Was meinen Sie damit?

Nun, ich bin nicht sehr gut darin, Dinge nachzuspielen oder zu reproduzieren. Ich bin, ehrlich gesagt, kein besonders guter Musiker. Also habe ich aus der Not eine Tugend gemacht und einfach selbst Stücke komponiert, die ich dann auch spielen konnte. Einer meiner musikalischen Mentoren war der Anfang letzten Jahres verstorbene legendäre Kölner Schlagzeuger Jaki Liebezeit. Er sagte mir mal: Wichtig beim Musik machen ist nicht das Spielen, sondern das Zuhören. Und das lässt sich übertragen aufs Filmemachen: Selbstverständlich ist es wichtig, auf die Dialoge der Schauspieler zu hören, aber am wichtigsten ist das Zuschauen.

Inwiefern?

Für mich ist dieser Dialog mit dem Bild ein fast schon magischer Moment – das Korrespondieren der Musik mit dem Bild. Man kann Szenen unterstützen, indem man Musik macht – aber ebenso, indem man keine Musik macht. Pausen und Dynamik sind ganz wichtig. Gerade habe ich an einer Actionszene gearbeitet, bei der die Musik richtig laut ist, viel Getrommel – dennoch gibt es zwischendurch Dialoge, und die Spannung darf in dem Moment nicht abreißen. Da muss ich einfach schauen, dass ich das Ding durch das richtige Arrangement am Treiben halte. Sprich: die Spannung oben halten und trotzdem die Dialoge verständlich machen. Dabei kommt mir zugute, dass mein musikalisches Spektrum, aus dem ich schöpfen kann, ziemlich groß ist – also optimal für Filmmusik, wo ja die unterschiedlichsten Stilrichtungen und Klangfarben gefragt sind.

Inwieweit profitieren Sie von Ihrer über 40-jährigen Erfahrung als Live-Musiker?

Auf jeden Fall. In meinen Live-Bands war es üblich, dass jeder Musiker bei neuen Stücken erst mal zuhört, damit er merkt, was die Bandkollegen überhaupt spielen. Perfektioniert wurde das in der Live-Band von Westernhagen. Wir waren damals ja zum Teil zwölf Frauen und Männer auf der Bühne. Angefühlt hat sich das aber wie ein Trio.

Weil jeder Musiker nur das Lied und den Gesang unterstützt hat?

Exakt. Wenn der Drummer beispielsweise ein Fill-in gespielt hat, gab es eben diese Lücke, so dass man als Zuhörer diese Trommelschläge auch wirklich wahrnahm. Das waren wirklich unglaubliche Musiker, die sonst bei Paul McCartney, Roxy Music oder Eric Clapton spielen – diese Musiker haben es nicht nötig, durch irgendwelche virtuosen Show-off-Einlagen oder Kunststückchen zu imponieren. Insofern war das für mich eine gute Schule, auch fürs Komponieren von Filmmusik.

An welcher Stelle im Filmproduktionsprozess kommen Sie ins Spiel?

Bei Kinoproduktionen bin ich wesentlich früher im Entstehungsprozess des Films eingebunden und liefere oft schon Musik zum Dreh. Es macht für Filmmusik einen großen Unterschied, ob sie einerseits für Kino oder andererseits für 90-Minüter oder Serien im Fernsehen gedacht ist. Allein schon deshalb, weil mir bei Fernsehproduktionen üblicherweise nicht so viel Zeit zur Verfügung steht wie bei Kinofilmen. Zudem sind gerade bei Fernsehfilmen manchmal – leider – die Szenen schon mit irgendwelchen Fremdmusiken, sogenannten Temp Tracks, hinterlegt. Das engt den Musiker, der die Filmmusik machen soll, etwas ein.

Andererseits beschreiben diese Temp Tracks aber doch anschaulich, in welche Richtung es gehen soll.

