Kreativranking 2015:
Ralf Heuel und die Neiddebatte: "Wir brauchen einen Ehrenkodex"
Grabarz & Partner führt in diesem Jahr das Kreativranking an. W&V hat mit Kreativchef Ralf Heuel über Wunsiedel, Neider, Werbung und Popkultur gesprochen.
Die Hamburger Agentur Grabarz & Partner führt in diesem Jahr das Kreativranking an. Mit Kreativchef Ralf Heuel spricht mit W&V über Wunsiedel, Neider, Werbung und Popkultur.
Noch nie hatte eine Agentur seit Einführung des neuen Kreativrankings so viele Punkte wie Sie. Sie haben 2015 alles an wichtigen Preisen eingeheimst. Ist Ihnen das wichtig, Herr Heuel?
Mir persönlich ist das nicht so irre wichtig. Für die Agentur ist es natürlich toll, vor allem für die Leute, deren Arbeit und Mut belohnt werden. Klar ist es immer gut, irgendwo die Nummer eins zu sein. Ich glaube allerdings nicht, dass man die Performance einer Agentur an solchen Rankings festmachen kann. Eher an einer in der Breite sehr guten Leistung.
Sie standen bisher für VW, Ikea und gute Radiowerbung. Glauben Sie, die Wahrnehmung Ihrer Agentur hat sich seit diesem Jahr verändert?
Interessante Frage. Nein, ich denke nicht. Die relevanten Player in unserer Branche kennen uns und den Markt und wissen, welche Agenturen was leisten und wofür sie stehen. Die Sichtweise auf uns hat sich vielleicht verändert, was das Thema Kollaboration mit GGH Lowe angeht. Es gibt sehr viele, die uns den Erfolg von Herzen gönnen. Aber ich glaube, wir gehören zu lang zu den führenden Kreativagenturen, als dass da jetzt jemand sagen würde, guck mal, die hatte ich ja bislang nicht auf dem Radar. Wir haben eines der arbeitsreichsten und intensivsten Jahre überhaupt hinter uns. Wir haben in diesem Jahr für Volkswagen Nutzfahrzeuge mehrere Carlines sehr erfolgreich gleichzeitig international gelauncht und mit "Robbie Williams wird Marketingleiter" einen anderen Benchmark-Case für Volkswagen PKW on air. Wir haben Burger King kreativ wiederbelebt. Wir machen für Ikea sicher die kreativste lokale Kommunikation im ganzen Segment. Keine Versicherung kommuniziert kreativer und effizienter als die DEVK. Und so weiter. Das sehen Leute draußen natürlich. Und das prägt unser Bild mindestens so wie ein Ranking. Das meine ich mit kreativer Breite.
Manche halten Wunsiedel für überschätzt. Die meisten zollen Respekt. Was war die schönste Reaktion?
Erst mal, dass unsere Leute unversehrt aus Wunsiedel zurückgekehrt sind. Dann, dass sich Sigmar Gabriel mit einem persönlichen Brief bei uns bedankt hat und der Case im EU-Parlament als vorbildlich diskutiert wurde. Am meisten hat mich glaube ich gefreut, dass Joko und Klaas in "Circus Halligalli" die Aktion als beste Idee des Jahres gekürt haben.
Sie haben mit einem Social Case gewonnen. Ein heißes Diskussionsthema in der Branche. Ist so eine Idee gleich viel wert wie eine große Werbekampagne etwa für VW?
Die Frage ist doch, wie viel Charity-Cases mit unserer Lebens- und Jobwirklichkeit zu tun haben. Und für mich hängt das stark zusammen. Das sieht man auch an vielen weiteren Arbeiten, die Menschen bewegen und daher Awards gewinnen. Denn Menschen erwarten heute zu Recht von Marken mehr als ein Produkt mit einer Funktion. Weil es das gleiche Produkt mit der gleichen Funktion bereits zehnmal gibt. Menschen wollen wissen, wofür die Marke steht, welche Haltung sie hat, ob sie großzügig ist, ob sie für etwas Gutes kämpft, ob sie etwas für unsere Kinder tut – diese Faktoren beeinflussen Kaufentscheidungen immer mehr. Das Thema "Brand Citizenship" wird in den kommenden Jahren immer wichtiger werden. Wenn du heute Menschen emotional erreichen willst, musst du schon ein bisschen mehr tun, als deinen Halbfettjoghurt mit einer Rubbelpromotion zu versehen.
Wie meinen Sie das genau?
Ein gutes Beispiel ist für mich der aktuelle Edeka-Spot "Heimkommen". Vor so einer Arbeit habe ich enormen Respekt. Hier steht eine Marke wirklich für etwas, liefert gesellschaftlichen Gesprächsstoff, hat eine Haltung und schafft es trotzdem, die Mehrzahl der Menschen draußen hinter sich zu kriegen. Natürlich wirkt sich so etwas nicht direkt auf die Kaufentscheidung aus. Natürlich geht jetzt nicht gleich der Wirsing-Absatz durch die Decke. Aber Kauf-Entscheidungen fallen zum allergrößten Teil emotional. Auch wenn das nicht alle glauben wollen. Über Emotion schafft man es, sich in einem homogenen Umfeld glaubwürdig zu differenzieren.
Aber: Wunsiedel ist anders.
