spiel ist zurückgekehrt. Das alles trotz einiger Rückschläge, die wir zu kompensieren hatten.

Welche Rückschläge meinen Sie?

Die Insolvenz von Air Berlin hat einen Drei-jahresvertrag nach einem halben Jahr zu ­Makulatur werden lassen. Otelo hat seine Marketingaktivitäten deutlich reduziert, durch das Wahljahr und die langwierige ­Regierungsbildung gab es deutlich weniger öffentliche Aufträge und bei Opel brachte das 2016 eingeführte Zwei-Agenturen-System eine geringere Honorarbasis mit sich. Durch neue Synergien und einen neuen Spirit konnten wir diese kritischen Faktoren mehr als kompensieren.

Nur durch Incentives, Institution und Kultur?

Die drei Hebel der Veränderung. Unsere kulturelle Devise heißt: "Führe zusammen und gewinne!" Dahinter steht die Überzeugung: Den Erfolg zu teilen, heißt, den Erfolg zu multiplizieren. Die Institution, in der sich unsere Philosophie manifestiert, ist das Partnerboard. Es steht bei uns für den ernsthaften Anspruch, die Herrschaft zu teilen und eben nicht für "Teile und herrsche!". Das Partnerboard ist unternehmerischer Kristallisationspunkt und höchstes Entscheidungsgremium von Scholz & Friends. Bei der Incentivierung geht es uns darum, die übergreifende Strategie unserer Gruppe auch in den finanziellen Steuerungssystemen abzubilden. Die in allen Dimensionen positive Entwicklung seit Einführung des Partnersystems bestätigt unsere Überzeugung, dass die Wurzeln und Werte, die Scholz & Friends groß gemacht haben, auch der richtige Kompass für unsere Zukunft sind.

Sie halten weiter am Begriff der ­Orches­trierung fest, das klingt nicht gerade modern.

Die sinnvolle Vernetzung unterschiedlicher Kanäle, Touchpoints und Interaktionsebenen halten wir für aktueller denn je. Die Markenrechte am "Orchestra of Ideas" haben wir ­ in diesem August um weitere zehn Jahre ­verlängert. Unseren Anspruch haben wir in drei Leitsätzen zusammengefasst, die eng mit unserer DNA verbunden sind: Wir sind Deutschlands führende Agentur für orchestrierte Kommunikation. Wir schaffen Markenerlebnisse, die das Denken, Fühlen und Handeln von Menschen verändern. Wir glauben an Freundschaft.

Markenerlebnisse will doch jede Agentur schaffen.

Uns geht es nicht nur um Erlebnisse, sondern um deren Effekt: das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen zu verändern. Das ist der höchste Anspruch an Kommunikation: Bewusstsein und Handeln zu verändern. Kommunikation darf nicht nur Kosmetik sein. Nur wenn sie Teil eines glaubwürdigen, ganzheitlichen und nahtlosen Markenerlebnisses ist, kann sie wirkmächtig werden.

Sie sprechen von Freundschaft. War Tina Müller als Opel-CMO Ihre Freundin?

Das wäre keine präzise Kategorisierung. Ich habe ihre Qualitäten in der Zusammenarbeit schätzen gelernt. Kunden sind auch immer Trainer ihrer Agentur. In diesem Sinn hat Tina Müller uns gefordert und in einigen Punkten besser gemacht. Gemeinsam haben wir eine Menge bewegt. Auch wenn das Training manchmal hart war.

Was verstehen Sie unter dem Motto "Wir glauben an Freundschaft"?

Dieser Satz mag merkwürdig klingen. Aber der Name "Scholz & Friends" ist für uns durchaus Programm. Ein Freund ist jemand, vor dem man laut denken kann. Mit dem man offen reden kann. Respekt, Vertrauensvorschuss, Angstfreiheit, Akzeptanz von Individualität sowie guter Umgang miteinander, sind die Basis von allem. Das leben wir im Partnerboard und das ist unser Maßstab für die gesamte Agentur.

Als Sie im vergangenen November auf der Effie-Gala Ihre Laudatio für den verstorbenen Stefan Kolle hielten, klang das sehr freundschaftlich, als wäre Stefan einer Ihrer Mitarbeiter gewesen. Zugleich aber klang es wie eine harte Branchenkritik.

