Erfolg wurde früher am Handgelenk gerne durch eine Rolex zur Schau gestellt. Heute demonstriert man Status eher über eine Marke wie Lange & Söhne, die sogar noch einen Tick individueller und kultivierter rüberkommt als Rolex. Auch im Autobereich sieht man klare Verschiebungen von Markenpräferenzen. Für wen früher nur Mercedes oder Porsche in Frage kam, denkt heute durchaus auch über BMW oder Audi nach. Selbst Marken wie Seat und Skoda haben es aus ihrer Nische ins Relevant-Set von vielen Autofahrern geschafft. All diese Beispiele sind typisch dafür, was renommierte Marken in den letzten Jahren erleben mussten. Echte Markenloyalität gibt es kaum noch. Die Entwicklung weg von sklavischer Markentreue ist in allen Branchen zu beobachten.

Bedeutet das etwa, dass Marken schwächeln? Nicht unbedingt. Dass heute mehr Marken in den Kopf von Verbrauchern gerutscht sind, hat mehrere Gründe. Einer der wichtigsten ist, dass die Qualität der Produkte von Herstellern immer weiter zunimmt. Je besser eine Produktleistung, desto schneller schafft es eine Marke, vom Verbraucher wahrgenommen zu werden. Das verdankt sie natürlich auch gutem Marketing. Denn wenn es in einer Kategorie beispielsweise drei tolle Marken mit ähnlichen Produktqualitäten gibt, sollte man besser ein begehrenswertes Markenprofil haben, damit die Konsumenten zum richtigen Produkt greifen, das über die Markenpositionierung auch noch einen Premium-Preis aufrufen kann.

Hinzu kommt, dass die Research & Development-Abteilungen der Unternehmen  immer mehr zum Erfolgsgaranten werden. Kein Unternehmen kann es sich mehr leisten, in diesem Bereich zu schludern, Innovationen zu vernachlässigen oder im Prozess zu langsam zu sein. Und so gut wie die Qualität eines Produktes heute sein muss, muss dann auch das Marketing sein. Sowohl die Unternehmens- als auch die Agenturseite sind gefordert, die Professionalisierung deutlich weiter vorantreiben.

Hinzu kommt, dass Unternehmen über das reine Produkt hinaus, clevere Wege finden müssen, um Barrieren zum Käufer abzubauen. Dazu gehören sicher auch Preisangebote, aber vor allem auch spezielle Serviceleistungen, individuellere Kommunikation und neue Vertriebsformen. Nicht umsonst investieren gerade Premium-Autohersteller zunehmend in ungewöhnliche Shops wie "Mercedes me" oder "Audi City" statt in weitere klassische Handelsplätze. Heute stehen Marketing- und Agenturleute mehr denn je vor der Frage, was wirklich relevant für den Kunden ist. Gerade weil es kaum mehr Produkte mit Alleinstellungsmerkmal gibt.

Die Aufgaben in der Kommunikation werden damit ganz ohne Zweifel anspruchsvoller. Aber auch interessanter. Denn es ist viel spannender mit einem aufgeklärten Verbraucher über das Produkt an sich zu sprechen, als über mühsam aufgepfropfte Statusmythen. Und trotz Wankelmütigkeit bei den Verbrauchern müssen sich gut aufgestellte Marken keine Sorgen machen. Selten werden starke Marken ganz fallengelassen. Eher erweitert sich der Kreis von Marken, die für einen Konsumenten in Frage kommen. Ich trage zum Beispiel heute neben Nike-Turnschuhen, denen lange ausschließlich meine Grundsympathie galt, auch Adidas. Das Design hat sich in meinen Augen positiv verändert, es ist nicht mehr so klinisch wie früher. Und mir gefällt auch, dass es eine deutsche Marke ist. Nach dem Gewinn der Fußball-WM ist der Aspekt natürlich noch wichtiger geworden.

* W&V-Kolumnist Benedikt Holtappels ist Mitgründer von Grimm Gallun Holtappels in Hamburg und gehört nach dem Verkauf an Lowe + Partners zur Geschäftsführung der umfirmierten Agentur GGH Lowe.