Klar, das ist natürlich auch hilfreich. Schwierig ist's allerdings, wenn der Film mit irgendwelchen Millionen-Dollar-Soundtracks hinterlegt ist, und wir sollen das dann für einen Bruchteil des Budgets nachbilden – und die Erwartung ist, dass es eigentlich noch besser klingen soll. (lacht) Da hat man als Komponist ein kleines Problem. Aber glücklicherweise wird das immer seltener. Allein schon deshalb, weil ich mittlerweile ein kleines Netzwerk an Produzenten und Regisseuren habe, die ungefähr wissen, wofür ich stehe. Im besten Fall verwenden sie dann Temp Tracks von mir selbst. Obwohl – da muss ich auch wieder aufpassen, mich nicht selbst zu kopieren. Aber zumindest ist es nicht eine Fremdkomposition.

Inwieweit bekommen Sie Vorgaben, wie der jeweilige Film-Score klingen soll?

Es gibt im Vorfeld bei den ersten Sichtungen schon intensive Gespräche, ich lasse mir zudem gerne Muster von Szenen zukommen. Oft haben die Regisseure schon eine Idee, in welche Richtung es gehen soll. Aber manchmal entwickelt sich das auch erst, indem ich Vorschläge mache, zum Teil auch im Ausschlussverfahren.

Musik allgemein ist ja nun mal ein Feld, wo jeder glaubt, Experte zu sein. Gab es mal die Situation, wo Sie zwischendrin gemerkt haben: Ich bin hier auf dem falschen Schiff?

Sicher, es gab schon Produktionen, wo die Kommunikation aller Beteiligten kompliziert war. So etwas merke ich aber recht schnell und versuche, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Dass etwas gar nicht funktioniert, ist allerdings eine große Ausnahme. Natürlich treffen oft konträre Ansichten über ein und dasselbe Thema zusammen. Das betrifft aber nicht nur mich als Filmkomponisten, sondern auch Kameraleute, Ausstatter oder Cutter, alle am Film Beteiligten halt. Ich bin meist das letzte Glied in der Kette und muss mitunter Fehler kompensieren, die vorher gemacht wurden. Aber das gehört nun mal zu meinem Job als Filmkomponist, und damit kann ich gut umgehen. Wir sprechen hier über Kunst, und da ist man eben nicht immer gleicher Meinung. Aber das ist ja letztlich der Reiz an der ganzen Sache.

Woran arbeiten Sie gerade?

Derzeit mache ich die Musik für eine ARD-Reihe namens "Über die Grenze". Das Format ist schon für verschiedene Preise nominiert worden. Da arbeite ich sehr viel mit elektronischen Elementen. Und es ist natürlich sehr hilfreich, wenn man vom ersten Film der Reihe Melodien und Klangfarben übernehmen kann. Die zum Teil sehr mühsame Findung eines Themas oder eines Stils ist da schon abgeschlossen, und ich kann mich ganz auf die Feinheiten konzentrieren. Zur Zeit arbeite ich auch noch an der Musik für eine kinematografische Umsetzung einer Fernsehserie von Anfang der Nullerjahre, "Berlin, Berlin" mit Felicitas Woll. Da wird zum Teil mit animierten Bildern gearbeitet, und dieser Film ist echt klasse geworden. Und da brauchte Franziska Meyer Price, die Regisseurin, beim Dreh Musik, damit die Schauspieler dazu adäquat agieren.

Wie muss man sich das vorstellen?

Da gab es beispielsweise eine Szene, bei der die Schauspieler als Sektenmitglieder zu einem Mantra tanzen mussten. Für diese Szene habe ich ein Stück komponiert, das wie eine Mischung aus "Hare Krishna" und "Give Peace a Chance" klingt. Denn es ist ja wichtig, dass sich die Schauspieler im richtigen Tempo bewegen und mitsingen können. Dazu braucht es nicht unbedingt ein fertig auskomponiertes Stück, aber die Struktur und das Tempo müssen stehen. Im Falle von "Vampirschwestern 3" gab es sogar eine Band, die im On performt. Das heißt, das Stück, das die Musiker in dieser Szene spielen, musste schon produziert sein.