Stefan Kolle hat in vielen Aspekten einen Kontrapunkt zur Kultur unserer Branche markiert. Das hat ihn – neben seiner unternehmerischen und kreativen Leistung – so besonders gemacht. Im September hat sich Stefans Tod zum ersten Mal gejährt. Ein Anlass, sich mit Wertschätzung an ihn zu erinnern. Scholz & Friends hat über die Jahre hinweg immer eine kulturelle Verbundenheit zu Kolle Rebbe, aber auch zu Grabarz & Partner sowie anderen Agenturen empfunden, deren Kern durch Kooperationskultur bestimmt ist.

Wie weit geht diese Nähe, sind Kooperationen mit anderen Agenturen denkbar?

Wir sehen uns einem Kulturkreis verbunden, der im Kern nicht durch den Kult einer egozen­trischen Konkurrenzkultur geprägt ist. Nicht Alpha-Tiere, sondern Alpha-Teams sind für uns der Schlüssel für die Zukunft. Generell gilt, dass Kooperationsfähigkeit zum entschei­denden Wettbewerbsvorteil in einer Welt wird, deren Komplexität exponentiell gestiegen ist.

Welche Form von Kooperationen?

In Zeiten, in denen die Anforderungen unserer Kunden vielfältiger und unser Produkt modularer wird, geht es zuallererst um Kooperationen über die ohnehin aufweichenden Grenzen der Disziplinen hinweg: Kreation und Media, Online und Offline, Awareness und Interaktion. Darüber hinaus natürlich: Kooperation über nationale Grenzen. Aber auch: Kooperation über die traditionellen Grenzen von Agentur und Kunden hinweg. Stichwort: maßgeschneiderte Strukturen und Outsourcing. Kooperation kann immer dann gelingen, wenn es ein echtes gemeinsames Interesse an der besten Lösung gibt. Und wenn alle Seiten die Chance haben, zu Gewinnern zu werden. Letztlich geht es heute immer um neue Koalitionsbildungen.

Ist das Joint Venture mit Possible so eine Koalitionsbildung unter dem Dach von WPP?

Definitiv. Possible kann das strategische Marken-Know-how unserer Gruppe nutzen, und wir können mit der spezifischen digitalen Kompetenz von Possible die Lücke zwischen Kommunikation und Sales schließen. Die Brücke zwischen Kommunikation, Interaktion, Transaktion muss stehen. Dazu leistet unser Joint Venture mit Possible einen wichtigen Beitrag.

Sprechen wir mal konkret über Wachstum. Welche Kunden haben Sie gewonnen?

Seit Einführung des Partner-Systems ist eine Menge passiert: Wir standen 2015 an der Spitze des Neugeschäft-Rankings des "Kontakter" und 2016 auf Platz zwei. 2017 ist leider kein Ranking erschienen. Zur guten Bilanz gehören Gewinne wie Innogy mit der vielbeachteten Launchkampagne "Was würdest du tun, wenn du noch einmal neu anfangen könntest?" oder die Neupositionierung von Car2go unter dem Motto "Proud to share". Wir haben neue Kundenbeziehungen zu Henkel und Aldi entwickelt, Prestige-Etats wie IWC Schaffhausen gewonnen sowie Danone als Ergebnis eines Pitches zwischen WPP-Agenturen. Wir sind digitale Leadagentur für Wasa geworden, haben die Social-Media-Etats von Nespresso und Paypal gewonnen und beraten und begleiten die LBBW in der digitalen Transformation der Marke und der Kommunikation. Schließlich hatten wir ein starkes Comeback im öffentlichen Sektor, mit einer Reihe von wichtigen und sichtbaren Kampagnen für verschiedene Bundesministerien. Das sind nur wenige Beispiele. In Summe sind wir von 2015 auf 2017 um 14,3 Prozent gewachsen.

Klingt erst einmal viel, doch wo sind die attraktiven Etats der Fast-Moving-Consumer-Goods?

Die marktdominierenden Big Spendings der Big FMCG-Player gehören zu Ad-lantis, einer untergegangenen Welt. FMCG-Kunden ­waren einmal die Goldader und Lebens­versicherung vieler klassischer Agenturen und Netzwerke. Heute ist der FMCG-Sektor weiterhin wichtig, aber nach unzähligen Cost-Cutting-Runden überstrahlt er den Markt nicht mehr an finanzieller Attrakti­vität.

