Kreation des Tages:
Nieder mit der Fremdbestimmung: Wien lehnt sich gegen Reviewportale auf
Sehenswürdigkeit bis hin zum Essen: Alles wird bewertet. Das nervt, findet Wien Tourismus. Und ruft mit der Kampagne "Unrating Vienna" dazu auf, die Stadt mit eigenen Augen zu entdecken.
Ihre Freundin hat den gleichen Putenbrustsalat wie Sie gegessen. Jetzt bestellt sie einen Kaffee. Sie auch? Dass sich Menschen gegenseitig beeinflussen, ist menschlich. Dass die Werbung es dazu instrumentalisiert, über automatisierte Empfehlungen und Bewertungen unseren Konsum zu steuern, mit der nett gemeinten Absicht, uns die Qual der Wahl zu erleichtern, fühlt sich auf Dauer etwas schräg an. Möchten Sie sich denn wirklich vorschreiben lassen, was und wo sie essen und wohin sie reisen? Oder ist so eine Frage typisch deutsch? (Agentur: Wien Nord Now)
In dem Fall ist sie österreichisch. Neben zwei panierten Schnitzeln, garniert mit Zitrone und den bekannten Bewertungssternchen, prangt die Gretchenfrage: "Und wer bestimmt, was Dir gefällt?" Wien Tourismus will mit der Kampagne "Unrating Vienna" seine Besucher dazu auffordern, nach dem Bewertungswahnsinn auch mal wieder frei Schnauze zu reisen - anstatt sich ständig reinquatschen zu lassen.
Die Kampagnen-Macher schwören gleich die digitale Filterblase herauf. Unser Alltag wird fremdbestimmt, vorgeplant, gesteuert und reguliert. Suchmaschinen bestimmen, was wir finden. Soziale Netzwerke und Algorithmen entscheiden, was uns interessieren könnte. Und im Urlaub sich einfach mal treiben lassen? Nichts da! Erst wird die Must-See-Liste abgearbeitet!
"Online-Bewertungen sind grundsätzlich eine tolle Sache" räumt Tourismusdirektor Norbert Kettner ein. Statt voll gegen die Digitalisierung zu wettern, lobt er sie als Kulturtechnik - und stellt sie damit in den Dienst des - selbstbestimmten - Menschen. Der hat schließlich seinen eigenen Verstand und Bauchgefühl. Und das ist gut so.
Mit der Kampagne will Wien Tourismus den gesamten Juni über eine Debatte führen: auf der Website unrating.wien.info, Facebook, Instagram und bei Ads, die direkt bei Trip Advisor - sozusagen im Lager des Feindes - geschaltet werden. Out of Home ist auch dabei: Rund 220 City-Lights oder Screens gibt es in Hamburg und 180 Plakate und Screens in London. Die Motive zeigen schöne Urlaubsmomente, Orte oder Objekte, die aber mit negativen und polarisierenden Bewertungen der Nutzer versehen wurden. Beim Schnitzel etwa wurde gemeckert: "Keine Tunke!"
Das interessanteste jedoch ist, dass auch Influencer wie Maximilian und Lisa Kraft, Jana Wind und Julie Falconer von ihren - natürlich unvoreingenommenen - Eindrücken erzählen sollen. Nur mit viel Einfluss kann man der Beeinflussung schließlich Herr werden.