Ja, aber man sieht, welche Dinge durch neues Denken entstehen. Grabarz & Partner steht für eine bestimmte Art von Kommunikation. Wir wollen niemals dumm und plump, sondern immer relevant und involvierend sein. Unser Agenturmotto lautet: „Ideas people like to share“ – Ideen, die Menschen bewegen und berühren, Ideen, die sie teilen wollen. In den Kreativjurys haben sozial ausgerichtete Ideen gerade die besten Chancen.
Wird Werbung neuerdings gesellschaftlich relevanter?
In der Breite sicher nicht. Werbung war schon mal sehr viel besser und auch relevanter. Ein durchschnittlicher Werbeblock im TV und Radio in den 80ern oder 90ern war sicher besser als heute. Oder blättern Sie heute mal den „Spiegel“ durch und zeigen mir nur eine einzige Anzeige, die strategisch und kreativ wirklich gut gemacht ist. Wir lassen speziell in den klassischen Medien nach. Vieles wird heute einfach mit viel weniger Liebe, vielleicht auch Zeit, gemacht als früher. Daher war Werbung früher auch popkulturell relevanter als heute.
Wer hat Schuld?
Ich halte nichts von Schuldzuweisungen. Daher sage ich mal: wir alle. Letztlich ist es immer eine Frage der Haltung und des eigenen Anspruchs an das, was man tut.
Und nun? Eine Lösung?
Es ist so einfach wie kompliziert. Die wichtigste Rolle, die Kommunikation heute erfüllen muss: Sie muss den Menschen relevante Dinge erzählen und sie so in Verbindung mit Marken bringen. Das bedeutet eine Erkenntnisveränderung bei Kunden und Agenturen. Es geht nicht mehr darum, was ich erzählen will. Sondern um das, was die Menschen interessiert. Nie war es einfacher, Werbung auszublenden, wegzuklicken oder gar nicht erst zu sehen. Die Adblocker-Diskussion zeigt doch, welchen Stellenwert die Menschen der Werbung einräumen und wie verzweifelt wir versuchen, ihnen zu zeigen, was sie nicht sehen wollen. Marken müssen aufhören, Menschen bei etwas Interessantem zu unterbrechen, und selbst interessant sein. Vielleicht werden wir so auch wieder ein Teil Popkultur.
Burger King "Whopper für Marko" from Grabarz & Partner on Vimeo.
Inwiefern hat sich Ihre Agentur durch den kreativen Erfolg verändert?
Ich sehe es erst mal gern, wenn meine Leute stolz sind. Wir sind in einem neuen Gebäude, arbeiten anders miteinander, haben gutes Neugeschäft, sind Erster im Ranking. Zum Agenturtag hatten wir gerade den Sternekoch Nelson Müller eingeladen. Eine professionelle Küche hat viel von einer Agentur. Da geht’s um Kollaboration. Einer macht die Soßen, einer das Fleisch, der Dritte die Desserts, und alles muss am Ende perfekt sein. In der Agentur heißt das: exzellente Berater, Planner, Kreative und so weiter. Alle müssen einerseits Vollgas geben, andererseits miteinander kollaborieren. Backstage im „Union Transfer“ in Philadelphia hängt ein Schild, auf dem steht „Is it hot? Does it look good? Are you proud to serve it?“ Das sollte man sich eigentlich jedes Mal fragen, bevor was rausgeht. In der Küche und in der Agentur.
Sie sind auch mit, nennen wir es, Kritik konfrontiert. Das betrifft zum einen, dass es sich um einen Social Case handelt. Zum anderen geht es da um die Kooperation mit GGH Lowe.
Solche Aussagen zeigen vielleicht, wie wenig kollaboratives Arbeiten bei einigen in unserer Branche überhaupt angekommen ist. Da ist hier und da doch noch ein bisschen 80er-Ego-Disko spürbar. Das finde ich gar nicht schlimm. Schlimmer ist: Unsere Branche ist leider nicht von Sportsgeist geprägt, sondern von Kleingeist. Umso wichtiger die Initiative von Raphael Brinkert, der alle zu einem vernünftigen und respektvollen Umgang miteinander aufruft. So etwas ist in meinen Augen längst überfällig. Wir brauchen eine Art Ehrenkodex. Diese alljährlichen Vorwürfe an die Siegeragentur sind einerseits natürlich wirklich belustigend, andererseits schaden sie allen. Denn sie führen insgesamt nicht dazu, das wir als Kommunikationsexperten ernster genommen werden oder sich der Nachwuchs mehr für uns interessiert. Es ist einem meistens wirklich peinlich.
Welche drei Ideen hätten Sie denn gern gemacht - wenn man analog zu Raphael Brinkerts Vorschlag denkt?
Da gibt es viel mehr als drei, die ich gern mit dem Absender "Grabarz & Partner" draussen gesehen hätte. Spontan fällt mir ein: Ich bin wirklich neidisch auf "Better call Saul" von Kolle Rebbe, ich finde das "Hasenrasen" von Ogilvy ganz, ganz großartig und hätte auch die "Deezer"-Spots von Dojo sehr gern selbst gemacht. Aber wie gesagt. Das ist lange nicht vollständig. Neben viel Mittelmaß gibt es Gottseidank auch viele wirkliche Highlights.