Wo sind dann jetzt die lukrativen Budgets?

In Bezug auf die jahrzehntelange Kundentreue sowie die Größe und Wachstumsdynamik der Etats gibt es heute nichts, was mit den FMCG-Multis im späten 20. Jahrhundert vergleichbar wäre. Doch diese Welt existiert nicht mehr. Branchen wie Automobil, Telekommunikation und Handel gehören weiterhin zu den Big Spendern der Marketing­kommunikation, auch wenn die Größe der Gesamtbudgets oft über die Realität der Agenturhonorare hinwegtäuscht. Dem gegenüber gibt es neue Bereiche, die an Relevanz gewinnen: Verbände und der öffentliche Sektor, Corporate Communications mit einem starken Schwerpunkt auf Employer-Branding, die immer wertiger werdenden Eigenmarken des Handels, um nur einige Beispiele zu nennen. Für diese Zukunftsfelder stellen wir uns mit spezialisierten Kompetenz­marken auf, die auf die gesamten Ressourcen unsere Gruppe zugreifen können. Neben ­etablierten Marken wie Scholz & Friends Agenda für Public Relations und Agenda ­Setting haben wir zum Beispiel Scholz & Friends Trademarks und Scholz & Friends Employer-Branding gegründet.

Und welche Rolle spielen die Hubs, die Sie gegründet haben?

Mit dem Realisation-Hub haben wir ein Angebot für effiziente Print- & Digital-Production-Lösungen geschaffen. Mit dem Content-Desk ein Echtzeit-Angebot für Marken, das wir weiter stärken wollen. Grundsätzlich möchten wir mit diesen und künftigen Performance-Hubs Spezial-Kompetenzen zentral bündeln und sie für die Kunden und Agen­turen unserer gesamten Gruppe zur Verfügung ­stellen.

Auch für die Commarco oder WPP?

In einer nächsten Stufe ist es durchaus vorstellbar, zentrale Kompetenzen auch innerhalb der Commarco zu bündeln und sie dort, wo Nachfrage besteht, auch anderen WPP-Einheiten in Deutschland anzubieten. Kompetenzen zu fokussieren sowie unser Portfolio einfacher zu strukturieren, gehört zu unseren Leitsätzen für die Zukunft.

Ihr wichtigster Kunde ist nach wie vor Opel. Wie geht es denn dort jetzt weiter, nachdem Marketingvorstand Tina Müller und auch ihr Nachfolger Peter Küspert gegangen sind und die Marke ja an die französische PSA verkauft wurde?

Opel ist eine Marke, die uns am Herzen liegt, seit wir im Jahr 2011 – nach 81 Jahren McCann – mit einem neuen Denken für die Marke angetreten sind. Wir führen Opel von Hamburg aus in über 30 Ländern mit einer maßgeschneiderten Best-of-WPP-Aufstellung. Wir glauben an die Zukunft von Opel als deutscher Marke mit internationaler Bedeutung. Gern würden wir unseren Beitrag zu einer erfolgreichen Zukunft von Opel in Deutschland und der Welt leisten.

Wie viel Umsatzanteil kommt bei Scholz & Friends von Opel?

Opel macht weniger als 10 Prozent des Scholz & Friends-Umsatzes und circa 4 Prozent der Commarco-Revenues aus. Das ist relevant, aber nicht existenziell. Viel wichtiger ist die strategische Bedeutung und unsere Identifikation mit der Marke. Scholz & Friends hat von "Umparken im Kopf" bis hin zu "Die Zukunft gehört allen" dafür gearbeitet, Opel mit Souveränität und Selbstbewusstsein zu positionieren. Opel ist niemals business as usual. Es geht um Haltung, Mission und den Willen, das Blatt zu wenden.

Seit 1999 summieren sich die Opel-­Verluste auf 19 Milliarden Euro, das ist Europa-Rekord. Laut "Handelsblatt" lag der Verlust 2017 noch immer bei rund einer Milliarde Euro. Hat Ihre Kampagne nicht funktioniert?

