Manche halten Wunsiedel für überschätzt. Die meisten zollen Respekt. Was war die schönste Reaktion?

Erst mal, dass unsere Leute unversehrt aus Wunsiedel zurückgekehrt sind. Dann, dass sich Sigmar Gabriel mit einem persönlichen Brief bei uns bedankt hat und der Case im EU-Parlament als vorbildlich diskutiert wurde. Am meisten hat mich glaube ich gefreut, dass Joko und Klaas in "Circus Halligalli" die Aktion als beste Idee des Jahres gekürt haben.

Sie haben mit einem Social Case gewonnen. Ein heißes Diskussionsthema in der Branche. Ist so eine Idee gleich viel wert wie eine  große Werbekampagne etwa für VW?

Die Frage ist doch, wie viel Charity-Cases mit unserer Lebens- und Jobwirklichkeit zu tun haben. Und für mich hängt das stark zusammen. Das sieht man auch an vielen weiteren Arbeiten, die Menschen bewegen und daher Awards gewinnen. Denn Menschen erwarten heute zu Recht von Marken mehr als ein Produkt mit einer Funktion. Weil es das gleiche Produkt mit der gleichen Funktion bereits zehnmal gibt. Menschen wollen wissen, wofür die Marke steht, welche Haltung sie hat, ob sie großzügig ist, ob sie für etwas Gutes kämpft, ob sie etwas für unsere Kinder tut – diese Faktoren beeinflussen Kaufentscheidungen immer mehr. Das Thema "Brand Citizenship" wird in den kommenden Jahren immer wichtiger werden. Wenn du heute Menschen emotional erreichen willst, musst du schon ein bisschen mehr tun, als deinen Halbfettjoghurt mit einer Rubbelpromotion zu versehen. 

Wie meinen Sie das genau? 

Ein gutes Beispiel ist für mich der aktuelle Edeka-Spot  "Heimkommen". Vor so einer Arbeit habe ich enormen Respekt. Hier steht eine Marke wirklich für etwas, liefert gesellschaftlichen Gesprächsstoff, hat eine Haltung und schafft es trotzdem, die Mehrzahl der Menschen draußen hinter sich zu kriegen. Natürlich wirkt sich so etwas nicht direkt auf die Kaufentscheidung aus. Natürlich geht jetzt nicht gleich der Wirsing-Absatz durch die Decke. Aber Kauf-Entscheidungen fallen zum allergrößten Teil emotional. Auch wenn das nicht alle glauben wollen. Über Emotion schafft man es, sich in einem homogenen Umfeld glaubwürdig zu differenzieren. 

Aber: Wunsiedel ist anders.

Ja, aber man sieht, welche Dinge durch neues Denken entstehen. Grabarz & Partner steht für eine bestimmte Art von Kommunikation. Wir wollen niemals dumm und plump, sondern immer relevant und involvierend sein. Unser Agenturmotto lautet: „Ideas people like to share“ – Ideen, die Menschen bewegen und berühren, Ideen, die sie teilen wollen. In den Kreativjurys haben sozial ausgerichtete Ideen gerade die besten Chancen.

Wird Werbung neuerdings gesellschaftlich relevanter?

In der Breite sicher nicht. Werbung war schon mal sehr viel besser und auch relevanter. Ein durchschnittlicher Werbeblock im TV und Radio in den 80ern oder 90ern war sicher besser als heute. Oder blättern Sie heute mal den „Spiegel“ durch und zeigen mir  nur eine einzige Anzeige, die strategisch und kreativ wirklich gut gemacht ist. Wir lassen speziell in den klassischen Medien nach.  Vieles wird heute einfach mit viel weniger Liebe, vielleicht auch Zeit, gemacht als früher. Daher war Werbung früher auch  popkulturell relevanter als heute.

Wer hat Schuld?

Ich halte nichts von Schuldzuweisungen. Daher sage ich mal: wir alle. Letztlich ist es immer eine Frage der Haltung und des eigenen Anspruchs an das, was man tut.

Und nun? Eine Lösung?