Das Filmorchester Babelsberg spielt "Vampirschwestern 3"

Sie kannten also schon im Vorfeld das Drehbuch.

Ja, ich war schon ein halbes Jahr vor Picture Lock involviert, habe Themen geliefert. Ein weiteres aktuelles Kinofilmprojekt ist "Kalte Füße" mit Heiner Lauterbach. Hier habe ich vor wenigen Wochen die Musik fertiggestellt, Mitte September waren die Orchesteraufnahmen in Berlin, danach die Mischung. Auch beim Film "Der Vorname"war ich zum Picture Lock schon fast fertig mit der Musik.

Aber kommt es da nicht zu Konflikten, wenn die Filmusik schon fertig ist, aber der Bildschnitt noch nicht finalisiert wurde?

In der Tat muss ich oft meine Musik nach Picture Lock nochmal umkomponieren, aber es kommt auch häufig vor, dass die Bilder auf meine Musik geschnitten werden, so dass es keine Taktbrüche gibt. Es gibt einige musikalische Cutter, die ich gut kenne und mit denen ich gerne zusammenarbeite. Der Cutter ist gewissermaßen der Schlagzeuger.

Einen Großteil der Filmmusik produzieren Sie zu Hause. Wie oft kommt es vor, dass im Studio live eingespielt wird – oder sogar ein ganzes Orchester aufgenommen wird?

Das kommt immer auf den Film an. Bei Kinoproduktionen ist es das Schöne, dass wir da auch ein Budget haben, mit dem wir uns beispielsweise ein Orchester leisten können. Beim Fernsehen fehlen oft das Budget und die Zeit, um große Besetzungen live einzuspielen. Um ein Orchester aufzunehmen braucht es ja ein großes Studio. Meistens gehe ich dazu nach Babelsberg, dort habe ich schon viele Filmmusiken gemacht. Beim dortigen Filmorchester sind die Musiker gewohnt, mit Versatzstücken zu arbeiten, wie es eben beim Film erforderlich ist. Ein "normales" Orchester hat eher Schwierigkeiten damit, 16 Takte nur einen Ton zu spielen. (lacht) Bei der Musik zu "Der Vorname" habe ich einiges live einspielen lassen: Gesang, Drums, Kontrabass, Modularsynths, viele Gitarren und Mandolinen sowie eine Klarinette, die bei dem Film einen wichtigen Part spielt.

Wo finden diese Aufnahmen dann statt?

Entweder kommen die Musiker zu mir ins Studio, oder aber ich schicke ihnen den Track, und sie spielen ihren Part dann bei sich ein. Einer meiner Lieblingsschlagzeuger wohnt in Bayern und hat bei sich zu Hause ein Studio, das auf Filmmusik eingestellt ist. Ihm schicke ich die bereits bestehende Musik und eine entsprechende Vorgabe, und er liefert mir den perfekten Schlagzeugtrack. Klar, das ein oder andere muss "in the box" produziert werden, aber ich bin ein großer Freund von analog eingespielter Musik. Eine Konstante in meiner Musik ist das Moog Modular-System.

Dieser rein analoge Synthesizer, der bei Sound-Nerds gerade wieder so angesagt sind?

Ja, genau der. Ich habe ihn noch um einige Module von Gert Jalass’ Moon Modular, Club Of The Knobs und von einigen anderen schrägen Garagenwerkstätten aus den USA ergänzt. Ich setze ihn bei jedem Stück ein – und wenn es nur für ein Hintergrundschwingen ist. Das inspiriert mich sehr. Denn mit dem Moog hat man ja keine vorgefertigten Sounds, sondern erzeugt von Hand und quasi aus dem Nichts einen Klang, der auch nicht programmierbar ist, sondern wie eine Geige oder wie eine Stimme direkt aufgenommen werden muss.

Das Interview mit Helmut Zerlett wurde zuerst hier veröffentlicht auf der WerbeWeischer-Website.