Erstens freuen wir uns, dass Opel im ersten Halbjahr 2018 einen kräftigen Gewinn geschrieben hat. Opel ist "back in the black" und es gibt gute Gründe dafür, dass das in Zukunft so bleiben wird. Zweitens hatten die Verluste der Vergangenheit weniger mit Kommunikation als mit Kostenstrukturen zu tun. Drittens handelt es sich beim Auto um kein Impulsprodukt. Zwischen Werbung und Kauf liegen viele Stationen der Customer-Journey, die es einzeln und im Zusammenspiel zu optimieren gilt. Viertens hat Opel in Bezug auf das, was Kommunikation direkt bewirken kann, sehr viel erreicht. Opel hat es geschafft, die Mauer in den Köpfen einzureißen. Opel ist zurück im Relevant Set. Jetzt geht es da­rum, den Weg von der Kommunikation zum Kauf zu verkürzen.

Tchibo war mal Ihr wichtigster Kunde, was ist daraus geworden?

Tchibo ist unverändert einer unserer wichtigsten Kunden. Tchibo ist unser Gründungskunde und als solcher ohnehin etwas Besonderes. Uns verbindet zudem die lange Zeit einer engen Systempartnerschaft, die für beide Seiten sehr gute und sehr erfolgreiche Jahre gebracht hat. Ursprünglich hatten wir mit Scholz & Friends Neumarkt eine Customized Agency für Tchibo gegründet; zu einer Zeit, in der noch niemand diesen Begriff verwendete. Vor einigen Jahren hat sich Tchibo dann für ein Multi-Agentur-System entschieden und Scholz & Friends Neumarkt hat sich für weitere Kunden geöffnet. Die Agentur steht heute für die Retail-Expertise unserer Gruppe, ergänzt um Scholz & Friends Trademarks als Spezialist für die Food-Marken des Handels.

Und wie läuft’s mit Ihrem Kunden Deka? Den Pitch haben Sie ja gewonnen, bevor Marketingchef Lothar Weissenberger kam?

Das ist ein gutes Beispiel für die standortübergreifende Kraft unseres Partnersystems. Wir haben mit Herrn Weissenberger intensiv über seine Vorstellungen und seinen Anspruch gesprochen und ein neues Team am Berliner Standort zusammengestellt, das diesem Anspruch Rechnung trägt. Hier sind in den vergangenen Jahren starke Arbeiten entstanden, von der Jubiläumskampagne "Unterschätzen Sie die Zukunft nicht" bis zur aktuellen Echtzeitkampagne, bei der wir die Banner der Deka auf "Handelsblatt", "SZ" und "FAZ" innerhalb weniger Minuten textlich pointiert auf die jeweils aktuellen Top-Meldungen reagieren lassen.

Wieso machen Sie denn keine politische Werbung?

Scholz & Friends hat eine klare Haltung: Wir sind überparteilich und stehen nicht für die Wahlkampfwerbung von Parteien zur Verfü­gung. Wir glauben an den Wert gesellschaftlicher und politischer Kommunikation. Halten es aber nicht für richtig, unsere Agenturmarke mit einer einzelnen Partei zu verbinden.

Das gilt aber nicht für Commarco.

Für die Geschäftsführer der Commarco-Agenturen gilt, dass sie – genau wie das Scholz & Friends Partnerboard – selbst darüber entscheiden können, ob sie das Mandat für einen Parteienwahlkampf annehmen. Blumberry hat sich im Jahr 2013 für den Bundestagswahlkampf der CDU entschieden. Mit 41,5 Prozent der Stimmen hat dieser Wahlkampf zum bisher besten Wahlergebnis der Bundeskanzlerin geführt.

Die letzte Kampagne für die CDU zur Bundestagswahl hat Jung von Matt vergeigt. Reizt es Sie denn nicht, hier Fuß zu fassen?

Wir sind mit Scholz & Friends Agenda sowie unserem European Office in Brüssel intensiv im politischen Sektor tätig. Aber eben nicht parteipolitisch. Wenn wir diese Tür aufmachen würden, wäre das garantiert keine CEO-Entscheidung, sondern müsste vom gesamten Partnerboard getragen werden. Dafür sehe ich keine Indikation. Viel wahrscheinlicher ist, dass wir unserem Grundsatz der parteipolitischen Abstinenz – wie schon seit 37 Jahren – auch langfristig treu bleiben.