Es ist so einfach wie kompliziert. Die wichtigste Rolle, die Kommunikation heute erfüllen muss: Sie muss den Menschen relevante Dinge erzählen und sie so in Verbindung mit Marken bringen. Das bedeutet eine Erkenntnisveränderung bei Kunden und  Agenturen. Es geht nicht mehr darum, was ich erzählen will. Sondern um das, was die Menschen interessiert. Nie war es  einfacher, Werbung auszublenden, wegzuklicken oder gar nicht erst zu sehen. Die Adblocker-Diskussion zeigt doch, welchen Stellenwert die Menschen der Werbung einräumen und wie verzweifelt wir versuchen, ihnen zu zeigen, was sie nicht sehen wollen.  Marken müssen aufhören, Menschen bei etwas Interessantem zu unterbrechen, und selbst interessant sein. Vielleicht werden wir so auch wieder ein Teil Popkultur.

Burger King "Whopper für Marko" from Grabarz & Partner on Vimeo.

Inwiefern hat sich Ihre Agentur durch den kreativen Erfolg verändert?

Ich sehe es erst mal gern, wenn meine Leute stolz sind. Wir sind in einem neuen Gebäude, arbeiten anders miteinander, haben gutes Neugeschäft, sind Erster im Ranking. Zum Agenturtag hatten wir gerade den Sternekoch Nelson Müller eingeladen. Eine  professionelle Küche hat viel von einer Agentur. Da geht’s um Kollaboration. Einer macht die Soßen, einer das Fleisch, der Dritte die Desserts, und alles muss am Ende perfekt sein. In der Agentur heißt das: exzellente Berater, Planner, Kreative und so weiter. Alle müssen einerseits Vollgas geben, andererseits miteinander kollaborieren. Backstage im „Union Transfer“ in Philadelphia hängt ein Schild, auf dem steht „Is it hot? Does it look good? Are you proud to serve it?“ Das sollte man sich eigentlich jedes Mal fragen, bevor was rausgeht. In der Küche und in der Agentur.

Sie sind auch mit, nennen wir es, Kritik konfrontiert. Das betrifft zum einen, dass es sich um einen Social Case handelt. Zum anderen geht es da um die Kooperation mit GGH Lowe. 

Solche Aussagen zeigen vielleicht, wie wenig kollaboratives Arbeiten bei einigen in unserer Branche überhaupt angekommen ist. Da ist hier und da doch noch ein bisschen 80er-Ego-Disko spürbar. Das finde ich gar nicht schlimm. Schlimmer ist: Unsere Branche ist leider nicht von Sportsgeist geprägt, sondern von Kleingeist. Umso wichtiger die Initiative von Raphael Brinkert, der alle zu einem vernünftigen und respektvollen Umgang miteinander aufruft. So etwas ist in meinen Augen längst überfällig. Wir brauchen eine Art Ehrenkodex. Diese alljährlichen Vorwürfe an die Siegeragentur sind einerseits natürlich wirklich belustigend, andererseits schaden sie allen. Denn sie führen insgesamt nicht dazu, das wir als Kommunikationsexperten ernster genommen werden oder sich der Nachwuchs mehr für uns interessiert. Es ist einem meistens wirklich peinlich.

Welche drei Ideen hätten Sie denn gern gemacht - wenn man analog zu Raphael Brinkerts Vorschlag denkt? 

Da gibt es viel mehr als drei, die ich gern mit dem Absender "Grabarz & Partner" draussen gesehen hätte. Spontan fällt mir ein: Ich bin wirklich neidisch auf "Better call Saul" von Kolle Rebbe, ich finde das "Hasenrasen" von Ogilvy ganz, ganz großartig und hätte auch die "Deezer"-Spots von Dojo sehr gern selbst gemacht. Aber wie gesagt. Das ist lange nicht vollständig. Neben viel Mittelmaß gibt es Gottseidank auch viele wirkliche Highlights.


Autor: Daniela Strasser

Redakteurin bei W&V. Interessiert sich für alles, was mit Marken, Agenturen, Kreation und deren Entwicklung zu tun hat. Außerdem schreibt sie für die Süddeutsche Zeitung. Neuerdings sorgt sie auch für Audioformate: In ihrem W&V-Podcast "Markenmenschen" spricht sie mit Marketingchefs und Media-Verantwortlichen über deren Karrieren.