Sie haben im Eingangsbereich drei alte Greifarm-Automaten stehen, in denen statt Plüschtieren Massen von Kreativpreisen sind. Ist das nicht ein wenig despektierlich?

Die Installation in der Lobby unserer Berliner Agentur symbolisiert unsere Haltung zu Nägeln, Löwen und Effies ganz gut. Wir freuen uns darüber, stellen sie durchaus mit Stolz ins Schaufenster, nehmen sie aber nicht so ernst, als dass wir sie als alleinige Währung unseres Schaffens ansehen würden. 2017 haben wir im ADC-Ranking einen dritten Platz erreicht und standen in Cannes sowie bei den Clio- und LIA-Awards an der Spitze deutscher Agenturen. Wir merken immer wieder, dass die Stärke­ und Größe unserer Gruppe nicht jedem bewusst ist. Vielleicht, weil wir die Glocke nicht ganz so laut schlagen wie mancher andere.

Also machen Sie schlechte Eigenwerbung.

Wenn die Realität besser ist als die Wahrnehmung, ist das besser als umgekehrt. Dennoch haben sie Recht: Scholz & Friends dreht seine Lautsprecher nur selten voll auf. Vielleicht sollten wir den Mute-Button häufiger lösen und uns stärker artikulieren. Während andere manche Wunderkerze als Feuerwerk verkaufen, haben wir die Erfolge der vergangenen Jahre eher still in unserem Herzen getragen.

Wie erging es Ihrem Herzen etwa bei Ihrem einstigen Mitarbeiter Gerald Hensel, der die Aktion #keingeldfürrechts initiiert hatte?

Das war in keiner Weise vergnügungssteuerpflichtig. Wir waren nicht glücklich darüber, dass Gerald Hensel ohne Scholz & Friends zu informieren, eine private Initiative gestartet hatte, die in Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit gesehen werden konnte. Noch weniger erfreut waren wir allerdings darüber, dass Plattformen, die wir bis dahin noch gar nicht kannten, uns mit Beleidigungen überzogen hatten, die wir auch noch nicht kannten. Ich rechne es dem GWA hoch an, sich in dieser Situation eigeninitiativ und mit aller Klarheit vor Scholz & Friends gestellt zu haben.

Wieso machen Sie keine Öffentlich­keitsarbeit wie es Springer & Jacoby ­einst betrieb? Da galt das legendäre ­"Eine Fresse für die Presse".

Interessanter Gedanke. Das wäre dann die FM-Schmidt-Show (lacht). Aber im Ernst: Das wäre nicht gut. Und das wäre nicht Scholz & Friends. Wir haben starke Partner, die im Zusammenspiel für unseren Erfolg verantwortlich sind. Ich sehe mich als Systemarchitekt und Schiedsrichter. Für die Zukunft von Scholz & Friends wünsche ich mir, dass jeder Partner mit der Stärke eines CEO agiert: im unternehmerischen Aktionsradius ebenso wie in der öffentlichen Präsenz.

Zur Person: Frank-Michael Schmidt ist seit zehn Jahren CEO der Scholz & Friends Group sowie zugleich der Marketing Services Holding Commarco. FM, wie er genannt wird, kennt die Branche wie kaum ein anderer. Für seinen Mutterkonzern WPP gilt er als einer der wichtigsten Strategen, die auch bei Agenturkäufen um Rat gefragt werden, etwa als WPP vor gut einem Jahr die Agentur Thjnk übernahm. Der studierte Politologe, Philosoph und Publizist war bei Wilkens Ayer (heute Draft FCB), bei Lintas und arbeitete, nach einem Exkurs mit eigenem Beratungsunternehmen, für J. Walter Thompson. 1996 war er Mitgründer der Account Planning Group und von 2004 bis 2008 Vorstand des GWA. In der Branche heimste er etliche Preise ein und wurde in die Hall of Fame der Deutschen Werbung 2016 aufgenommen.


Autor: Jochen Kalka

ist jok. Und schon so lange Chefredakteur, dass er über fast jede Persönlichkeit der Branche eine Geschichte erzählen könnte. So drängt es ihn, stets selbst zu schreiben. Auf allen Kanälen.